Odyssee. Ben B. Black

Odyssee - Ben B. Black


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logisch«, nuschelte Kleinmann, dabei hörte man seiner Stimme an, dass er nicht so recht wusste, was er davon halten sollte. Laut sagte er: »Stimmt, da war was, Frank.«

      »Freut mich, Levi.« Steins lächelte. »Es ist schön, dass uns das trotz der widrigen Umstände ein gewisses Maß an Normalität zurückgibt. Schließlich werden wir voraussichtlich noch eine lange Zeit zusammenarbeiten, da würde ich es äußerst unpassend finden, künstlich auf Distanz zu bleiben.«

      »Ich gehe dann mal nach den anderen sehen«, verabschiedete sich Kleinmann, nickte Sandra noch einmal zu und verließ eilig den Raum.

      Frank Steins blickte ihm noch einen Augenblick nach, dann wandte er sich an Sandra: »Jetzt wo wir alleine sind, möchte ich noch eine andere Sache ansprechen.«

      »Willst du mich in ein paar Geheimnisse der Totlebenden einweihen, Doc? Sozusagen der Kodex derer mit dem allzeit vornehm blassen Teint?«

      »Klingt nach einer interessanten Idee.« Steins kicherte, wurde jedoch schnell wieder ernst. »Ich fürchte, das müssen wir ebenfalls auf einen späteren Zeitpunkt verschieben, denn ich bin mir nicht sicher, wie lange Pieter sich noch in Geduld üben wird, wenn nicht bald jemand von uns bei ihm auftaucht.«

      »Also, was hast du auf dem Herzen? Spuck’s aus, ich bin ganz Ohr!«

      »Es geht um unsere Flucht, oder besser gesagt darum, was mit denjenigen geschieht, die wir hier zurücklassen.«

      »Ehrlich gesagt ist es mir scheißegal, was mit van Hellsmann und seiner Brut passiert.« Sandras Miene verfinsterte sich. »Meinetwegen können sie alle verrecken, oder sich so lange an ihren Pimmeln ziehen, bis sie sich das letzte Bisschen Verstand aus der Rübe gewichst haben. Am liebsten würde ich dem durchgeknallten Professor für das, was er hier angerichtet hat, die Eier einzeln abreißen und ihm in seine dämliche Hackfresse rammen. Das Einzige, was mich davon abhält, ist die Tatsache, dass er es vermutlich eh nicht spürt, also kann ich mir den Aufwand auch schenken.«

      »Ich kann deine Gefühle gut verstehen, aber ich denke auch noch an etwas anderes. Nehmen wir einmal an, die Evakuierung klappt, ohne dass Pieter Wind davon bekommt. Wie, denkst du, geht es danach weiter?«

      »Öh, keine Ahnung.« Sandra zuckte mit den Schultern. »Ihr macht euch auf den Weg nach jenem Eden, und ich sehe zu, dass ich bei passender Gelegenheit ebenfalls hier verschwinden kann?«

      »Einmal davon abgesehen, dass ich irgendwie nicht den Eindruck habe, dass du tatsächlich vorhast, uns zu folgen ...«

      »Was willst du damit sagen?« Sandra funkelte Steins an. »Soll das heißen, ich lüge?«

      »Das habe ich weder gesagt noch gemeint, außerdem geht es mir um etwas völlig anderes.«

      Sandra schluckte sichtlich ihren Ärger hinunter, dann nickte sie. »Also gut, Doc, auf was willst du hinaus?«

      »Ich kenne Pieter. Er wird sich nicht damit zufriedengeben, den Bunker unter Kontrolle zu haben. Außerdem will er sicherlich weiteres Material für seine Experimente. Erinnerst du dich noch an die Situation, als ihr auf Ebene 2 auf der Suche nach ihm wart und er unbedingt seinen Zombies beim Fressen zusehen wollte?«

      »Und ob ich mich daran erinnere! Scheiße, war das knapp! Aber es erklärt immer noch nicht, auf was du rauswillst. Mensch, Doc, lass dir dich nicht jeden Wurm einzeln aus der Nase ziehen!«

      »Ich sagte es doch bereits: Er wird sich nicht mit dem Bunker zufriedengeben, und er wird weitere Opfer für seine Versuche haben wollen, die es hier unten aber nicht mehr gibt. Was denkst du denn, warum er will, dass wir kapitulieren, anstatt einfach in den Ebenen, die er faktisch jetzt schon unter Kontrolle hat, eine Parallelgesellschaft zu etablieren?«

      »Okay, verstanden.« Auf Sandras Stirn bildete sich eine Unmutsfalte. »Du denkst also, er wird die Pilger verfolgen, wenn er merkt, dass sie ausgebüxt sind?«

      »Davon ist auszugehen.« Steins nickte.

      »Dann halte ich ihn einfach so lange hin, bis euer Vorsprung groß genug ist, damit er euch nicht mehr einholen kann.«

      »Pieter ist kein Idiot, er würde das über kurz oder lang bemerken.«

      »Prima. Am besten geben wir also gleich auf und werfen uns ihm und seiner Mannschaft zum Fraß vor, oder wie?«

      »Es gäbe da noch eine andere Option, aber die ist nicht ganz ungefährlich.«

      »Dann rück endlich raus damit! Wenn ich dem Wichser in den Arsch treten kann, dann ist mir das jedes Risiko wert.«

      »Das dachte ich mir bereits. Also, es ist so: In der Redundanzzentrale auf Ebene 2 gibt es eine Möglichkeit, die Selbstzerstörung des Bunkers auszulösen.«

      »Klingt doch gut. Wo ist das Problem?«

      »Nach Aktivierung hättest du nur fünf Minuten Zeit, den Bunker zu verlassen, bevor du ebenfalls gegrillt wirst. Das ist verdammt knapp, vor allem wenn man bedenkt, dass Pieter keinen Verdacht schöpfen darf, denn ich bin mir nicht sicher, ob er nicht vielleicht einen Weg kennt, die Selbstzerstörung wieder abzuschalten.«

      »Das schaffe ich schon.« Sandras Stimme klang entschlossen. »Wenn ich dem Professor die Eier schon nicht abreiße, kann ich sie ihm ja vielleicht ein wenig kraulen. Irgendwann frisst er mir aus der Hand, und dann trete ich ihm in den Arsch, wenn er es am wenigsten erwartet. Also, was genau muss ich tun, um das große Silvesterfeuerwerk in Gang zu setzen?«

      Der Doktor erklärte ihr mit wenigen Worten, wo sie den Auslöser für die Selbstzerstörung fand und wie dieser zu bedienen war. Sandra hörte aufmerksam zu, dann nickte sie zur Bestätigung, dass sie alles verstanden hatte.

      »Bestens«, sagte sie schließlich. »Damit steht der Plan. Ich verschaffe euch und den Kindern so viel Zeit wie möglich, dann sorge ich dafür, dass van Hellsmann und seine Brut dorthin kommen, wo sie hingehören: In den tiefsten Schlund der Hölle.«

      ***

      Bedächtig öffnete Sandra die Tür, die vom Nottreppenhaus in einen Seitengang der Ebene 2 führte. Auf der anderen Seite war niemand zu sehen, trotzdem sorgte sie dafür, dass der Türschließer die Metalltür nicht mit einem lauten Rums ins Schloss schlagen konnte.

      Da hast du dich ja wieder in eine schöne Scheiße hineinlaviert, ging es hier durch den Kopf. Aber so war es schon mein ganzes Leben lang: Egal was ich anpacke, es zerbröselt mir immer genau in dem Moment unter den Fingern, wo es verspricht, gut zu werden. Okay, ich konnte die Kinder retten – zumindest bisher. Aber ansonsten ist doch alles im Arsch, und dabei ist mehr schiefgegangen, als selbst auf die Haut von hundert Kühen passt. Ich brauche mir rein gar nichts vorzumachen, ich bin ein Freak, und Jörg ist tot. Basta. Aus die Maus. Ende Gelände.

      Sandra hieb mit der Faust gegen die nahe Wand, bereute es jedoch sofort wieder, als das dabei entstehende klatschende Geräusch die Stille durchbrach. Für einen Moment lauschte sie, ob jemand – oder besser etwas – auf sie aufmerksam geworden war.

      Noch nicht mal leise sein kann ich, selbst wenn ich es mir noch so fest vornehme. Sandra verzog verächtlich das Gesicht. Eigentlich ist es ja auch völlig schnuppe, ob mich eines von van Hellsmanns Viechern annagt oder ich mitsamt dem Scheißkerl zur Hölle fahre. Wichtig ist nur, dass der Junkie, Erich, der Doc und die anderen genug Zeit haben, die Kinder in Sicherheit zu bringen. Das was ich hier mache, ist meine letzte und vielleicht sogar einzige gute Tat in meinem Leben, also kann ich dabei auch mit Pauken und Trompeten draufgehen. Scheiß auf das Schicksal, scheiß auf das Leben – und erst recht auf das Totleben!

      ***

      Zwei Gänge weiter traf Sandra auf die ersten Bewohner dieser Ebene. Diese blickten kurz auf, als sie um die Ecke kam, stuften sie dann aber anscheinend als nicht weiter beachtenswert ein und starrten wieder leer vor sich hin.

      Sandra fragte sich, wie van Hellsmann sich das bei seiner Forderung eigentlich gedacht haben mochte. Der Professor musste ja davon ausgehen, dass ihre Gruppe aus lauter lebenden Menschen bestand, wie hätte es einer davon in die Messe auf Ebene


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