Das schwarze Korps. Dominique Manotti

Das schwarze Korps - Dominique  Manotti


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krank, beim Kartenspiel unter den Bäumen, im Boot, lesend oder schlafend im Sessel. Um sie herum die Mutter, die Großeltern, aufmerksam, gerührt, stolz, stets ihre Verbündeten. Manchmal, ganz selten, die schmale, sportlich-elegante Gestalt des Vaters. Chronik einer glücklichen Familie.

      Auf einer der letzten Seiten vier Fotos beieinander.

      März, Hochgebirgslandschaft. Strahlender Sonnenschein über einem sanft abfallenden weiten Schneefeld, in der Ferne eine dunkle Holzhütte, die Mutter, groß, schlank, das Haar unter einem Turban gebändigt, riesige weiße Sonnenbrille, schmal geschnittene kurze weiße Jacke und weite Hose aus schwarzem Wollstoff mit Knöchelbündchen, zieht einen Schlitten, auf dem das Nesthäkchen sitzt. Die beiden älteren Geschwister, François, sechzehn, und Jeanne, elf, in kurzärmeligen Hemden und Pumphosen, mit komischen schwarzen Skibrillen, die fast das ganze Gesicht verdecken, stehen sicher auf ihren Skiern, lächeln in die Kamera. François, kastanienbraunes Haar mit Bürstenschnitt, Grübchen an den Mundwinkeln und ein drittes am Kinn, sprüht vor Übermut und Charme.

      Mai, Jeannes feierliche Erstkommunion. Zwei Fotos erinnern an das Ereignis. Auf dem einen steht Jeanne in langem weißem Spitzenkleid, Haube und Schleier aus weißem Tüll, ganz konzentriert allein mitten auf dem Rasen, in den ihre weißen Lackschuhe tief einsinken, und tut so, als läse sie in einem dicken Messbuch, hin- und hergerissen zwischen Andacht und Lachanfall. Auf dem anderen posiert die ganze Familie, der Vater im grauen Anzug, die Mutter in hellem kurzem Rock, Sandalen mit hohem Keilabsatz, die Verwandten, die Freunde, der Pfarrer in Soutane, zum Halbkreis aufgestellt auf den Stufen einer breiten Freitreppe aus weißem Stein mit schmiedeeisernem Geländer. Hinter zwei Geißblattsträuchern, deren schweren Duft man förmlich riechen kann, lässt sich ein imposantes rotes Backsteinhaus erahnen. Auf der untersten Stufe hält das Kommunionkind strahlend ein großes Kohlfuchspony an der Leine, das damit beschäftigt ist, den Rasen abzuweiden. Alle lächeln.

      Letztes Foto, unten rechts, ein kleines Mädchen in einem Irisbeet, schulterlange blonde Locken, gesmoktes Kleid mit Puffärmeln, greift mit vollen Händen in die Blumen und riecht daran. Die Mutter hat in ihrer großen, festen Schrift vermerkt: 6. Juni, mein süßes Püppchen Isabelle mit zwei Jahren.

      Vier Fotos, und oben auf der Seite eine Jahreszahl: 1944. Wir sind in Frankreich.

1

      4266 Landungsfahrzeuge begleitet von 700 Kriegsschiffen halten auf die Normandieküste zu. Drei Luftlandedivisionen starten von englischem Boden.

      Mitternacht. Die ersten Fallschirmjägertruppen landen auf französischem Boden, im Hinterland der für die Landung der Alliierten vorgesehenen Strände.

      3 : 14 Uhr. Beginn der systematischen Beschießung der deutschen Küstenverteidigungsstellungen in der Seine-Bucht.

      6 : 30 Uhr. Bei mittlerem Seegang beginnt die Landung der englischen und kanadischen Truppen an den Strandabschnitten Gold, Juno und Sword an der Orne-Mündung. Wenig später landen die amerikanischen Truppen an den Küstenabschnitten Utah und Omaha der Halbinsel Cotentin.

      Paris, 4 Uhr früh. Zwei Citroëns fahren dicht hintereinander im Schritttempo und ohne Licht durch die Avenue Henri-Martin. Die Stadt ist dunkel, verlassen, still bis auf das Rauschen der Windböen in den Kastanien, eine Stadt unter Ausgangssperre. Die beiden Wagen halten leise vor Hausnummer 50, ein vornehmes Wohnhaus, Quaderstein, hohe Fenster und schmiedeeiserne Balkone. Vier Männer steigen aus, schließen geräuschlos die Wagentüren, formieren sich, gegürtete schwarze Ledermäntel, tief in die Stirn gezogene Filzhüte, drei von ihnen tragen eine Maschinenpistole über die rechte Schulter gehängt. Im Gleichschritt überqueren sie den Bürgersteig, bleiben vor einem hohen, schweren, mit Bronzeskulpturen geschmückten Holzportal stehen. Von einem eingezäunten Nachbarvorgarten weht mit jedem Windstoß der Geruch nach Rosen und feuchter Erde herüber. Der Anführer, ein gewisser Loiseau, hochgewachsen, hager, kantiges, zerklüftetes Gesicht, drückt auf die Klingel, hält sie gedrückt. Die Türglocke hallt durch die Stille, dann undefinierbare Geräusche und eine angstvolle Frauenstimme hinter der Tür.

      »Was ist denn los?«

      »Deutsche Polizei. Machen Sie auf.«

      Stille, kaum ein, zwei Sekunden, das Portal öffnet sich einen Spalt, der Anführer schiebt sich mit der Schulter voran hinein, drängt eine alte Frau im Morgenrock, klein, rundlich, langer, weißer geflochtener Zopf auf dem Rücken, bis in ihre Loge. Niemand da. Er reißt das Telefonkabel heraus, treibt die Alte zurück zum Hauseingang und hält ihr seinen deutschen Ausweis unter die Nase. »Wohnt hier Benezet?«

      Benommen blickt sie auf das Stück gelbe Pappe. Schubs von hinten. »Ja. Im ersten.«

      Loiseau dreht sich zu seinen Männern um. »Morandot, du bewachst die Hintertreppe, damit niemand kommt und uns stört. Nur zur Vorsicht. Ihr zwei kommt mit mir.« Er packt die Alte am Arm. »Komm, Oma, du begleitest uns.«

      Monumentaler Treppenaufgang, Holzgeländer mit Schnitzereien, dunkle Täfelung, roter Teppich. Auf dem Treppenabsatz im ersten Stock eine einzelne, zweiflüglige Tür. Sturmklingeln. Dann eine wispernde Frauenstimme hinter der Tür: »Wer ist da?«

      »Gestapo.«

      Ein Aufschrei, ein lautes Klirren. Hinten in der Wohnung knallt eine Tür, Hektik, laute Stimmen. Falicon, ein unscheinbarer flinker Kerl, zerschießt auf ein Zeichen des Anführers das Schloss, die Männer drücken die Tür auf, stürzen in die Diele, die MP auf ein Mädchen im Nachthemd gerichtet, dunkelbrünett, zerzaust, entgeistert, mit nackten Füßen in den Scherben einer riesigen Porzellanvase. Morandot kommt aus dem hinteren Teil der Wohnung, er schleift den leblosen Körper eines jungen Mannes in Unterhose hinter sich her und lässt ihn mitten in der Diele mit dem Gesicht nach unten fallen.

      »Wo ist Benezet?«, brüllt Loiseau und schüttelt das Mädchen.

      Sie zeigt auf eine Tür. Er stößt sie auf. Ein alter Mann streift sich gerade eine Hausjacke im Schottenkaro über seinen marineblauen Pyjama. Loiseau treibt ihn in die Diele und schubst ihn in die Ecke zu den beiden Frauen, die Concierge murmelt Gebete.

      Die vier Gestapomänner betrachten den leblos daliegenden Körper. Loiseau nagt an seiner Unterlippe. Er dreht sich zu dem Alten um. »Der da, wer ist das?«

      »Weiß nicht.« Etwas Schaum im Mundwinkel. »Noch nie gesehen.«

      Die beiden Frauen nicken.

      »Ein Engländer, würde ich meinen«, sagt Morandot. »Jedenfalls schrie er was auf Englisch. Er schlief in einem kleinen Zimmer hinten in der Wohnung. Ist riesig da, und komplett unbewohnt. Er wollte über die Hintertreppe abhauen, da hab ich ihm mit meiner MP eins übergezogen.«

      Loiseau kaut nervös auf seiner Lippe. »Irgend so ’n Pennbruder, der war nicht eingeplant, versaut uns nur das Geschäft, lassen wir ihn laufen.«

      Falicon tritt zwei Schritte vor, zwischen Loiseau und den Bewusstlosen. »Bin nicht dafür. Wenn er Engländer ist, bringt er eine hübsche Prämie. Und das Mädchen da stinkt vor Angst, das ist ein gutes Zeichen. Gucken wir doch erst mal, was im Tresor ist, bevor wir entscheiden.«

      Loiseau verzieht das Gesicht. Falicon, dieser miese, hinterfotzige Westentaschenzuhälter. Der ist cleverer. Eines Tages wird er den Scheißkerl umlegen. Aber bis dahin … Er packt den Alten am Arm, schiebt ihn Richtung Salon, Falicon ihm auf den Fersen. Ein großer, herrschaftlicher Raum, hohe Decke, drei Fenstertüren zur Avenue Henri-Martin, sorgsam verdeckt von langen braunen Samtvorhängen. Er schaltet einen Kristalllüster in der Deckenmitte ein, bei dem die Hälfte der Glühbirnen fehlt. Louis-XV-Mobiliar, zu dicht gedrängt, viel Art-Déco-Nippes, und an den beige-seiden tapezierten Wänden sorgsam gerahmte und gehängte impressionistische Gemälde, Monet, Pissarro, Renoir, Sisley … Loiseau zählt rasch nach. Vierzehn, wie angekündigt. Er durchquert den Salon, den schlurfenden Alten weiter vor sich hertreibend, bleibt vor Boudins Regatta in Honfleur stehen, schwenkt das Bild zur Seite. In der Wand ein Tresor. Er wendet sich zu dem Alten um. »Sie sind illegal im Besitz von Gold. Wie


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