Kaufhausgeflüster und andere Geschichten. Hannelore Crostewitz

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er das zugab?

      Endlich, sechs Wochen nach Cordulas Beschluss, fand das Treffen statt.

      ***

      Aber welche Wesensfremde saß ihr da gegenüber!

      Und es war beileibe nicht nur der Ecktisch, der sie trennte. Es konnte nicht stimmen – das sollte Jasmin sein? Mit der sie intensiv Arbeits- und Freizeitleben geteilt hatte? Die immer lachte? Wo waren die alte Ausgelassenheit und die herrlich herzhafte Freude geblieben? Passte das überhaupt noch in dieses veränderte Gesicht? Und verflixt, warum sagte sie nichts, war sie stumm geworden? Es dauerte. Es dauerte Cordula alles viel zu lange, diese angespannte Stille, die sich durch das Abendessen zog, und selbst danach brauchte es viel Zeit, ehe Jasmin der eigenen Stimme wieder Zutrauen schenkte. Und es vergingen einige gespannte Minuten, ehe alles aus Jasmin herausbrach.

      »Ich freue mich riesig, hier bei euch zu sein.« Jetzt erst blickte sie jeden an.

      »Wisst ihr, vor ein paar Jahren gelang mir zunächst alles. Es war genauso, wie ich es mir ausgemalt hatte. Die Pension lief gut und mit dem tollen Beruf war’s mir eher Herausforderung als wirkliche Arbeit. Ich hatte enormen Spaß dabei, alles auszuschmücken und hab die Pension richtig auf Vordermann gebracht. Erinnert ihr euch noch an die alten Fotos? Jetzt müsstet ihr das mal sehen! Von der eingestaubten Eigenbrötelei ist nichts mehr übrig. Mit Glas, selbst gemischten Farben und neuen Bildern hab ich alles neu in Szene gesetzt. Und jeder, der das Haus von früher her kennt, hat es bewundert. Auch Giesbert. Das war die erste Zeit – und meine beste. Alles schien in Ordnung. Aber irgendwann«, wurde sie leiser, »hatte sich das geändert.«

      Die Pause, in der sie den Rauch ihrer Zigarette wegblies, so, als könnte sie dadurch auch altes Geschehen in Luft auflösen, war spannungsgeladen. Cordula merkte, dass Jasmin fror. Sie hatten schlechte Plätze erwischt, saßen ungünstig im Luftzug. Ich werde, nahm sie sich vor, nachher gleich den Kellner fragen, ob’s nicht möglich ist, einen anderen Tisch zu bekommen.

      »Ich weiß nicht mehr genau, wie und wann das alles passiert ist. Giesbert hat genossen, was ich so kreierte, und gemerkt, dass mir alles recht gut von der Hand ging. Da hat er zunächst die Putzfrau und später auch noch die Küchenkraft entlassen, weil die ihm zu langsam waren. Waren sie ja wirklich«, bestätigte die Veränderte so heftig nickend, als säße Giesbert direkt neben ihr.

      »Dadurch hat er enorm Geld gespart. Nach und nach habe ich die anfallenden Arbeiten alle noch mit erledigt. Freilich hatte ich dadurch entschieden weniger Zeit für die Gäste, die ich ja eigentlich betreuen soll. Und das wollte ich viel lieber tun! Könnt ihr euch vorstellen, wie das schlaucht, wenn man von früh bis spät total ausgelastet ist? Da kommt’s schon vor, dass man abends nicht mehr topp aussieht, stattdessen abgespannt und müde ist. Das aber konnte Giesbert überhaupt nicht haben. Charmant war er zuletzt nur noch zu allen anderen. Und so gab’s nach und nach immer öfter Streit. Irgendwann verstanden wir uns überhaupt nicht mehr.«

      »Und deine Eltern?« Bewegt von diesem Geständnis wollte es Cordula jetzt genauer wissen. »Du hast doch ein prima Verhältnis zu deinem Vater. Warum gehst du nicht einfach weg von Giesbert?« Jasmin seufzte tief. »Geht nicht. Ich kann doch die Pension nicht einfach im Stich lassen! Ich glaube, Giesbert würde mich umbringen. Er ist so jähzornig, wisst ihr. Und vollkommen unberechenbar, wenn er wütend ist! Und mit meinen Eltern hat er gar nichts am Hut. Auf meinen ausdrücklichen Wunsch hin und um weitere Differenzen zu vermeiden, sind meine Eltern schon Ewigkeiten nicht mehr bei uns gewesen. Umgekehrt aber komme ich nicht zu ihnen, weil mir keine Zeit dafür bleibt, ich hab keine zwei Stunden übrig, um hinzufahren. Und Giesbert würde das auch kaum dulden. Was denkt ihr, was ich hinter mir habe, weil ich heute zu euch wollte? Nie kann er mich entbehren, sagt er, und so bin ich ständig unter Druck, weiß schon nicht mehr, was richtig ist. Manchmal denke ich, er hat ja Recht: Die Pension kostet alle Zeit, da geht es von Montag früh bis Sonntag spät durch. Für mich bleibt da einfach nichts. Auch andere Freundinnen haben sich inzwischen zurückgezogen. Ich kann ja nie mitgehen, gelle?«

      Verdammt, jetzt fand es Cordula höchste Zeit, die Toilette aufzusuchen. Fühlbar schon rannen ihr die ersten Tränen übers Gesicht. Ihre Wut hatte sich dermaßen angestaut, dass sie nicht länger stillsitzen mochte. Wie gebrochen ihre Freundin war! Aber endlich, dachte Cordula, endlich hat sie wenigstens wieder »gelle« gesagt und damit das einzige Wörtchen, was auf ihren Ursprung deutete. Aber für alles andere hatte sie nur ein Kopfschütteln. Der Kerl sollte ihr mal über den Weg laufen! Warum nur kam Jasmin nicht von ihm los? Hier und jetzt war sie als Freundin gefragt, fand sie. Sie musste Jasmin helfen.

      Als der Kellner kam, änderte Cordula die äußeren Bedingungen, sie nahmen einen anderen Tisch. Doch was nützte es, Jasmin ihre Hilfe anzubieten – sie tat das so behutsam wie möglich –, wenn die Angesprochene schon gleich zu Anfang resignierend den Kopf schüttelte. Ihr fehlte jede Kraft, eigene Wünsche durchzusetzen. »Ich werde bei ihm bleiben«, waren für Cordula die unglaublichsten Worte des Abends.

      ***

      Nach zwei weiteren Jahren hatte Cordulas Arbeitsbereich beständig zugenommen. Sie war nun leitende Mitarbeiterin, was sie in ihren kühnsten Träumen nicht erwartet hätte. Sie war stark eingespannt und es kam vor, dass sie Werbemittel im Außendienst besorgen musste. Da war sie dann viel unterwegs. So auch an diesem Tag. Jetzt, nachdem alles Notwendige erledigt, es inzwischen Nachmittag und damit Zeit für einen Imbiss war, steuerte sie die erstbeste Pommesbude an. Sie wunderte sich noch, es hatte an der Stelle nie eine gestanden, die musste neu sein. Cordula wählte rasch. Da blickte sie beim Entgegennehmen ihrer Pommes in ein Augenpaar, das sie zusammenfahren ließ. Fast wären ihr doch die Fritten aus dem Pappdeckel geglitten! Aber – es hatte ihr die Sprache verschlagen. Die Übergabe, die dort stattfand, hätte stummer nicht sein können. Die Frau, deren Haare von einer weißen Haube gebändigt wurden, deren Kittel die Schwangerschaft nicht mehr kaschieren konnte und die ihr jetzt tief bückend die Ketchupflasche reichte – war Jasmin.

      Die Fritten schmeckten. Doch Cordulas Gedanken schweiften ab. Für einen Augenblick erwog sie noch, sich umzudrehen und zu Jasmin zurückzugehen. Wären ein paar passende Worte nicht angebracht gewesen? Aber sie sah an sich herunter, in diesem eleganten Kostüm war es ihr nicht möglich, Anteilnahme zu zeigen. Außerdem, so rechtfertigte sie sich selbst, hätte Jasmin ebenfalls mit ihr reden können. Aber die sagte auch nichts. Aus Scham? Und im Gehen verfluchte Cordula wieder diesen Giesbert, der ihre Freundin so würdelos abgeschoben hatte. Niemals, so schwor sich Cordula hier und jetzt, würde sie im Leben nur bloßes Werkzeug ihres Mannes sein wollen! Selbst dann nicht, wenn sie deswegen allein bleiben müsste.

      ***

      Cordula glaubte fast, Jasmin aus ihren Gedanken verdrängt zu haben, da meldete sich diese telefonisch. »Sag’, ist es möglich, dass wir uns treffen?« Und ob. Schneller hatte Cordula selten einen Termin freigeschaufelt. Umso enttäuschter war sie danach. Endgültig, so musste sie bilanzierend feststellen, ist diese Freundschaft als erledigt abzutun. Ihr Körper bebte geradezu, weil er über soviel Unverfrorenheit nicht fertig werden konnte. Sie atmete tief und ließ alles noch einmal an ihr vorbeiziehen …

      Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie nicht mehr dazu gekommen war, zu fragen, ob es ein Junge oder ein Mädchen sei. So entsetzt, so erbost war sie darüber, dass der beiläufig mitgebrachte Vertreter, der sicher Jasmins neuer Arbeitgeber ist, ihr ohne Skrupel einen Versicherungsvertrag aufschwatzen wollte. »Pfui, Teufel«, schimpfte sie laut vor sich hin und in die Trauer über die verlorene Freundschaft mischte sich eine gehörige Portion Zorn.

      Jahre später, in denen sich für Cordula neue und beständigere Freundschaften gebildet hatten, war sie noch immer auf derselben Arbeitsstelle geblieben. Heute erlebte sie beim Dekorieren ihrer Figuren etwas Eigenartiges. Es geschah auf einem Podest im Innenraum des Warenhauses, unmittelbar an der Rolltreppe. Da beobachtete sie einen kleinen Jungen, der ihr viel Spaß bereitete. Neugierig schaute er ihr zu und stellte schon bald viele Fragen, die alle mit »Warum?« anfingen, so dass auch sie sich nach einer Weile herausgefordert sah, ihn zu necken. Erst nur ein wenig, dann etwas heftiger. Aber wie verschlug es ihr die Sprache, als der Kleine ihr herzhaft ins Gesicht lachte. So ausdauernd, so kraftvoll, dass sie eine Gänsehaut bekam. Das gab es doch gar nicht! Der Kleine konnte nicht aufhören! Und sie stand da, gelähmt, unfähig,


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