Kaufhausgeflüster und andere Geschichten. Hannelore Crostewitz

Kaufhausgeflüster und andere Geschichten - Hannelore Crostewitz


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erhaben überall hin. Sein Haar war exakt drapiert und das, obwohl es ohnehin schon markant schwarz gefärbt war. Solch ein Tiefschwarz hatte es im Osten wirklich nicht gegeben, kein Blick ging an dieser auffallenden Farbe vorbei. Nicht nur das wirkte dominant, er gab sich auch dünkelhaft. Manchmal hatten Cordula und Jasmin das Gefühl, eher der Kosmetikindustrie als den Fähigkeiten ihres Vorgesetzten Respekt zollen zu können. Unter sich, stießen sie sich drucksend an und gaben ihm schließlich den heimlichen Spitznamen »der schwarze Peter«. Und das war weiß Gott treffend. War der Mann einmal von sich als Sieger überzeugt, bestimmte er alles weitere und benahm sich dabei oft daneben.

      Aus purem Vergnügen schüchterte er die hier Arbeitenden ein, bevorzugte gerade jene, die mitten im Lernstadium schüchtern auftraten. Eine zugezogene finstere Miene und ein präzise geschnittener Bart um den Mund machten ihn noch unwirklicher. Viele empfanden ihn darum unerträglich, zumal es auch nichts zu geben schien, was diesen Mann hätte erweichen können. War er nur ausgezogen, um den »Ossis« das Fürchten zu lehren? Aber selbst wenn das stimmte, hatte er eines gewiss nicht bedacht: dass es hier noch quicklebendige, spontane Menschen gab. Und immer, wenn Peter auf der obersten Treppe aller Belehrungen angekommen war, die Stimme sich mit heftigen Anordnungen überschlug und seine Spießigkeit restlos auf die Spitze trieb, war es soweit: Kein leises Kichern, nein, eine losprustende Jasmin gesellte sich dazu! So prompt verströmte sie völlig unbefangen ihr herzliches, laut schallendes Lachen! Tief aus dem Bauch aufsteigend kam es heraus und genauso schleuderte sie es ihm ins Gesicht: hemmungslos, schlagartig und unaufhaltsam!

      Da war er entwaffnet!

      Es machte ihn fix und fertig. Er verkrampfte, versuchte noch jammervoll, irgendetwas Undefinierbares durch die Zähne zu pressen, das sich gegen das Lachen wehren könnte – aber unmöglich. Dann kniff er seine Augen zu und seine Lippen verbissen sich nach innen. Auf dem Absatz folgte eine Kehre und eine laut zuschlagende Bürotür – seine letzte Rettung.

      Jasmin – ihm über? Keiner wagte die unausgesprochene Frage wirklich zu stellen, aber immerhin war es so: Hatte sie mal ihren freien Tag, war es nur halb so erfrischend. Und, wer hätte das gedacht, sogar »der schwarze Peter« muffelte noch mürrischer vor sich her, als das gemeinhin bei ihm üblich war.

      Kein Wunder also: Alle mochten Jasmin. Jetzt, um dieses amüsanten Machtspiels bereichert, schlossen Cordula und die anderen heimlich schon Wetten ab, wie lange es wohl diesmal dauern würde, bis Jasmin den Chef wieder verlachte. Einerseits verwirrte es »den schwarzen Peter«, andererseits bekam gerade sie von ihm die persönlichsten Aufträge. Und trotz dieses Widerspruchs wiederholte sich das Szenario Tag für Tag.

      Bis zu jenem Donnerstag.

      Damals platzte unverhofft ein Neuer herein, räusperte sich, riss alle Türen auf und stampfte mit festen Schritten quer durch die Abteilung. Er war ein großer, gewichtiger Kerl. Zwar verhüllte der lange edle Wollmantel manches in schmeichelhafter Tücke, aber dass seine Hände in den Taschen derart fest gestrafft waren, das war Cordula schon bedenklich vorgekommen. Ob der »den schwarzen Peter« suchte? Mehrmals maß er die Räume im Tempo übergroßer Schritte aus. Vor – zurück, vor – zurück! Unverhohlen dreist grinsend, laut und ohne jede Grußformel.

      Nachdem er so fast zehn Minuten lang sämtliche Ecken in Augenschein genommen hatte, doch seine Kür nicht die erwartete Beachtung fand, legte sich die inzwischen sichtbar gewordene rechte Hand schwer betont auf seine Brust und es war, als öffnete sie ihm damit auch den Mund.

      »Mein Name ist Giesbert, und ich bin ein guter Freund vom Peter.«

      Keiner, der das noch bezweifelt hätte.

      »Wieder so’n Schönling, diesmal in Ostausgabe.« Cordula mochte ihn nicht, stellte sich gerade beide Pinkel nebeneinander vor und leise, zu den anderen bedauerte sie: »Find ich doch zu schade, dass Jasmin diesen tollen Auftritt hier verpasst hat«.

      Diese war mit Peter in einer Besprechung. Also erfuhr Cordula von Giesbert bald das Wesentlichste, nämlich, dass er ein heimattreuer Besitzer jener Pension sei, deren Dienste auch »der schwarze Peter« schon mehrfach in Anspruch genommen hatte. Herumgezeigte Fotos ließen dort eine kleine, fast puppenstubenhafte Einrichtung erkennen. Dies alles wäre in der nächsten Stadt. Als sein ersehnter Peter dann endlich kam, lebte Giesbert freudig auf, wirkte geradezu entfesselt.

      Nachdem sich die beiden Freunde dann unter vier Augen abgesprochen hatten, wurde – wer auch sonst? – Jasmin hereingerufen. Sie sollte eine Modenschau moderieren! Das hatte der clevere junge Mann für seine Pension schon seit Jahren vorgehabt und die geschichtsträchtige Wende käme ihm jetzt wie gerufen. Dazu sollte Jasmin die entsprechenden Kleidungsstücke eigenständig heraussuchen, alles dann vor Ort arrangieren, die Waren entsprechend kommentieren und sie im Zuge der Moderation seinen Gästen geschickt anbieten. »Der schwarze Peter«, so sehr er Jasmin mochte, hatte inzwischen doch erkannt, dass sich für sie damit auch eine Möglichkeit bot, über sich selbst hinauszuwachsen. Zu allererst war beiden Männern Erfolg und materielles Denken eigen und darum versprachen sie sich von dieser Geschäftsidee einen ordentlichen Gewinn.

      ***

      Für Jasmin war der Auftrag eine willkommene Abwechslung im bisherigen Aufgabenbereich, sie übernahm ihn – wie jede neue Sache – leicht und voller Überschwang. Doch sollte es nicht bei dieser einmaligen Aktion bleiben, Herr Giesbert hatte auf einmal alle nasenlang irgendetwas anderes im Sinn. So kam es, dass Jasmin immer häufiger in der Pension weilte und er wiederum regelmäßig in der Werbeabteilung war. Das tat er bald mit einer Selbstverständlichkeit, dass man meinte, er gehöre bereits hierher.

      Jasmin aber schien hin und wieder bedrückt, bewegte sich anders und irgendwie seltsam verändert. Einmal ertappte die Freundin sie verstört, ein anderes Mal vollkommen ernst oder, was sie nie von ihr kannte, in Gedanken versunken vor sich hinstierend. Keinem erzählte sie etwas, Fragen wehrte sie ab und selbst Cordula, die einzige beste Freundin, erfuhr erst nach langem Drängen, was denn geschehen war.

      »Wisst ihr«, erklärte Jasmin rätselhaft langsam, alle standen um sie herum und hörten aufmerksam zu: »Viele Wochen hab ich mit mir gerungen, alles Mögliche erwogen und bin eigentlich immer noch hin und her gerissen. Glaubt mir, es tut mir wirklich leid für euch, aber ich muss das jetzt einfach tun. Ich komme nicht los von ihm, meine Gedanken sind nur dort. Und stellt euch vor, ihm geht es genauso. Er wünscht nichts mehr und nichts inniger, als dass ich immer bei ihm in der Pension bin. Dort könnte ich mitarbeiten, bekäme so die Chance, selbstständig zu werden, die ich mir nicht entgehen lassen will. Dazu kann er noch so richtig charmant sein, dass ich ihm, wenn er mich so ansieht, sowieso kaum was ausschlagen kann. Eigentlich«, wurde sie nun merklich leiser, »haben wir alles schon abgesprochen. Hier bei euch – so ohne ihn – halte ich es kaum mehr aus.«

      Ob mehr verblüfft oder mehr ergriffen, der ganze Kreis staunte. Ein Raunen ging umher. Hatten sie etwas verpasst? Cordula, die im Laufe der Offenbarung zur Säule erstarrt war, fand jedoch als erste zu ganzen Sätzen zurück. »Wie konntest du bloß so eine Neuigkeit derart lange mit dir herumtragen?« Sie drückte die Freundin zwar kopfschüttelnd, aber fester als sonst an sich und barg den verrückten Wuschelkopf in ihren Armen. Lachenden wie tränenden Auges ermutigten nun alle Jasmin zu diesem Schritt. Was sonst? Denn obwohl die Neuigkeit auf Cordulas Seele lastete, spürte sie innerlich doch, dass sie die lieb gewordene Freundin ziehen lassen muss. Man tröstete sich, hatte unmittelbar erlebt, was Jasmin durchlitt und letztlich wollten alle auch nur, dass es ihr gut ging.

      Bald darauf kündigte die junge Frau, Wehmut mit hoffnungsvoller Erwartung bekämpft.

      ***

      Von Jasmin hörten sie nichts mehr, obwohl es Cordula anfangs oft noch so vorkam, als ob sich ihr Lachen nur tief in den Wänden versteckt hielt oder sonst irgendwie vergraben wäre. Es gelang ihr nur schwer, diese Trennung zu verarbeiten. Aber die Jahre bahnten sich ihren Weg durch den Trott der Gewohnheit und irgendwann hielt es Cordula für angebracht, ein Treffen ehemaliger Kollegen zu organisieren, vor allem mit dem Hintergrund, Jasmin wiederzusehen. Unbedingt! Denn jedes Mal, wenn Cordula jemanden laut lachen hörte, musste sie noch immer an Jasmin denken. Den anderen ging es ähnlich. Niemand war so stark im Gedächtnis haften geblieben wie sie mit ihrem ansteckenden Lachen. Und sogar »der schwarze Peter« vermisste


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