Zuckerrübenmord. Gerd Hans Schmidt
auf!«
»Ach Helmi, du hast ja recht. Ilse erwartet eine Entscheidung von mir. Das hat schon im Urlaub angefangen. Aber du weißt schon, ich und heiraten, das ist so eine Sache.«
»Denk’ dran Wolff, wer war für dich da, als es dir nicht gut ging? Aber lass das nur einen der Gründe sein. Ilse ist eine fantastische Frau, in jeder Hinsicht! Da müsstest du Lichtjahre warten, bis wieder so eine kommt. Und wahrscheinlich kommt so eine reizende, attraktive und kluge Frau gar nicht mehr.«
»Komm, schenk’ mir noch einen Schnitt ein. Heute werde ich nichts mehr entscheiden!«
Helmi lacht. »Typisch, lass dir’s schmecken. Ich muss mal zu den Japanern da rüber, die möchten was über die Burg wissen.«
Zuhause liegt auf dem Esszimmertisch ein Prospekt mit Cocktailkleidern, den ich versuche zu übersehen.
»Hat der Herbert angerufen, Ilse?«
»Nein, aber der Chef. Du sollst morgen reinkommen.«
»Morgen? Am Sonntag? Ich sollte doch erst am Montag antreten.«
»Wolff, der war ungewöhnlich aufgeregt. In der U-Bahn vor der EU-Agrarbehörde wurde einer vor den Zug gestoßen, einer aus der Behörde, einer von weiter oben. Du weißt: wichtig!«
»Wann? Tot?«
»Gestern Nachmittag. Ist grad noch gut gegangen. Er wurde nur leicht verletzt. Den Angreifer hat er nicht gesehen. Du sollst das sofort übernehmen.«
»Hat das nicht Zeit bis Montag?«
»Wolff, ich sagte wichtig! Und die Politik scheint auch schon ihre Nase mit drin zu haben. Sag dem Chef, ich komme am Montag dazu. Morgen kann ich nicht, ich muss mich um meine Mutter kümmern. Herbert kommt morgen auch.«
*
Die Miene von Dr. Ruschka, unserem Chef, ist sehr ernst. »Meine Herren, der Mann ist zwar nicht tot und wahrscheinlich war es auch ein Unfall, aber wir sind von ganz oben gebeten worden uns mit allen Mitteln an die Aufklärung der Sache zu machen. Der Minister hat mich persönlich angerufen und auch noch seinen Staatssekretär, den Mohnleitner, zu mir geschickt!«
»Den Mohnleitner. Den kenn’ mer scho.«
»Den kennen wir?«
»Scho, Chef. Den kenn’ mer wergli. Sozusag’n Reitersmanns Alibi in unser’m letzten Fall!«
Ich muss damit Schluss machen. »Herbert, das gehört jetzt nicht hierher!«
»Richtig, Herr Wagner, das spielt keine Rolle, ob wir den kennen oder nicht. Die Lage ist zu ernst für solche Späße. Also, meine Herren. Das Opfer, Sie wissen schon, der Verletzte, ist ein Professor Dr. Habermüller, Referent und Leiter der Abteilung für Agrarsubventionen Bayern. Der bearbeitet dort nicht selten Zuschussanträge in Millionenhöhe. Die Zuschüsse gehen an große Agrarbetriebe, aber auch an Industrieunternehmen, von denen man meinen könnte, dass die gar nichts mit Landwirtschaft zu tun haben. Und Ihnen ist klar, wo großes Geld fließt, will die Politik immer alles wissen und immer dabei sein. Dieser Dr. Habermüller fährt also grundsätzlich mit der U-Bahn zur …«
»E-U-Agra-Behö!«
Der Herbert kann heute seinen Mund wieder nicht halten.
»Richtig, Herr Wagner. Zur EU-Agrarbehörde in Nürnberg, U-Bahn-Haltestelle Gercherplatz. Gestern Nachmittag wollte er wie immer um 18.30 Uhr nach Hause fahren und wartete am Gleis auf die schon einfahrende Bahn, als er von hinten einen heftigen Stoß bekam. Er stürzte aber Gott sei Dank nicht in das Gleisbett. Weil der Waggon schon eingefahren war, prallte er gegen das Führerhaus, wurde zurückgeschleudert und fiel auf den Bahnsteig. Wie durch ein Wunder verletzte er sich nur an der Schulter. Soll ziemlich sportlich und durchtrainiert sein, der Mann. Vielleicht wäre sonst mehr passiert.«
»Und gesehen hat’s natürlich keiner?«, will ich wissen.
»Nein. Da war nur eine Gruppe Jugendlicher aus der Oberpfalz, die dort recht rumgealbert haben und mit sich selbst beschäftigt waren. Die haben dem Professor dann auf die Beine geholfen, aber vorher nichts bemerkt.«
»Also kann es auch reiner Zufall gewesen sein, ein Verrückter, ein Betrunkener, ein völlig Durchgebrannter, so was kennen wir ja zur Genüge.«
»Sicher, Herr Schmitt. Das ist in diesem Fall die wahrscheinlichste Version. Aber die Reaktion aus München macht mich etwas nachdenklich. Wie soll ich das ausdrücken, zu schnell, zu massiv, zu nervös, ja eigentlich mehr nervös als schnell und massiv. Der Mann muss richtig wichtig sein in dieser Behörde.«
»Vielleicht hot der an nix ausbezahlt, der wos a Geld hobn wollt!«
Herbert ist in seinem Element!
»Meine Herren, so daneben muss der Herr Wagner nicht liegen. Ich habe mich auf die Schnelle und nur sehr oberflächlich über solche Vergaben schlau gemacht. Es geht um verdammt viel Steuergeld aus Brüssel. Ein Antrag abgelehnt, ein Konkurrent bevorzugt, und schon hat man ganz nette Feinde. Leute, es geht im Jahr um fast sechs Milliarden Euro, die einen Abnehmer suchen.«
»Ich verstehe. Und nicht alles geht immer mit rechten Dingen zu, wie so oft halt bei öffentlichen Mitteln. Ein Bekannter von mir hat einen Nachbarn, der ist Frührentner und hält so aus Spaß an der Freude ein paar Schafe. Der kassiert im Jahr 4000 Euro, nur damit er seinem Hobby nachgehen kann.«
»Ich glaube nicht, Herr Schmitt, dass sich der Professor mit solchen Summen groß befasst. Die liest er und gibt sie an einen anderen Beamten weiter. Unter sechsstellig macht der das nicht. Eher noch siebenstellig.«
»Woher …?«
»Ich habe da so meine Quellen, Herr Schmitt. Sie und Frau Merkel haben morgen einen Termin bei Dr. Habermüller in der Behörde. Die müssen dort, außer dem Professor natürlich, nicht wissen, dass Sie von der Polizei sind. Also bitte unauffällig vorgehen! In der Behörde ist der Vorfall noch nicht als solcher bekannt. Offiziell hatte Dr. Habermüller einen Radunfall. Derzeit sind nur wir hier, Frau Merkel und natürlich das Ministerium eingeweiht. Also äußerste Diskretion, bitte!«
»Selbstverständlich. Vor allem Ilse hat da ja Erfahrung.«
»Und Herr Wagner, ich weiß, dass ihre Freunde von der Presse noch etwas gut haben bei Ihnen. Aber ein Satz in der Zeitung und das war’s dann mit Ihrer Pension!«
»Iss scho recht, Herr Dr. Ruschka. So bleed bin ich etz a widder net. Des war etz überflüssig.«
Wo er recht hat, der Herbert, da hat er recht.
»Geh Herbert, du verstehst dein Handwerk schon und unser Chef weiß das auch zu schätzen, stimmt’s, Herr Dr. Ruschka?«
»Ja. Und jetzt ist Feierabend, Leute.«
Ich hatte Ilse noch ein ganz feines Abendessen versprochen vor meinem Dienstantritt. Sie kam heute aber so entnervt von ihrer Mutter zurück, dass ich den Tisch im Restaurant stornieren musste. Ilse war einfach nicht in der passenden Stimmung für ein Gourmetmenü. Stattdessen konnte ich sie überreden, zum Kuchlbauer am Tiergärtnertor zu gehen um Nürnberger Bratwürste zu essen. Das ließ sich auch gut mit einem Spaziergang durch die Nürnberger Altstadt verbinden. Das Lokal ist neben seiner regionalen Küche bekannt für sein Hefeweizen, Kuchlbauers Weiße, ein herber Genuss. Das Gebräu hebt sich lobenswert von vielen anderen fränkischen Bieren ab, die eher etwas süßlicher gebraut sind. Geschmackssache.
Acht Nürnberger mit Sauerkraut und frischem Schwarzbrot werden uns serviert. Der Chef persönlich begrüßt uns freudig. Wir hatten uns dieses Jahr am Nürnberger Bierfest an seinem Weißbierstand kennengelernt und über die Braukunst unterhalten. Das Nürnberger Bierfest ist alljährlich eine der attraktivsten Veranstaltungen in der Stadt. Im Mai oder Juni, je nachdem, wie Pfingsten fällt, versammeln sich im Burggraben an die 40 fränkische Brauereien mit ihren kleinen Schenken und werben um den Durst der Besucher. Es fehlen auch nicht duftende Essensstände, die die Mägen der Gäste mit fränkischen Spezialitäten versorgen. Jeden Abend, von Mittwoch bis Sonntag, gibt es Livemusik auf vier Bühnen.
»Meine