Amateure. Katherine V. Forrest
Walt.«
»Und wenn es Mord oder Totschlag ist«, sagte Taylor, »haben wir einen Haufen Leute am Hals, die wir nicht isolieren können, und es wird nicht lange dauern, bis sie unsere Anweisungen ignorieren und alles durchdiskutieren.«
»Du meinst, ihr wollt, dass die Autopsie sofort gemacht wird.« Everson schürzte die Lippen, streichelte wieder seinen Schnurrbart und warf einen flüchtigen Blick auf die Tragbahre. »Es sieht recht sauber und ordentlich aus. Und heute ist Dienstag, und dienstags ist nie viel los. Ich ruf sofort an, wenn wir fertig sind.«
Die Männer folgten den Sanitätern und der Tragbahre, verließen lachend und redend den Raum. Taylor blätterte in seinen Notizen, Kate setzte sich auf den Rand des niedrigen Bücherschranks aus Teakholz und zog ihr Notizbuch heraus. Ohne aufzublicken fragte sie: »Hast du schon davon gehört?«
»Ja, hab ich. Ich dachte mir schon, dass es eine inoffizielle Absprache geben würde, dass der Täter sich schuldig bekennen und dafür eine milde Strafe zugesichert bekommen würde, aber eine Anklage wegen fahrlässiger Tötung – verdammt, Kate –«
Sie hörte nicht mehr hin, nahm den Raum noch einmal in allen Einzelheiten in sich auf, während Taylor seine Hetzrede gegen den Irrsinn des Rechtssystems hielt. Sie war am Morgen vor Gericht gewesen, um in einem Fall auszusagen. Der Fall war auf Mai vertagt worden. Das Opfer war erst siebzehn gewesen, der Mörder zweiundzwanzig. Er hatte ein ellenlanges Strafregister, hatte schon Schwierigkeiten mit der Polizei gehabt, als Kate noch für Jugendkriminalität zuständig gewesen war. Er war typisch für die heutigen Kriminellen – und das beunruhigte sie mehr als die inoffizielle Absprache und die milde Strafe. Jünger, sie schienen immer jünger zu werden, waren lange drogenabhängig gewesen und waren es noch, und ihre Verbrechen ließen sie völlig kalt. Ohne Skrupel und ohne lange Überlegung begingen sie die brutalsten Grausamkeiten. Zwar stimmte es, dass die weibliche Kriminalität ebenfalls zunahm, aber sie hatte Hochrechnungen gelesen, nach denen sehr bald drei von vier amerikanischen Männern wenigstens einmal in ihrem Leben ein Gewaltverbrechen begangen haben würden … Die dünne blaue Linie von Männern und Frauen, die ihr Bestes taten, die Gesellschaft zu schützen und ihr zu dienen – wie sollten sie es schaffen, eine derartige Grausamkeit noch viel länger im Zaum zu halten? Nun, sie machte ihre Arbeit, und das war alles, was sie tun konnte. »Ed«, sagte sie schließlich schroff, »das ist erledigt.«
Er seufzte und sah auf seine Notizen. »Das hier war kein Selbstmord, Kate. Das hab ich im Gefühl. Und die Leiche sah ausgesprochen erstaunt aus.«
»Das stimmt«, gab sie zu. »Was haben wir bis jetzt?«
»Code drei, alle Einheiten um sieben Uhr zweiundvierzig alarmiert.« Taylor las sachlich-nüchtern aus dem Polizeibericht und seinen Notizen vor. »Code eins-acht-sieben, ein Verdächtiger im Gebäude. Das Gebäude wurde gegen acht Uhr abgeriegelt. Wir haben eine Liste aller Personen, die sich nach der Abriegelung in den oberen Stockwerken des Gebäudes aufhielten –«
»Wird uns viel bringen«, warf Kate bissig ein.
Taylor sah kurz auf und fuhr dann fort: »Ellen Rose O’Neil betrat das Büro gegen sieben Uhr zwanzig, hörte ein Geräusch, fand das Opfer etwa um sieben Uhr vierzig. Hat den Täter nicht gesehen …«
Taylors Notizen waren immer sehr sachlich und ausführlich, und Kate hörte konzentriert zu. Die Untersuchung des Tatorts war so gut wie abgeschlossen: Fotografien waren gemacht, Skizzen, Messungen, Beschreibungen waren angefertigt und Fingerabdrücke genommen worden. Den Beschäftigten war erklärt worden, dass es notwendig sei, von allen Fingerabdrücke zu nehmen, und alle hatten ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit erklärt. Kate machte sich kurze Notizen.
»Haare ordentlich, Körper leicht verdreht, aber Haltung des Rumpfes normal«, leierte Taylor herunter. »Augen geöffnet. Diamantring, Armbanduhr von Cartier, dreihundert Dollar in der Schreibtischschublade. Keine Unordnung außer Blutspuren auf dem Schreibtisch, wo die Hände des Opfers abgerutscht sind. Blutspuren an der Bar, von der linken Hand des Opfers, wie es aussieht.«
Kate ging um den Schreibtisch herum und schätzte die Entfernung und die Winkel zwischen dem Schreibtisch, dem Sessel und der umgestürzten Bar.
Taylor zog eine Skizze zu Rate, die auf einem Stuhl vor dem Schreibtisch ausgebreitet war. »Nach den Rollspuren zu urteilen, steht die fahrbare Bar normalerweise zwei Meter fünfundneunzig vom Schreibtisch entfernt; sie wurde auf einundsiebzig Zentimeter an ihn herangeschoben.«
Kate kniete sich neben der umgestürzten Bar hin, die mit Fingerabdruckpuder bedeckt war, klopfte mit ihrem Kugelschreiber ein wenig von dem Puder von den Griffen herunter und betrachtete die glänzenden, angetrockneten rotbraunen Blutspuren.
»An den Griffen sind Blutspuren«, sagte Taylor unnötigerweise. »Das weist darauf hin, dass das Opfer sich an der Bar festklammerte und sie dabei umriss.«
Sie nickte und rutschte auf den Knien weiter, untersuchte die Rollspuren im Teppich. Sie versenkte ihren Kugelschreiber in einem Paar tiefer Rillen. »Normalerweise steht die Bar genau an dieser Stelle. Wann wurde sie umgestellt? Warum? Warum steht die Bar um sieben Uhr morgens so dicht neben seinem Schreibtisch? Wir müssen die Putzfrauen fragen, wo die Bar gestern Abend stand.«
Taylor machte eine Notiz.
Sie stand auf, bürstete leicht über ihre graue Hose. »Ziemlich viele Fingerabdrücke auf der Bar.«
Taylor zuckte die Achseln. »Dutzende.«
»Was ist mit dem Inhalt des Schreibtisches?«
»Wir haben eine detaillierte Aufstellung gemacht. Nichts Ungewöhnliches dabei, außer dem Bargeld. Genauso im Schrank. Der Innendienstleiter sagt, es fehlt nichts. Allerdings ist er schwarz –«
»Noch was?«, fragte sie kurz. Taylors Rassismus, der bei jeder Gelegenheit zum Vorschein kam, war eine Quelle ständigen Ärgernisses für sie.
Taylor blätterte in seinen Notizen. »Zigarrenstummel und Asche. Zigarre scheint dem Opfer zu gehören, wir haben sie sichergestellt.«
Sie nickte und ließ ihren Blick noch einmal durch den Raum wandern: über die cremefarbene Ledergarnitur, den Glastisch, auf dem eine abstrakte Silber-Skulptur stand, das Bücherbord, das eine Ansammlung von Plaketten und Trophäen enthielt. Ihr Blick blieb etwas länger auf dem beschmutzten hellen Teppich haften, richtete sich auf die dunkler werdenden, mit Kreide umrandeten Blutspuren auf dem Ebenholzschreibtisch, der mit Fingerabdruckpuder beschmiert und, abgesehen von zwei in einem Marmorständer stehenden Füllfederhaltern, völlig leer war, und auf den riesigen Ledersessel, auf dem der bisherige Besitzer nun nie wieder Platz nehmen würde. Sie ging langsam zu drei schwarzgerahmten und signierten Fotos an der Wand hinüber und betrachtete sie. Fergus Parker, der Lyndon Johnson, Barry Goldwater und Richard Nixon die Hand schüttelte. Sie ging weiter zu einem Familienfoto, das auf dem Schrank stand. »Sind die Angehörigen benachrichtigt worden?«
»Ja, seine Frau. Dritte Ehe. Ein elfjähriger Sohn, eine dreizehnjährige Tochter, sind beide im Internat an der Ostküste. Der Innendienstleiter ist zu der Frau gefahren. Bestand darauf. Hansen hat ihn hingefahren. Die Frau hat ein hübsches Alibi. War von halb sieben bis um acht bei einer Nachbarin. Und ich glaube nicht, dass sie einen Profikiller angeheuert hat.«
Kate nickte. »Ich auch nicht, nein. Er hätte seine eigene Waffe benutzt. Und auf vertrautem, berechenbarem Gelände zugeschlagen.« Sie studierte weiterhin das Foto von Fergus Parkers Familie.
Taylor sagte: »Bringen viel Zeit mit umgebundenen Lätzchen zu, wie? Alle drei richtige Mastschweine, so wie er.«
Musst du gerade sagen, dachte Kate. »Was ist mit der O’Neil?«
»Nette Person. Einunddreißig. Gelassen. Attraktiv, intelligent. Ruhiges und entschlossenes Verhalten.«
Taylor räusperte sich taktvoll. Kate, die plötzlich auf der Hut war, sah ihn an, aber sein Blick war auf die Berge von Santa Monica gerichtet, die klar und leuchtend in der Ferne zu sehen waren. »Eine Mitbewohnerin kam. Eine Freundin.«
Lesbisch, dachte sie. Oder zumindest hält er sie dafür.
»Blieb