Der Tote unterm Weihnachtsbaum. Elke Boretzki

Der Tote unterm Weihnachtsbaum - Elke Boretzki


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so einfach war es dann doch nicht. Der Mann hier wusste um die jetzige Welt und auch, dass er nicht in sie hineinpasste. Denn er trank.

      Neben dem Heuballen, auf dem er saß, stand eine bereits über die Hälfte geleerte Wodkaflasche. In einer Ecke lagen leere Weinflaschen.

      Die graue Stute stand ruhig auf ihrem Platz, so als wüsste sie um den seligen Rausch und die damit verbundene Ruhebedürftigkeit ihres derzeitigen Mitbewohners. Nur hin und wieder schüttelte sie ihr edles Haupt oder fächelte ein wenig mit dem Schweif, wie um die aufkommende Langeweile zu vertreiben.

      Und nur dann schien ein Strahl vom Diesseits in das umnebelte Bewusstsein des Schlummernden zu dringen, denn immer dann begann er ihr die kräftige Hinterbacke zu tätscheln. Das tat er so lange bis die erschöpfte Hand erschlaffte. Nach einer Weile begann das Spiel von vorn.

      Nachdem Rosenkranz dies eine Zeitlang mit angesehen hatte, trat er näher, räusperte sich und rief mit aller Vorsicht, denn er wollte diese private Idylle nicht allzu plump zerstören, nach dem Gärtner.

      Doch statt des Angesprochenen reagierte die sensible Stute. Sie drehte sich abermals zu ihm um, schüttelte prustend das Haupt und betrachtete ihn mit sanften, feuchten Augen. Mechanisch wurde ihr gerade wieder einmal die Hinterseite getätschelt.

      Schnell und etwas lauter rief Rosenkranz noch einmal den Namen des Gärtners.

      Mit mehreren Sekunden Verzögerung und unendlich langsam löste der Angesprochene den Kopf von der Flanke des Pferdes und wandte sich zögernd dem Störenfried zu.

      „Herr Bergeslow, nehme ich an?“ Froh, dass der Mann nicht sturzbetrunken war, nickte Rosenkranz ihm freundlich zu.

      „Falsch!“, grunzte der denn auch prompt. Als er den irritierten Gesichtsausdruck von Rosenkranz wahrnahm, fügte er undeutlich hinzu: „Von Bergeslow bitte. So viel Zeit muss sein!“

      „Ah ja, entschuldigen Sie, Herr von Bergeslow. Sie sind hier der Gärtner?“

      Von Bergeslow rutschte auf seinem Heuballen herum, klopfte der sanften Stute nochmals das Hinterteil und sah mit zusammengekniffenen Augen zum Fenster empor, durch das die Sonne schräg ihre Strahlen schickte.

      Ohne Rosenkranz anzublicken murmelte er: „Im Moment ja. Ich mache sozusagen alles. Was wünschen Sie?“

      „Ich bin sozusagen von der Polizei und wollte Ihnen einige Fragen stellen. Mein Name ist Rosenkranz“

      Der Mann sah Rosenkranz erschrocken an. „Was wollen Sie von mir?! Ich habe nichts getan!“ Offenbar hatte er vergessen, dass im Haus ein Mord geschehen war. Rosenkranz musste ihn beruhigen.

      „Das behauptet ja keiner. Aber wie Sie wissen, ist Ihr Arbeitgeber, Herr Maus, aus noch ungeklärten Gründen … ehm … nicht mehr am Leben. Daher muss Kommissar Höflich Ihnen, wie allen anderen Zeugen auch, einige Fragen stellen. Ich bin …“

      „Aber ich weiß gar nichts!“, unterbrach Herr von Bergeslow mit schriller Stimme.

      „Ich bin“, begann Rosenkranz erneut, „nun gekommen, Sie ins Haus zu ho … ehm zu bitten.“

      Der Gärtner zögerte. Dann nahm er einen großen Schluck aus der Wodkaflasche. „Zum Warmhalten“, erklärte er.

      „Klar.“ Rosenkranz zeigte Verständnis.

      Dann musste Herr von Bergeslow erst einmal nachdenken. Dabei kratzte er sich das von grauen Bartstoppeln bedeckte Kinn. Langsam schien es ihm wieder einzufallen. Rosenkranz wartete. Nach einem zweiten Schluck war die Erinnerung wieder da.

      „Und Sie können mir dafür garantieren, dass mich niemand verhaftet und mitnimmt und in eine Zelle steckt?“ Besorgt sah er Rosenkranz an.

      „Wenn Sie nichts getan haben, wird Sie niemand verhaften. Das garantiere ich Ihnen.“ Geduldig wartend stand Rosenkranz vor der Box.

      „Ach dann bleibe ich lieber hier.“ Mit diesen Worten lehnte sich Herr von Bergeslow wieder gegen den Bauch der Stute und bettete die Wodkaflasche auf seinen Schoß.

      „Ich fürchte aber, dass das so einfach nicht geht.“ Rosenkranz suchte nach überzeugenderen Argumenten. „Wenn Sie sich weigern auszusagen, wird man vermuten, dass Sie unter Umständen schuldig sind, Sie mitnehmen und womöglich in eine Zelle stecken.“

      „Nein!“, zeterte von Bergeslow. „Nicht in eine Zelle!“

      „Gut. Dann kommen Sie also mit ins Haus.“ Das war eine Feststellung. Rosenkranz sah wie der Gärtner mit sich rang. Schließlich erhob er sich schwankend. „Gut, für ein paar Minuten.“

      Es dauerte dann noch einige Zeit, bis sie beide am Haus ankamen, denn Herr von Bergeslow hatte mittlerweile einen Alkoholpegel im Blut, der ihm das Laufen erheblich erschwerte.

      Rosenkranz brachte ihn in die Bibliothek und machte sich dann auf die Suche nach seinem Chef. Den Hund hatte er vergessen.

      Als er durch die Halle ging, kam er an der Küche vorbei und dachte sich, dass er ebenso gut einmal hineingehen und nach den Zeuginnen sehen konnte.

      Als er eintrat, empfingen ihn fröhliche Stimmen. Weihnachtspunsch wurde ausgeschenkt und Wünsche zum Fest ausgetauscht. Ein besonders Vorwitziger stimmte sogar ein Weihnachtslied an. Es war warm und gemütlich.

      Rosenkranz brauchte nicht lange, ehe er sie entdeckte. Ihr blondes Haar leuchtete zwischen Schultern und Köpfen hervor. Anita Klingbeil unterhielt sich gerade mit Tropfstein, der zweite Mann nach Kirschkern bei der Spurensicherung. Mit zwei Schritten war er bei Ihnen, mischte sich ein wenig ins Gespräch und klinkte Tropfstein dann ganz raus, in dem er seine eigene Wichtigkeit ein wenig hervorhob.

      Das Ganze war nicht schwer, denn Tropfstein war, wie der Name schon sagte, ein Tropf. Eingeschnappt zog er ab.

      Endlich hatte Rosenkranz sie für sich allein und verstrickte sich mit ihr in ein Gespräch.

      Normalerweise war er ein pflichtbewusster Mitarbeiter. Trotzdem waren für kurze Zeit der Gärtner, der Mord und der Kommissar vergessen.

      Als Kommissar Höflich durch den Hintereingang in die Halle trat, fiel er dem Gesuchten, nämlich Kirschkern, direkt und im wahrsten Sinne des Wortes in die Arme. Und das alles andere als elegant.

      Das Team der Spurensicherung, das bis auf einige wenige Details seine Arbeit beendet hatte, begann zusammenzupacken. Wenigstens das nahm Höflich wahr, als er, noch vom Schnee und der langsam untergehenden Wintersonne geblendet, in den etwas dunkleren Raum trat.

      Doch was er nicht bemerkte, war das Detail, oder besser Knüppel, den jungen Praktikanten, der auf dem Boden nahe der Tür herumkroch, den Kopf verborgen unter einem kostbaren Rokoko Stuhl, das Hinterteil in die Höhe gereckt, ein Ärgernis für jeden nichtsahnenden Eintretenden.

      Ehe Kommissar Höflich wusste wie ihm geschah, stießen seine Knie an einen Gegenstand, während sich bereits seine Füße vom Boden lösten und er sich, platt vor Verwunderung, fallen sah, mit dem Kopf zuallererst. Vergessen waren alle Abrolltechniken. Gab es sie überhaupt? Vergessen waren die eigenen Hände, die ihn hätten schützen müssen, steckten sie doch noch immer gemütlich in den Hosentaschen, in der einen umfassten sie einen Knetball, in der anderen die notwendigen Zigaretten.

      So sah er, gelähmt vor Schreck, den edlen Parkettboden auf sich zukommen und erahnte bereits den unvermeidlich schrecklichen Aufprall, als er sich plötzlich an beiden Schultern gepackt fühlte. Nur wenige Zentimeter trennten seine Nase noch vom Boden, als er im unfreiwilligen freien Fall von Kirschkern und einem seiner Mitarbeiter gestoppt werden konnte.

      Mühsam und entschieden zu unsportlich rappelte er sich auf. Die Hilfe von Kirschkern und seinem Faktotum hatte er dabei von sich gewiesen. Es war auch so schon peinlich genug. Blinzelnd sah er sich um. So gut wie alle Personen, so schien es ihm, die sich zu dieser Stunde im Haus befanden, standen um ihn herum. Na gut, fast alle. Vielleicht hätte er sich verneigen sollen.

      „Mist!“ Höflich


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