Zuckerrübenmord. Gerd Hans Schmidt
habe den Eindruck, dass sie mir gerne hier in Nürnberg auf die Nerven gehen möchte. Ich habe ihr aber unmissverständlich zu erkennen gegeben, dass das nicht in Frage kommt!«
»Deine Mutter ist nicht unvermögend, sie könnte sich viel Abwechslung leisten. Reisen, Theaterbesuche, das ganze Programm halt.«
»Vergiss das ganz schnell. So etwas kostet Geld und das trägt man lieber auf die Bank als sich ein Vergnügen zu gönnen. Kennst sie ja. Aber lass uns über etwas anderes reden. Was steht morgen an?«
»Supergeheime Geheimveranstaltung!«
Ich berichte Ilse vom Stand der Dinge.
»Dieser Professor Dr. Sowieso scheint eine enorm wichtige Person zu sein.«
»Das dürfte richtig sein. Sein Wohlergehen wird sogar aus dem Ministerium beobachtet. Aber kein Wunder, der sitzt am Geldhahn, der mit der Leitung aus Brüssel verbunden ist. Er entscheidet über die Agrarsubventionen.«
»Muss er sich da nicht streng an die gesetzlichen Vorschriften und Vergaberichtlinien halten?«
»Sollte man denken. Ich kenne mich mit diesen Sachen nicht so gut aus. Ich befürchte aber, es ist wie üblich in Deutschland. Man bringt es hier nur zu etwas, also im konkreten Fall zu einem dicken Geldbeutel, wenn man es gut versteht, die Vorschriften zu umgehen, Gesetzeslücken zu finden und Dinge so auszulegen, wie man es gerade braucht. Und Helfer sind natürlich auch gefragt, bei diesem Geschäft. Solche, die letztlich die Anweisungen geben. Du verstehst, was ich meine. Weißt du, warum der deutsche Beamtenapparat so gut verdient und bis ins hohe Alter bestens versorgt wird? Das ist reine Bestechung fürs Regelnbrechen!«
»Wolff!«
»Ist doch so, Ilse. Oder wurdest du noch nie bei Ermittlungen von oben zurückgepfiffen? Also nicht hier bei der Mordkommission, sondern früher, bei den Wirtschaftssachen?«
»Du meinst den Rühl-Fall. Das war eine Sauerei. Wir hatten den wegen seiner illegalen Exporte praktisch kurz vor der Verhaftung, als der Anruf kam. Am nächsten Morgen sollte die Hausdurchsuchung sein. Und dann waren unsere Akten auch noch verschwunden. Angeblich hatte die das LKA angefordert, aber dort wusste keiner was davon, ich habe da jemand sitzen, den ich von der Ausbildung her kenne. Du magst ja recht haben, Wolff.«
»Also wir fahren morgen zu dieser Behörde, melden uns ohne Dienstgrad an und plaudern mit dem Mann. Ich weiß zwar nicht, was dabei rauskommen soll, weil er ja offenbar niemanden gesehen hat, aber wenn es die Politik beruhigt! Zum Wohl.«
»Der schöne Minister. Was hat der eigentlich mit Agrarsubventionen zu schaffen?«
»Frag ihn einfach, wenn du ihn schon so gut kennst. Der schöne Minister, ich lach mich kaputt! Wirt, noch ein Weißbier und einen Pinot Noir!«
*
Die EU-Behörde für Agrarsubventionen ist ein riesiger grau-brauner Klotz. Ein sechsstöckiges Zentralgebäude mit großem, säulengestützten Eingangsportal ist eingerahmt von zwei fünfstöckigen Quadern. Unzählige weiß gerahmte Fenster sind in jedem Stockwerk in genau gleichem Abstand eingebaut, ebenso weiße Fensterkreuze teilen die Scheiben. Alles ist genau symmetrisch angeordnet. Der Anblick ist nicht gerade einladend und erinnert an dunklere Zeiten. Der Bau ist eine eher bedrohliche Erscheinung.
Fast 2000 Menschen arbeiten hier. Überwiegend Beamte im gehobenen und höheren Dienst, nur wenige Angestellte. Verwaltung ist Vertrauenssache und man braucht dazu eine Menge dieser kleinen, gehorsamen Helferlein, die ohne viel zu fragen ihren Dienst tun und dafür reich belohnt werden. Wie im Märchen. Gute Besoldung, beste Sozialleistungen und üppige Renten. Und natürlich unkündbar. Dafür dürfen die aber auch nicht streiken, was sie eh nicht möchten, weil das eher anstrengend ist und sich hier noch niemand zu Grunde gerichtet hat bei der Arbeit. Und spätestens um 15.45 Uhr fliegt der Stift aus der Hand oder was auch immer. Wahrscheinlich täten’s auch 1200 Mitarbeiter, aber das ist sicher reine Spekulation!
Ich musste mich heute extra in meinen feinen dunklen Anzug zwängen, Ilse trägt ein dunkelblaues Kostüm mit einem Rock bis kurz unter die Knie. Nein, nicht so wie in Zürich, aber schon schick. Wir müssen durch die Metalldetektoren am Eingang, weil wir unsere Ausweise nicht vorzeigen sollen. Waffen haben wir natürlich auch nicht dabei.
»Herr Schmitt und Frau …«
»Ja, wir sind bei Professor Dr. Habermüller angemeldet.«
»Dürfen wir Sie über die Treppe dort in den vierten Stock bitten, der Aufzug ist leider gerade außer Betrieb. Dann bitte dem Schild ›Ost Bau‹ folgen, Zimmer 411, Sie werden erwartet.«
Die Flure sind genauso grau, langweilig und düster wie der ganze Bau. Tür neben Tür in jeweils gleichem Abstand.
»Das ist wie im Bienenstock hier, Ilse. Hinter jeder Tür sitzen fleißige kleine Arbeiterchen und hinten kommt der Honig raus!«
Ilse lacht. Nach etwa sechzig Metern in diesem dunklen Gang stehen wir vor Zimmer 411. Auf dem Schild rechts neben der Tür steht »Vorzimmer Prof. Dr. Habermüller, Abteilungsleiter Sonderfragen«. Interessant und schön ausgedrückt.
Es begrüßt uns ein großer, schlanker Mann, etwa Mitte vierzig. Der durchtrainierte Körper lässt sich selbst unter dem grauen Anzug nicht verbergen. Der Professor ist, wie man sagt, gut aussehend und wirkt durchaus sympathisch. Sein Händedruck ist fest und verbindlich. Er bietet uns freundlich zwei Stühle an seinem Besprechungstisch an.
»Ich habe uns jetzt einfach mal Espresso bestellt, ich hoffe, dass ich Ihnen damit eine Freude machen kann.«
Diese offene Freundlichkeit überrascht. Ich lasse Ilse den Vortritt, um mit den Fragen zu beginnen.
»Herr Professor Dr. Haber …«
Er unterbricht Ilse sofort. »Ich heiße Hans Habermüller und dabei belassen wir das ab jetzt. Meine akademischen Grade haben zwar viel Arbeit und Einsatz gekostet, aber dafür sind sie echt«, er lacht, »aber es reicht voll und ganz, wenn die da draußen auf dem Schild stehen. Nur der Minister legt Wert darauf, aber nur, weil ich ihn dann auch mit Herr Dr. anreden muss. Übrigens ein Dr. h.c. Das ist ein eingebildeter Mann, der seine Überzeugungen mit der Windrichtung ändert.«
Wir sehen uns völlig verblüfft an.
»Also gut, Herr Hans Habermüller. Sie sind sehr offen und wir behandeln das diskret«, fährt Ilse fort.
»Ach wo, Frau Merkel, übrigens ein schönes Kostüm, das Sie da tragen, meine Einstellung zur Politik ist hier kein Geheimnis. Schau’n Sie, mit meiner Qualifikation in Agrarwissenschaften und Betriebswirtschaftslehre kann ich schon morgen einen hoch dotierten Posten in der Wirtschaft übernehmen, und das EU-weit. Brüssel hat auch schon angeklopft«, er macht eine Pause, »außer, es bringt mich vorher jemand um!«
Sein Gesichtsausdruck wird schlagartig ernst.
»Genau aus dem Grund sind wir leider hier bei Ihnen«, ich übernehme jetzt die Fragestellungen, »können Sie uns überhaupt konkrete Angaben zu dem Vorfall machen und wie geht es Ihnen jetzt?«
»Tja, ich kann Ihnen über meine Schmerzen mehr sagen, als über den Angriff. Wie Ihnen ja schon bekannt ist, fahre ich jeden Tag mit der U-Bahn zum Büro und wieder nach Hause. Etwas später übrigens, als die meisten Beschäftigten hier. Am Bahnsteig hänge ich gerne etwas meinen Gedanken nach und interessiere mich nicht so für meine direkte Umgebung, ist sowieso jeden Tag das Gleiche. Plötzlich kam der Stoß von hinten, mit beiden Händen gegen meine Schultern, nein warten Sie, etwas unterhalb der Schulterblätter. Aber sein Timing war schlecht, ich stürzte nicht vor, sondern gegen den Zug.«
»Wieso er?« Ilse sieht Habermüller verwundert an.
»Es war keine Frau, ganz sicher nicht!«
»Können Sie uns das näher erklären, Sie haben doch niemanden gesehen?«
»Selbstverständlich. Ich habe früher einige Kontaktsportarten betrieben. Die ganze asiatische Kampfsportpalette, auch die ausgefallenen Sachen. Ein Mann nähert sich dem Körper eher langsam, um dann unmittelbar nach der Berührung