Mrs. Lewis. Patti Callahan

Mrs. Lewis - Patti Callahan


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Kater gehabt. Aber hier ist alles ausgesprochen … zivilisiert.“

      Jack lachte, und George sah mich mit seiner gerunzelten Stirn an. Ich schenkte ihm mein bestes Lächeln. „Mr. Sayer, Jack sagt, Sie haben bei ihm studiert? Was machen Sie heute?“

      „Ich unterrichte am Malvern College.“

      „Oh, Sie Glückspilz! Hier in Oxford“, fuhr ich fort, „frage ich mich unwillkürlich, wie anders mein Leben wohl verlaufen wäre, wenn ich es in einer Stadt wie dieser mit Männern wie Ihnen beiden verbracht hätte.“

      „Ich vermute, Sie haben viel mehr davon, Ihr Leben mit anderen Männern als uns zu verbringen.“ George hob sein Glas. „Wir können ziemlich langweilig sein.“

      „Aber das intellektuelle Leben hier – seit, warten Sie, neunhundert Jahren?“ Ich beugte mich vor. „Das muss doch ungemein stimulierend sein.“

      „Ja“, sagte Jack. „Ist es. Aber zuweilen kann das ständige Lehren, Prüfen und Vorlesungen halten auch ganz schön eintönig werden.“

      „Nun, ich hätte mich gerne mal darin versucht.“

      Dann erzählte Phyl irgendeinen Witz, an den ich mich nicht mehr erinnern kann, und wir begannen, ungezwungen und unter viel Gelächter zu plaudern. Es gab ein Lachspüree, so leicht wie Schlagsahne, und ich wusste schon bald nicht mehr, wie oft uns Wein nachgeschenkt wurde. Infolgedessen nahm die Heiterkeit sprunghaft zu. Witze wurden schlecht erzählt und Geschichten mit allerlei Ausschmückungen versehen. Wir unterhielten uns über die bevorstehende Krönung der neuen Königin und über die Teerationierung. Es war ein langes Mittagessen, aber es fühlte sich an, als wären es nur fünf Minuten. Oft trafen Jacks und meine Blicke aufeinander, und wir lächelten uns schüchtern an. Wir kannten einander so gut wie alte Freunde – er hatte von meinen Geheimnissen und Ängsten gehört –, und doch konnten erst jetzt unsere Augen sich begegnen, wie es unsere Gedanken längst getan hatten.

      „Wie sind Sie an die Werke unseres Freundes geraten?“, fragte George schließlich, als das Trifle zum Dessert serviert wurde.

      „Wie Jack bin ich von Gott überrascht worden. Wir haben uns beide in der Mitte des Lebens bekehrt.“ Ich lächelte zu Jack hinüber und sah dann wieder George an. „Als ich acht Jahre alt war, las ich die Outline of History von H. G. Wells und marschierte geradewegs ins Wohnzimmer, um meinen jüdischen Eltern zu erklären, ich sei nun Atheistin.“

      George zuckte zusammen. Ich sah es und wusste, dass es an dem Wort jüdisch lag. Die Briten konnten ebenso von sich behaupten, keine Antisemiten zu sein, wie die weißen Amerikaner von sich behaupten konnten, keine Rassisten zu sein, während sie zugleich in ihren Schulen und ihren Wohnvierteln Rassentrennung betrieben.

      „Wir haben über unseren geistlichen Werdegang korrespondiert“, sagte Jack zu George und wandte sich dann an mich. „Und Sie haben mich auf Lücken und fehlende Gedankenschritte in manchen meiner Argumente aufmerksam gemacht. Ich muss sagen, mir ist selten eine so würdige Gegnerin begegnet.“

      Gegnerin? Ich wollte alles andere sein als das.

      George räusperte sich. „Nun, sagen Sie, Mrs. Gresham, wie gefällt Ihnen England? Sie sind jetzt seit einem Monat hier, nicht wahr?“

      „Was soll ich sagen? Ich habe mich verliebt, Mr. Sayer. Hals über Kopf leidenschaftlich verliebt.“ Ich merkte an der Wärme auf meinem Gesicht und meinem Hals, dass ich rot wurde. Meine Hand wanderte zu meinem Dekolleté und begann mit den Perlen zu spielen, die ich mir am Morgen um den Hals gehängt hatte, und ich holte tief Luft. „Ich spreche von England, versteht sich!“

      George nickte und tupfte sich mit einer Serviette die Lippen.

      Wie so oft, wenn ich nervös war, flüchtete ich mich in einen Redeschwall. „Ich liebe alles hier. Ich habe mir schon die Füße wund gelaufen. Das goldene Licht bezaubert mich. Und wie kann es sein, dass die Luft sich hier weicher anfühlt? Keine Ahnung, aber es ist so! Die Freundlichkeit Fremden gegenüber ist unvergleichlich. Und die Pubs!“ Ich atmete aus. „Ich liebe die Pubs. Die dunkle Gemütlichkeit, das Gemurmel der Gespräche, die Musik, die von einem Mann kommt, der irgendwo in der Ecke sitzt und fiedelt.“

      George brach in herzhaftes Gelächter aus. „Ganz offensichtlich haben Sie den verdammten englischen Nebel noch nicht gesehen. Warten Sie nur ab; wir werden sehen, ob Sie unser Land dann noch so romantisch finden. Wogegen ich übrigens nicht das Geringste habe.“

      Jack hob sein Glas. „Als ich Oxford zum ersten Mal sah, schrieb ich meinem Vater, diese Stadt übersteige meine wildesten Fantasien mit ihren berühmten Turmspitzen und Türmen. Ich beneide Sie um Ihren Blick auf Oxford. Dieses erste Mal hat man nur einmal.“

      Wir wurden alle still und widmeten uns langsam unseren Desserts, als ob keiner von uns den Abschied herbeisehnte, der danach kommen musste. Jack fehlte mir jetzt schon, obwohl seine Abwesenheit bislang nur eine Vorstellung war, da wir ja noch zusammensaßen.

      Dann stand er auf, wischte sich ein paar Krümel vom Jackett und lächelte mich an. „Wie wär’s, wir machen einen Spaziergang zum Magdalen College, und ich führe Sie ein bisschen herum, wenn Sie Zeit haben.“

       Wenn ich Zeit habe …

       11

       Between two rivers, in the wistful weather, Sky changing, tree undressing, summer failing

      „Sonnet VI“, Joy Davidman

      Der September in Oxford ist eine Pracht aus Farben und seidiger Luft, aus Goldtönen und efeubedeckter Hoffnung. Es war, als wäre man versetzt worden in das Land eines Märchens, von dem man vergessen hatte, dass man es gelesen hat.

      Ich schlenderte neben Jack her, während er bei jedem Schritt seinen Gehstock schwenkte. Sein Anglerhut saß ihm schief auf dem Kopf. Wir überquerten die High Street, und ich sah zum ersten Mal das Magdalen College vor mir, das Ehrfurcht gebietend am Ufer des Cherwell lag. Ich blieb wie angewurzelt stehen. „Umwerfend!“ Ich bestaunte den steinernen Turm des Colleges, dessen acht Zinnen zum tiefblauen Himmel emporragten. Eine mächtige Befestigung aus Mauern und Türen umringte die Kalksteingebäude.

      „Ich war ebenso überwältigt, als ich es zum ersten Mal sah“, sagte Jack. „Es geht mir immer noch so. Aus der Nähe ist es genauso schön. Kommen Sie.“

      „Wissen Sie“, sagte ich, „nach dem hektischen Trubel in London und den Trümmerfeldern dort kommt mir das hier so ursprünglich und unberührt vor.“

      Ein Ausdruck von Wehmut glitt über Jacks Gesicht, aber dann wandte er sich mir zu und nickte. „Ja, die Bomben sind uns erspart geblieben – Hitler hatte vor, sich Oxford einzuverleiben, und wollte es erhalten. Wir haben einige Male Flugzeuge kommen sehen, die dann aber am Fluss nach links oder rechts abdrehten.“

      Ich schaute unwillkürlich nach oben, als schwirrten dort auch jetzt Flugzeuge über uns hinweg. „Ich bin so froh, hier zu sein.“

      „Ich freue mich, dass Sie die Reise unternommen haben.“ Er lächelte mich an.

      Phyl und George gingen voraus durch die große Holztür des Colleges. Jack und ich blieben allein zurück. Das gelbe Laub bildete einen dicken Teppich unter unseren Füßen, während sich noch ein paar wenige Blätter mit ihren zarten Stielen an die Bäume klammerten. Grabsteine waren am Rand des Bürgersteigs genauso selbstverständlich wie Bänke oder steinerne Mauern.

      Wir gingen gemächlich; ich hatte es nicht eilig. Die graue, verwitterte Holztür zum Magdalen College, die so imposant wie die Türen am Buckingham-Palast waren, die ich gesehen hatte, ließen wir links liegen, und Jack führte mich zuerst über eine steinerne Brücke. Auf halbem Weg blieb er stehen, und wir lehnten uns zusammen an das alte Mauerwerk und ließen den Anblick des Cherwell auf uns wirken. Als wir so nebeneinanderstanden, unsere Schultern nur einen Hauch voneinander


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