Von nichts kommt niemand. Udo Hermann
für die überlegt formulierten Texte. Die Terminvereinbarung für ein Vorstellungsgespräch ist für die Interessierten nur einen Mausklick entfernt.
Weiteres Beispiel: Im Nachbarort stellt eine Patisserie in handwerklicher Qualität süße Desserts mit über 70 Mitarbeitern her. Diese hat einen besonderen Raum eingerichtet und beschreibt ihn in ihrem Web-Blog mit folgenden Worten: „Je besser die Ausbildung, desto höher die Kompetenz, desto höher die Motivation, desto größer unser aller Erfolg.“ Wir wissen alle, was gerne einmal zu kurz kommt, z. B. Neues sehen, auf neue Ideen kommen, überlegen, experimentieren, über Dinge nachdenken, die nicht in zwei Wochen wichtig sind, sondern vielleicht in zwei Jahren. Wir wissen, dass solche Sachen entscheidend sind. Wir müssen ihnen Raum geben. Im wörtlichen Sinne: die Patisserie-Lehrwerkstatt, ein Raum zum Zaubern, Experimentieren und Lernen. Wer bekommt bei so einem emotionalen Text nicht Lust, diesen Raum anzuschauen?
Praxistipp
Biete etwas für Jugendliche, das es in anderen Handwerksbetrieben nicht gibt.
Beispiel: Leihfahrrad oder Billardtisch. Als persönliches Geschenk kommt ein Gehörschutz mit eingebautem Radio gut an!
Eine Werkstatt zum Zaubern, Experimentieren und Lernen | Foto: Udo Herrmann
2.1 Warten reicht nicht mehr
Zu Beginn dieses Kapitels habe ich die Ausbildungsmesse genannt. Mein Freund ist Firmengründer und Geschäftsführer der Firma Procase. Er ist Jahrgang 1968 und hat im Alter von 19 Jahren alleine begonnen, mobile Transportgehäuse für Musikequipment herzustellen. Mittlerweile beschäftigt sein Unternehmen 55 Mitarbeiter an zwei Produktionsstandorten, davon sind 10 in der Ausbildung. Der Altersdurchschnitt des ganzen Teams beträgt 32 Jahre.
Jugend wirbt Jugend auf Ausbildungsmesse | Foto: T. Schweighart
Regelmäßig präsentiert sich Procase auf Ausbildungsmessen. Doch den Chef sucht man auf dem Messestand vergeblich. Die Auszubildenden selbst entwerfen, organisieren und errichten den Stand. Während des Messebetriebs sind sie diejenigen, die potenziellen Nachwuchs ansprechen und über die verschiedenen Berufsbilder, Anforderungen und Aufstiegschancen informieren. Das kommt gut an und schafft gleichzeitig bei den am Stand aktiven Jugendlichen ein hohes Zugehörigkeitsgefühl zu „ihrem“ Betrieb. Die Ausbildungsbeauftragten und der Chef halten sich ganz bewusst im Hintergrund und stehen ihren jungen Teammitgliedern nur beratend zur Seite. Bisher ist es bei jeder dieser Messen gelungen, junge Messebesucher zur Betriebsbesichtigung in das Unternehmen einzuladen. Bei dieser Betriebsbesichtigung werden dann strategisch diejenigen Talente ausgesucht, die einen Ausbildungsplatz angeboten bekommen. Solche Beispiele aus meiner unmittelbaren Umgebung zeigen mir, wie sehr sich Unternehmen jetzt schon bemühen, für junge Talente attraktiv zu sein.
Praxistipp
Präsentiere deinen Betrieb auf Ausbildungsmessen als besonderen Arbeitgeber im Handwerk.
Setz deine jüngsten Mitarbeiter und Auszubildende als Standpersonal ein.
Die Bundeswehr produziert aufwendige Videoclips, um die offenen Ausbildungsstellen zu besetzen. Die Ansprüche an die Qualität der Bewerber wachsen ständig. Die Regierung investiert viel, um die Attraktivität der Bundeswehr für junge Leute zu erhöhen. Kindertagesplätze abgestimmt auf die Dienstzeiten der Eltern, Unterstützung bei der Pflege von Familienangehörigen, Mithilfe bei Umzug und vieles mehr klingen verlockend. Der Mittelstand und das Handwerk haben diese Mittel nicht bzw. nur sehr begrenzt zur Verfügung, um so intensiv am Ausbildungsmarkt die Werbetrommel zu rühren. Hier ist wieder eine wichtige zusätzliche Aufgabe für den Handwerkschef entstanden. Wer sonst außer ihm kann sich im kleinen Betrieb mit 1 bis 15 Beschäftigten darum kümmern, dass geeignete Arbeitskräfte nachrücken? Je besser er aber diese Aufgabe meistert, umso erfolgreicher wird der Betrieb in Zukunft am Markt agieren können. Er selbst in seiner Person steht hierbei im Wettbewerb mit den Personalentscheidern der größeren Betriebe. Dazu kommt noch der harte Wettbewerb zwischen den einzelnen Gewerken des Handwerks.
2.2 Der Kampf um die Talente
Derzeit gibt es insgesamt 345 anerkannte Ausbildungsberufe. In der Gesellschaft, gerade bei den Schülern, Eltern, aber auch den Lehrkräften, sind folgende zehn Berufe bekannt: Einzelhandelskaufmann, Verkäufer, Bürokaufmann, Kfz-Mechatroniker, Industriekaufmann, Großhandelskaufmann, medizinische Fachangestellte, Industriemechaniker, Bankkaufmann, zahnmedizinische Fachangestellte. Okay, Bäcker und Metzger kennt man auch noch. Aber dann? Welche sind dann die restlichen 333 Berufe? Diese Problematik haben einige Fachverbände erkannt und für ihre Mitgliedsbetriebe Strategien entwickelt, um die Bekanntheit des jeweiligen Gewerkes in der Öffentlichkeit zu erhöhen. Das Schreinerhandwerk ist mit farbenfrohen Plakaten am Start: „Du hast's drauf? Mach was draus!“ oder „Born-2BSchreiner“. Es werden Events vorbereitet, z. B. der Wettbewerb „Tischler vs. Schreiner“, und aufwendige Werbevideos gedreht.
Praxistipp
Nutz die professionellen Werbemittel, die von den Berufsverbänden entwickelt und für ihre Mitglieder bereitgestellt werden.
Das bodenlegende Handwerk hat nachgezogen und wirbt mit den Slogans „Teamwork und Selbstständigkeit“ und „In welche Fußstapfen willst Du treten? Der Boden macht den Raum“. Kleinstbetriebe können diese Werbemittel über die Verbände beziehen, denen sie angeschlossen sind. Die Plakate, Banner, Flyer und Give aways werden in entsprechend großen Auflagen hergestellt. Damit werden sie für die einzelnen Mitglieder erschwinglich. Für die einzelnen Betriebe ist es oftmals undenkbar, selbst die Kosten für Werbegestalter, Drucksachen oder Image-Videoclips in Kleinauflagen zu finanzieren. Die Anstrengungen der einzelnen Fachverbände verdeutlichen, dass auch die Handwerksgewerke untereinander bereits massiv um Talente kämpfen. Schließlich möchte man nicht einen Lehrling drei Jahre ausbilden, ohne dass er auf lange Sicht auch zum Erfolg des Betriebes beiträgt. Man will deshalb die Besten des Jahrgangs gewinnen und nicht diejenigen, die mehr schlecht als recht einen Hauptschulabschluss hinbekommen.
Im vorigen Kapitel habe ich beschrieben, wie heute im Ausbaugewerbe Baustellenaufmaße erstellt werden. Schon das macht deutlich, dass durch den Einzug von neuer Technik auch der Anspruch an die Qualität der Bewerber gewachsen ist. Bei einer 2014 vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) durchgeführten Online-Unternehmensbefragung gaben 71 % der Betreibe, die keinen Erfolg bei der Besetzung des Ausbildungsplatzes hatten, an, dass keine geeigneten Bewerbungen vorlagen. „Bewerber“ ist übrigens schon jetzt die falsche Bezeichnung. Eigentlich müsste es die „Interessierten“ heißen. Denn begabte Jugendliche müssen sich nicht mehr bewerben, sondern sie suchen sich die Jobs und Arbeitgeber aus, bei denen sie sich ausbilden lassen wollen.
Im Jahr 2004 habe ich zusammen mit verschiedenen Handwerksmeistern eine Handwerkskooperation gegründet. Wir arbeiten beim Wareneinkauf, der Kundenaquise und Baustellenabwicklung Hand in Hand. Von dieser engen Verzahnung der Betriebe aus den Gewerken Schlosser, Fliesenleger, Maler, Elektriker, Schreiner, Parkettleger, Bodenleger, Sanitär und Heizung und Gartenbauer profitieren wir alle.
Das gilt auch für die Rekrutierung von Auszubildenden oder für gemeinsame Schulungsveranstaltungen, in denen unsere Mitarbeiter trainiert werden.
Mitarbeiterschulung der Kooperation Meister-im-Handwerk e. V. | Foto: A. Balles
Ein Schüler aus der Realschule stellt sich in der Schlosserei vor. Er möchte bei einem Praktikum herausfinden, ob ihm der Beruf im Metallhandwerk liegt und Spaß macht. Nach dem zweiwöchigen Praktikum ist der Chef der Schlosserei begeistert. Der Jugendliche war stets pünktlich und hat die übertragenen Aufgaben zügig und in guter Qualität erledigt. Der Schüler hat sich aber die Bearbeitung des Werkstoffes Metall ganz anders vorgestellt. Er möchte deshalb bei einem weiteren