Vielleicht begab es sich aber .... Eckart zur Nieden

Vielleicht begab es sich aber ... - Eckart zur Nieden


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wir in den Palast?«

      »Oh nein, in den Palast nicht. Ich weiß es nicht genau, aber es wird erzählt, der König wolle uns den Hebräern schenken.«

      »Wem?«

      »Hebräer. So nennt man diese Leute. Sie kommen aus dem Gebiet – da drüben irgendwo.« Sie zeigte in die Richtung, in der die Sonne aufgeht, etwas weiter nach links. »Es sind Nomaden. Leute, die nicht in festen Häusern wohnen, sondern in Zelten, die sie immer mitnehmen, wenn sie mit ihrem Vieh neues Weideland suchen.«

      »Suchen sie jetzt hier Weideland?«

      Die Frau lachte. »Nein, Kind, hier nicht. Man würde sie vertreiben. Hier braucht jeder sein Gras selbst. Sie sind auch fast ohne Vieh gekommen.«

      »Aber warum sind sie dann überhaupt gekommen?«

      »Weil es in ihrem Land eine Dürre gibt. Es wächst fast nichts, ihr Vieh hat nichts zu fressen, sie selbst haben darum auch nichts und müssen hungern. Aber jeder weiß, dass man hier in Ägypten nicht so auf Regen angewiesen ist. Hier wächst immer etwas, weil wir den Nil haben. Darum sind sie gekommen.«

      »Ach so. Aber warum will uns der König ihnen schenken? Uns können sie ja nicht essen.«

      »Nein«, lächelte die Frau, »wir werden Mägde und Knechte von diesem Mann.«

      »Aber warum?«

      Die Frau setzte sich auf den staubigen Boden und lehnte den Rücken an die Lehmziegelwand. Dann winkte sie Hagar. »Setz dich neben mich! Ich erzähle dir, was man so munkelt.« Sie dämpfte ihre Stimme, als handele es sich um ein tiefes Geheimnis. Hagar musste sich zu ihr hinüberbeugen, um alles zu verstehen.

      »Dieser Abram hat eine Frau von großer Schönheit, obwohl sie wahrhaftig nicht mehr die Jüngste ist. Die Späher des Königs hatten sie schnell entdeckt und in den Palast gebracht.«

      »So wie mich und meine Mutter auch fast …«

      »Der Anführer dieser Truppe, dieser Abram, hat gesagt, sie sei seine Schwester. Deshalb hatten sie auch keine Skrupel. Das war auch nicht ganz gelogen, sie ist seine Halbschwester. Aber vor allem ist sie seine Frau. Man sagt, dass den König allerlei Unglück traf, seit diese Frau an seinem Hof war. Irgendwie kam dann raus, dass sie mit Abram verheiratet ist. Der König ist an dem Punkt sehr empfindlich. Wenn er sich nun den Zorn des hebräischen Gottes zuzieht! Also hat er Sarai wieder unversehrt an Abram zurückgegeben, und zur Versöhnung schenkt er ihm noch Vieh und – na ja, uns eben. Als Knechte und Mägde. Und mit genug Verpflegung ausgerüstet, geht nun die Reise zurück. Und wir sind dabei.«

      »Werde ich dann meine Familien nicht mehr wiedersehen?«

      »Natürlich nicht, Hagar! Gewöhne dich an den Gedanken, dass du jetzt eine Hebräerin bist. Du bist noch jung, wirst bald in die neue Lebensweise hineinfinden und ihre Sprache lernen. Ich werde dafür länger brauchen. Sei nicht traurig! Ob du da schuftest oder hier, kommt doch ziemlich auf das Gleiche raus.«

      »Aber … aber meine Mutter und …«

      »Es hätte sowieso nicht mehr lange gedauert, dann hätten sie dich aus deiner Familie gerissen. Vielleicht geht es uns ja bei diesen Schafhirten ganz gut. Wenn sie nur nicht so stinken würden! Na ja, daran werden wir uns gewöhnen. Sieh da rüber! Das scheinen sie zu sein.«

      Ein vornehm gekleideter Herr – anscheinend ein Beamter des Königs – führte den alten Mann herein, den Hagar schon einmal von weitem gesehen hatte. Seine Frau ging an seiner Seite. Der Vierte in der Gruppe schien ein Übersetzer zu sein, denn wenn der Beamte mit ihm geredet hatte, sprach er anschließend mit dem Alten.

      Nun erhob der Königsbeamte seine Stimme: »Herkommen! Alle!«

      Wer gesessen hatte, stand auf, und alle drängten sich um ihn, auch Hagar.

      »Dieser geschätzte Gast aus dem Land Kanaan genießt die besondere Freundschaft unseres weisen Königs – lang sei sein Leben! Darum hat er in seiner Großmut beschlossen, ihm ein Geschenk zu machen, das eines Königs würdig ist: Vieh und Sklaven. Das seid ihr. Dieser würdige Mann, Abram ist sein Name, ist also von nun an euer Herr. Und seine Frau Sarai ist eure Herrin. Erweist ihnen Ehre!«

      Die Männer und Frauen fielen auf die Knie und beugten den Kopf, bis die Stirn die Erde berührte.

      Der Alte sagte etwas mit freundlicher Stimme. Der Übersetzer erklärte: »Ihr sollt aufstehen!«

      Alle erhoben sich. Hagar sah sich um. Einige konnten den Zorn in ihren Gesichtern nicht ganz verbergen, andere zeigten sich unterwürfig, wieder andere blickten nur voller Neugier.

      Während der Alte mit dem Übersetzer sprach, ging seine Frau an der Reihe der Sklavinnen entlang und betrachtete jede Einzelne. Vor Hagar blieb sie stehen.

      Hagar staunte. Die Frau schien etwa so alt wie ihre Großmutter zu sein, aber sie sah aus wie ihre Mutter. Ihr ebenmäßiges Gesicht strahlte eine Hoheit aus, wie man sie eher bei Königinnen erwartet als bei Frauen von Schafhirten. Ihre ruhig und ein wenig stolz blickenden Augen waren genauso schwarz wie ihr Haar, in dem sich noch keine graue Strähne zeigte, und das ihr lang und voll über die Schultern fiel. Ihre gerade Körperhaltung ließ darauf schließen, dass sie nicht wie Hagars Mutter viel bückend gearbeitet hatte. Sie trug ein einfaches, nur mit wenig Stickerei verziertes Kleid, das aber offenbar neu war und in seiner Schlichtheit die Schönheit und Würde der Trägerin noch unterstrich.

      Nun winkte Sarai den Übersetzer herbei und sagte etwas zu ihm. Der sprach zu Hagar: »Deine Herrin will wissen, wie du heißt.«

      »Hagar, Herr.«

      »Du musst nicht mich ansprechen! Sie ist deine Herrin. Wie alt bist du?«

      »Ich habe vierzehn Sommer gesehen.«

      Nach einem Wortwechsel mit der Hebräerin sagte der Mann: »Deine Herrin hat dich aus all diesen Frauen ausgewählt, ihr persönlich als Magd zu dienen. Das ist eine besondere Ehre! Sei allezeit freundlich, höflich, fleißig und zuverlässig bei allem, was du zu tun bekommst!«

      Hagar starrte die beiden abwechselnd an und wusste nicht, wie sie auf diese Worte reagieren sollte. Der Übersetzer fauchte sie an: »Verbeuge dich!« Erschrocken neigte Hagar ihren Oberkörper. Als sie hörte, dass die beiden miteinander redeten, dachte sie, dass sie nun sicher wieder gerade stehen dürfe, und richtete sich auf.

      »Deine Herrin wird eine ihrer bisherigen Mägde beauftragen, dir die hebräische Sprache beizubringen, und dazu alles, was du für die Arbeit in ihrem Zelt wissen musst.«

      Hagar nickte. Dann fiel ihr ein, dass es vielleicht angebracht war, sich noch einmal zu verbeugen, und tat es. Als sie sich wieder aufrichtete, war ihre neue Herrin schon weitergegangen.

      Aber dann kam sie noch einmal zurück, redete mit dem Übersetzer und zeigte auf Hagars Füße. »Du sollst dich waschen!«, sagte der Mann. »Da klebt noch Lehm zwischen deinen Zehen. Und auch sonst sollst du dich waschen. Wer schwitzt, zieht die Fliegen an.« Schnell folgte er der Frau mit Namen Sarai, die schon weitergegangen war.

      ***

      »Träumst du, Mutter?«

      Hagar schreckte auf. Ja, sie war in Gedanken in ihrer Kindheit gewesen. Vielleicht hatten die Fliegen sie daraufgebracht. Sie schabte gerade mit einem Bronzemesser das Fett von der Innenseite eines Schaffells. Das zog immer die Fliegen an, die sich davon reichlich Nahrung versprachen. Sie umkreisten sie in schwarzen Schwärmen, so wie damals, als sie schwitzend den Lehm stampfen musste. Eine Plage sind diese Fliegen, dachte sie. Gierig stürzen sie sich auf das, was von früherem Leben übrig geblieben ist. Sie leben vom Tod einer anderen Kreatur. Aber tun wir das nicht alle?

      »Mutter! Wo bist du mit deinen Gedanken?«

      Ach ja, der sie da ansprach, war nicht ihr Vater, der sie zum fleißigen Stampfen antreiben wollte, sondern ihr Sohn. Inzwischen war der fast so alt, wie ihr Vater damals gewesen war, sogar die Stimme klang so ähnlich. Nur freundlicher. Und sie selbst, Hagar, war fast so alt, wie ihre Großmutter damals gewesen war.

      »Ja,


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