TÖDLICHE BEGIER.DE. Peter Weidlich

TÖDLICHE BEGIER.DE - Peter Weidlich


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Außerdem sah der Hausarzt es nicht gern, wenn ihm jemand ins Handwerk pfuschte oder man mehr Vertrauen auf das Wissen der Kräuterhexe gab als auf das Können des studierten Arztes. Und so etwas erfuhr der Arzt sofort. Irgendwie gab es überall Augen und Ohren.

      Grossek stand vor ihr im Türrahmen, schlitzäugig, um ihre Stimmung zu erkennen, streckte die Hand aus und flüsterte: „Was ist? Hast du’s?“

      Sie gab ihm das kleine, mit Wachs versiegelte Fläschchen und schob ihn ohne Kommentar und Gruß hinaus. Sie wollte nichts wissen, nichts damit zu tun haben. Sie ärgerte sich maßlos und überlegte wieder einmal, wie sie sich aus dieser Situation heraus winden könnte.

      „Eigentlich müsste ich dich vergiften“, giftete sie hinter ihm her, „dann hätte ich endlich Ruhe!“

      Zornig und angeekelt zugleich setzte sich Frau von Trendel an ihren Sekretär und schrieb auf einen Briefbogen: Geheimnisse

      Sarah von Trendel las das Geschriebene aufmerksam durch, faltete das Schreiben und steckte es in einen Umschlag mit dem Vermerk: „Zu öffnen nach meinem Ableben!“

      Den Umschlag legte sie in eine kleine Kassette und schloss diese in ihrem Tresor im Kaminzimmer ein.

      Dann ging sie in die Küche, um das Mittagessen zuzubereiten. Es sollte nur eine Kleinigkeit geben, weil die Hauptmahlzeit gegen Abend geplant war. Sie freute sich auf das Wiedersehen mit ihrem Sohn Rudolph und war gespannt, welchen Eindruck Alex’ Freundin Kati und sein Freund Marc auf sie machen würden.

      Alex brachte seinen Fang gegen Mittag in den Schuppen neben dem ehemaligen Forsthaus, in dem seine Oma seit zehn Jahren wohnte. Er schuppte die Bachforellen und entnahm ihnen die Innereien. Dann legte er seine Beute in den alten Kühlschrank, in dem er Maden und Regenwürmer zum Angeln und auch die Fische kühl lagern konnte. Afra hatte ihn interessiert bei dieser Arbeit zugesehen, wachsam, ob nicht etwas für sie zum Naschen abfallen würde.

      „Davon bekommst du nichts, Afra, du pupst dann immer so, und das stinkt tierisch!“ Beleidigt zog Afra das Stummelschwänzchen ein und trottete mit abgeknickten Ohren in Richtung Forsthaus. Alex folgte ihr und schmunzelte: „Sie muss immer von allem etwas abbekommen, natürlich nur aus rein psychologischen Gründen, um deutlich zu machen, dass sie dazu gehört, nicht etwa, weil sie zu verfressen ist!“

      Nachdem die kross gebratenen Bratkartoffeln samt Spiegeleier von Oma und Alex, der Rest von Afra, in Windeseile verspeist worden waren, räumte Alex das Geschirr in die Spülmaschine. Der Stapel gelesener Tageszeitungen und Illustrierten türmte sich auf der Eckbank. „Bring sie in die Papiertonne“, bat Oma Sarah, „dein Paps bringt sie oft am Wochenende mit, damit er weiß, was in der Welt los ist. Hier hat er Zeit zum Lesen.“

      Sein Blick fiel auf die knallige Überschrift: „Gnadenlose Brutalität“. Er las den Artikel und musste sofort an seine Kati denken.

      „Oma, hast du das gelesen? So eine Terrorgruppe hat zweihundert christliche Mädchen in Katis Alter in Nigeria verschleppt, so richtig gekidnappt. Das ist ja unglaublich. Die Mädchen werden als Sklavinnen verkauft, vergewaltigt und gezwungen, zum Islam überzutreten. Ich fasse es nicht! Dieser Scheißanführer will einen islamischen Staat und die Scharia einführen. Was ist eine Scharia?“

      „Das ist eine gute Frage, Alex. Eigentlich ist sie ein aus dem Koran abgeleiteter Leitfaden, nachdem sich gläubige Muslime zu richten haben, in moralischer, rechtlicher und kultischer Hinsicht.“

      „Ist das gut? So ähnlich wie unsere Bibel?“

      „Naja. Jesus predigte die Liebe untereinander. Er vertrieb die Händler aus dem Tempel, denen der Gewinn wichtiger war als die Barmherzigkeit. Er verzieh den Sündern, starb sogar für sie, für uns. Und wie reagierten die Christen tatsächlich? Früher haben sie Menschen, die anders waren als normal, als Hexen verbrannt oder Gelehrte verbannt, wenn sie etwas behauptet haben, was nicht der Lehrmeinung der Kirche entsprach.“

      „Nenn’ mal ein Beispiel.“

      „Galileo Galilei zum Beispiel. Er behauptete, dass sich die Erde um die Sonne dreht. Während die Kirche lehrte, dass die Erde der Mittelpunkt des Universums sei!“

      „Und, was haben sie mit ihm gemacht?“

      „Er wurde vom päpstlichen Gericht als Ketzer verurteilt, musste seinen Überlegungen abschwören und kam ins Gefängnis. Er soll gemurmelt haben: >Und die Erde bewegt sich doch!<“

      „Von den Kreuzzügen damals habe ich auch gehört. Das war auch nicht christlich, andere Religionen zu vernichten!“

      „Daraus und aus anderen Fehlern hat die Kirche gelernt, heutzutage nimmt sie die Menschenrechte ernst.“

      „Sicher? Ich weiß’ nur von Papa, dass einer Ärztin gekündigt worden ist, weil sie als Geschiedene wieder geheiratet hat. Was hat das mit Christlichkeit zu tun? Warum drehen so viele der Kirche den Rücken? Sogar Frauen werden doch wie zweite Wahl behandelt! Oder hast du schon eine Pfarrerin oder Bischöfin erlebt, wie bei den Evangelischen? Die übrigens auch nicht so richtig anerkannt werden!“

      Oma Sarah hüstelte verlegen und konterte: „In jeder Religion gibt es Ungereimtes, Blödsinniges. Wir Menschen machen oft Fehler, zweifeln, straucheln. Jesus vergibt uns Sündern, steht in der Bibel. Im Islam verzeiht Allah auch den Sündern, aber nur denjenigen, die zu den Gläubigen gehören. Hier wird unterschieden: Es gibt Gläubige und Ungläubige. Die Ungläubigen sind Feinde Allahs und sollen vernichtet werden. Steht im Koran, wird aber oft verniedlicht.“

      „Mein Freund Marc hat mir auch von Mitschülern erzählt, die auf den Koran schwören. Sie wollen einen eigenen Gebetsraum am Gymnasium haben. Sie meckern Mädchen an, wenn sie zu freizügig rumlaufen. Zwei tragen jetzt ein Kopftuch und eine hat angedroht, mit einer Burka zu erscheinen!“

      „Weißt du, Alex, wie Frauen behandelt werden, besonders christliche, also ungläubige?“

      Alex wunderte sich, weil seine Oma sich noch nie so engagiert mit ihm unterhalten hatte.

      „Die hochschwangere Christin Mariam Ishag sollte gehängt werden, wegen Gotteslästerung, da sie als Christin einen Übertritt zum Islam ablehnte“, fuhr Sarah von Trendel erregt fort. „Sie sollte vor ihrer Hinrichtung noch hundert Peitschenhiebe erhalten! Wäre das Urteil vollstreckt worden, hätte der Staat Sudan das Sorgerecht für ihre beiden Kinder erhalten, da ihr Ehemann als Christ keine Rechte an seinen Kindern habe. Auch ihr 20 Monate alter Sohn lebte mit Ishag in der Zelle. Ende Mai hatte sie, angekettet an den Beinen, ihre Tochter Maya geboren. Ein weltweiter Proteststurm über Amnesty International hatte erreicht, dass sie vor paar Wochen am 23. Juni von einem Berufungsgericht freigesprochen wurde. Sie soll bald nach Rom fliegen und von Papst Franziskus empfangen werden. Hoffentlich klappt das!“ Sie wischte sich zornig Tränen von ihrer Wange. Alex schwieg betroffen.

      „Frauen sind halb so viel wert wie ein Mann! Sie müssen verschleiert rumlaufen, damit Männer sich nicht an ihrem Äußeren erregen können. Ich habe gelesen, dass alle Mädchen und Frauen zwischen elf und 46 Jahren beschnitten werden müssen! Ist das nicht zum Kotzen – Beschneidung in unserer heutigen Zeit? Ich könnte dir noch mehr über die Scharia erzählen, aber …?“

      Beschneidung, dachte Alex. Was wird da gemacht? Es muss jedenfalls unmenschlich sein, wenn Oma so entsetzt ist.

      „Über all das habe ich mir bislang keinen Kopf gemacht, Oma. Das schockt total. Ich werde mich schlau machen, gemeinsam mit Kati!“

      Sichtlich verunsichert stieg Alex in seine dreiviertellange Tarnhose, sein Khaki-Hemd und seine Sandalen. Er schnallte den Gürtel mit seinem Puma-Messer um, legte Afra die Halsung an und verabschiedete sich von seiner Oma.

      Mit den Rädern über den Kanal wird schwierig, dachte Alex, aber, was macht man nicht alles. Dann paddeln wir eben zwei Mal hin und her.

      Wie wird sie wohl aussehen? Was wird sie anhaben? Hot Pants? Rock? Weites T-Shirt? Sein per SMS angekündigtes Versprechen fiel ihm siedend heiß ein und machte ihn total nervös. Ich werde sie nie verletzen oder ihrer Würde berauben!


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