Odyssee. Ben B. Black

Odyssee - Ben B. Black


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sollte, entschied sich dann aber dagegen. Schließlich nahm sie gegenüber von van Hellsmann Platz.

      »Willkommen in meinem bescheidenen Reich«, begann der Professor das Gespräch, ohne dabei die Augen zu öffnen. »Es freut mich, dass Sie nicht auf Zeit spielen und die volle Stunde haben verstreichen lassen, aber ich habe es auch nicht anders von Ihnen erwartet.«

      Sandra wollte etwas erwidern, doch von Hellsmann hob in diesem Moment den Zeigefinger, also klappte sie den soeben geöffneten Mund wieder zu.

      »Nein, sagen Sie nichts!« Der Untote lächelte. »Ich habe es am Einatmen gehört, dass Sie sprechen wollten, aber damit verdürben Sie mir den Spaß zu erraten, wer von Ihnen denn nun meiner Aufforderung, sich hier einzufinden, gefolgt ist. Da ich keine Schüsse gehört habe, wäre der naheliegendste Schluss derjenige, dass mir jetzt mein alter Freund und Kollege Frank gegenüber sitzt. Auf der anderen Seite kann ich mir gut vorstellen, dass ihm immer noch soweit misstraut wird, um ihm nicht eine Aufgabe von solcher Wichtigkeit zu überlassen. Nun wird es also interessant: Wer von Ihnen ist kein Untoter und kann sich trotzdem hier unten bewegen, ohne Problemen mit den Angehörigen meines Volkes zu bekommen?«

      »Ihres Volkes?«, platzte es aus Sandra heraus. »Das meinen Sie nicht ernst, oder?«

      Van Hellsmann riss die Augen auf und sah Sandra an. »Sie?!? Mit Ihnen hätte ich zuletzt gerechnet, Frau Sandra. Aber offenbar ist etwas passiert, von dem ich bislang keine Ahnung hatte. Was verschafft mir die Ehre, Sie im Kreis der Unsterblichen willkommen heißen zu dürfen?«

      In Sandra arbeitete es, aber sie versuchte, sich davon nach Möglichkeit nichts anmerken zu lassen. Dass van Hellsmanns Geisteszustand Anlass zu äußerster Besorgnis gab, war ihr bereits in dem Moment klar geworden, als sie sein Ultimatum vernommen hatte. Offenbar ging seine Hybris jedoch viel weiter, als jeder von ihnen bislang dachte. Sein Volk? Die Unsterblichen? Würde er ihr gleich auch noch etwas über eine neue, bessere Menschheit erzählen?

      »Verzeihen Sie mir meine Direktheit, werte Frau Sandra, aber Sie wirken ein wenig unkonzentriert, wenn ich das einmal so sagen darf.« Van Hellsmann lächelte. »Darf ich also davon ausgehen, dass Ihr jetziger Zustand noch relativ neu für Sie ist? Aber keine Sorge, das legt sich sehr schnell. Sie werden bald die diversen Vorzüge zu schätzen lernen, die uns diese Form des Daseins bietet. Ich weiß, wovon ich spreche.«

      Der Professor kicherte in einer Tonlage, die Sandra schaudern ließ. Ihr Gegenüber bot immer mehr das Bild des irren Professors, der sich weiter und weiter in seine eigenen Wahnvorstellungen verstieg und irgendwann komplett den Kontakt zur Wirklichkeit verlor. Spätestens zu diesem Zeitpunkt würde er völlig unberechenbar sein, und niemand konnte sagen, wie lange es bis dahin noch dauerte. Also musste sie ihn so schnell wie möglich dazu bringen, ihr zu vertrauen.

      »Vermutlich haben Sie recht.« Sandra nickte. »Es ist alles noch sehr neu und ungewohnt für mich, daher bin ich nicht ganz bei der Sache. Dazu kommen ein paar, nun, nennen wir es ›Begleitumstände‹ meines Hierseins, die ich ebenfalls noch nicht ganz verdaut habe.«

      »Lassen Sie mich raten: Die anderen misstrauen Ihnen seit Ihrer Umwandlung. Ist es so?«

      »So kann man es auch ausdrücken.« Sandra lachte freudlos auf. »Ich kann mich nicht genau an alles erinnern, aber ich weiß noch sehr genau, dass ich mir eine Kugel eingefangen habe und daran gestorben bin. Als ich wieder zu mir kam, war ich bereits so, wie ich jetzt vor Ihnen sitze. Sie hätten die Reaktionen der anderen erleben sollen! Sie taten so, als würde ich die Pest verbreiten. Die Abscheu in ihren Gesichtern werde ich vermutlich nie mehr vergessen können.

      Dann verpassten sie mir diesen Gürtel – als Akt der Menschlichkeit, wie sie extra betonten – und jagten mich davon. Selbst Jörg wollte nichts mehr mit ›so einer‹ zu tun haben. Es war entsetzlich!«

      »Ich weiß, was Sie meinen.« Van Hellsmann nickte. »Der Geist der meisten normalen Menschen ist nicht in der Lage, die ihm innewohnende kreatürliche Abscheu unserer Art gegenüber zu überwinden. Aber wenn ich meine Arbeit erst vollendet habe, werden wir den Homo Sapiens in seiner jetzigen Form eh nicht mehr benötigen.«

      »Ich wusste, dass ich mich vertrauensvoll an Sie wenden kann, Herr Professor.« Sandra lächelte. »Sie würden mich verstehen und wissen, wie ich mich fühle. Denn auch in meiner neuen Form der Existenz kann ich mir nicht vorstellen, auf Dauer alleine zu sein. Schon der bloße Gedanke daran macht mich schaudern.«

      »Aber eines erscheint mir noch nicht schlüssig.« Van Hellsmann kniff das linke Auge zu und taxierte Sandra mit dem rechten. »Sie sagen, die anderen hätten Sie verstoßen, weil Sie jetzt eine von uns sind. Aber mein geschätzter Kollege Steins ist doch auch noch dort oben. Das passt nicht recht zusammen, finden Sie nicht auch?«

      »Wenn dem so wäre, hätten Sie natürlich recht. Wenn man einen Totlebenden unter sich duldet, warum dann keinen zweiten? Die Wahrheit ist, dass die Menschen die Bestien sind, nicht wir! Sie haben Frank erschlagen, ihm die ganze Schuld an dem Desaster gegeben und sich auf grausamste Weise an ihm gerächt. Erst haben sie ihm den Gürtel weggenommen, und als die Wirkung der Beruhigungsmittel nachließ den Kopf vom Körper getrennt. Eine Weile haben sie makabere Spiele mit dem immer noch lebenden Schädel getrieben, bevor sie ihm endlich den Gnadenschuss gaben.« Sandra schloss die Augen und wandte sich ab. »Es war furchtbar!«

      »Das klingt in der Tat nicht sehr schön, und es bestätigt mir das, was ich schon immer wusste: Es ist an der Zeit für eine neue Ordnung. Der Mensch hat als Krone der Schöpfung ausgedient. Nur eine Frage noch: Warum haben sie mit Ihnen nicht dasselbe gemacht?«

      »Weil ich einst eine von ihnen war. Ich vermute, sie haben aus Sentimentalität so gehandelt oder hatten einfach ein schlechtes Gewissen, keine Ahnung.« Sandra zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich war es in etwa so, als wolle man ein Kaninchen, dem man einen Namen gegeben und das man liebgewonnen hat, einfach schlachten, das bringt man normalerweise auch nicht übers Herz. Darüber hinaus brauchten sie noch jemanden, der sich mit Ihnen hier treffen würde, und da kam ich wohl gerade zur rechten Zeit.«

      »So, so. Könnte gut sein.« Van Hellsmann dachte einen Moment lang nach, bevor er fortfuhr: »Sind Sie sich eigentlich ganz sicher, dass die Umwandlung bei Ihnen spontan stattfand und nicht etwa Frank seine Finger mit ihm Spiel hatte?«

      »Ganz sicher. Doktor Steins war zum Zeitpunkt meines Todes bereits endgültig gestorben. Und von den anderen besitzt keiner das Wissen oder die Möglichkeiten, den Prozess, der Sie beide damals zu Totlebenden gemacht hat, durchzuführen.«

      »Interessant, interessant.« In van Hellsmann erwachte der Wissenschaftler. »Wenn ich ergründen kann, was Ihnen genau widerfahren ist, bringt das meine eigenen Forschungen sicherlich ein gutes Stück voran. Haben Sie etwas dagegen, dass ich sie gründlich untersuche?«

      »Nein, natürlich nicht.« Sandra lächelte ihr bezaubernstes Lächeln. »Was Ihnen hilft, hilft auch mir. Soll ich mich schon mal frei machen?«

      ***

      Hatte Sandra geglaubt, van Hellsmann würde ihren Reizen erliegen, so sah sie sich enttäuscht. Obwohl ihr Körper immer noch nahezu makellos war, nahm der Professor keinerlei Notiz davon, sondern untersuchte sie mit der kühlen Sachlichkeit und Professionalität, mit der er vermutlich auch eine Reihe von Petrischalen katalogisieren würde. Niemand hatte jemals etwas angedeutet, dass van Hellsmann sich nichts aus Frauen machte, aber vielleicht lag es ja an seiner jetzigen Daseinsform, dass er über keinen entsprechenden Trieb mehr verfügte.

      Sandra lauschte in sich hinein, während sie mechanisch den Anweisungen wie »Einatmen! Jetzt die Luft anhalten!« Folge leistete. Wie war das bei ihr? Spürte sie auch nichts mehr? Sandra konzentrierte sich und dachte intensiv an einen Schauspieler, den sie früher immer mehr als attraktiv gefunden hatte. Sie stellte sich seinen gut gebauten Körper nackt vor, wie er erregt auf sie zuging und sie mit einem verführerischen Lächeln bedachte. Da war – etwas. Aber es war anders als ihre frühere Empfindungen, trotzdem handelte es sich eindeutig um eine Form von Stimulation.

      Scheiße!, schoss es Sandra durch den Kopf. Mit diesem van Hellsmann ist anscheinend noch mehr nicht in Ordnung. Aber warte nur, mein Lieber, irgendwann


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