Der Ruhrbaron aus Oberhausen Paul Reusch. Peter Langer

Der Ruhrbaron aus Oberhausen Paul Reusch - Peter Langer


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Eindrücken aus den letzten und allerletzten Tagen leichten Herzens hinweggehen. Es entspricht dem Ernst des nationalen Festtages, auch der Sorgen zu gedenken, die das Herz unseres kaiserlichen Herrn bewegen.“ Vor diesem düsteren Hintergrund hob sich natürlich das Ergebnis des hiesigen Wahlkreises besonders vorteilhaft ab: „Und doch fällt ein heller Strahl durch das Dunkel des Wintertages auf unseren Wahlbezirk, auch auf diese Stadt und ihre Bürgerschaft, die durch hohe Vaterlandsliebe und durch die hohe Besonnenheit und Klugheit der beiden großen politischen Parteien dem ganzen Land ein leuchtendes, man kann auch sagen beschämendes Beispiel gegeben hat. (Bravo!)“.143 Das Kompliment des Redners und den spontanen Beifall aus dem Publikum bezog der neben Havenstein sitzende Reusch sicherlich auch auf die Rolle, die er persönlich im Vorfeld der Wahl gespielt hatte.

      Bei der konstituierenden Sitzung des neuen Reichstags zeigte sich sofort, dass sich nicht alle nationalliberalen Abgeordneten einfach von der Industrie vereinnahmen ließen. Bei der Wahl des Reichstagspräsidiums stimmten – zum Entsetzen der nationalliberalen Wahlkreisorganisation Duisburg-Mülheim-Oberhausen – einzelne Mitglieder der Fraktion für die Sozialdemokraten Bebel und Scheidemann.144

      Im Vorfeld der Wahlen zum preußischen Abgeordnetenhaus im Frühjahr 1913 unterstützte die GHH die Nationalliberalen mit einem Betrag von 3.000 Mark. Reusch veranlasste, dass dieses Geld in die richtigen Hände kam: Wilhelm Hirsch, der Syndikus der Handelskammer Essen, selbst Mitglied des Abgeordnetenhauses und enger Vertrauter Hugenbergs, musste dafür Sorge tragen, dass die Spende der GHH nur dem „rechten Flügel der Nationalliberalen Partei“ zur Verfügung stand.145 Diese Vorgehensweise hatten die Herren der Schwerindustrie an der Ruhr kurz zuvor so abgesprochen.146 Mit dem Ausgang der Wahl konnten die Industriellen dann ganz zufrieden sein; das Dreiklassenwahlrecht ließ große Erfolge der Linken ohnehin nicht zu. Als Hirsch im Herbst des gleichen Jahres allerdings erneut bei Reusch anklopfte, weil die „Altliberalen“ des rechten Flügels Geld für die Pressearbeit brauchten, hielt Reusch die Geldbörse geschlossen. Allenfalls 500 Mark stellte er in Aussicht.147 Dies änderte aber nichts an dem engen Vertrauensverhältnis, das die Herren Reusch und Hirsch über viele Jahre pflegten.148 Nationalliberale Politiker, die nicht den Segen von Hirsch erhalten hatten, ließ Reusch generell abblitzen. Schließlich regte er sogar an, den regelmäßigen Jahresbeitrag der Industriefirmen jeweils direkt dem rechten Flügel der Partei zu überweisen.149

      Was war das Programm der politischen Rechten im Kaiserreich? Sie stand für die aberwitzige Flottenrüstung und nahm dafür die Konfrontation mit England in Kauf; sie trieb 1913 die Vergrößerung des deutschen Heeres voran und löste dadurch sofort vermehrte Rüstungsanstrengungen in Frankreich und Russland aus; sie opponierte in den Vorkriegskrisen gegen alle Versuche der Verständigung auf diplomatischem Wege und heizte dadurch die Kriegs-Hysterie in der Öffentlichkeit an; sie betrieb im Interesse der ostelbischen Junker und der Schwerindustrie eine Hochzollpolitik und erschwerte dadurch zusätzlich eine Verständigung mit den benachbarten Großmächten; sie setzte in den Betrieben rigoros den Herr-im-Haus-Standpunkt der Unternehmer durch; sie blockierte eine Wahlrechtsreform, auch des völlig anachronistischen preußischen Drei-Klassen-Wahlrechts, und verhinderte damit die längst überfälligen Schritte der Demokratisierung und Parlamentarisierung des modernen Industriestaates Deutschland. Durch seine aktive Unterstützung ausschließlich des rechten Flügels der Nationalliberalen, durch sein nachdrückliches Eintreten für das Bündnis mit den agrarischen Junkern und durch seinen entschiedenen Kampf gegen alle gemäßigten Bestrebungen im bürgerlichen Lager übernahm Reusch die Mit-Verantwortung für die Katastrophe, in die die Politik der kaiserlichen Regierung und der sie antreibenden oder unterstützenden Rechtskreise führte.

      Die Hasardeure in der kaiserlichen Regierung und in der Generalität hofften auch, die wachsenden sozialen Spannungen durch Anheizen der nationalistischen Emotionen, durch eine aggressive „Weltpolitik“, in letzter Konsequenz durch einen Krieg, nach außen ableiten zu können. Solche Gedankengänge waren auch Reusch nicht fremd, musste er sich doch schon im März 1912 mit einem Bergarbeiterstreik auseinandersetzen – kaum dass der Arbeitskampf mit den Angestellten ausgestanden war und nur wenige Wochen, nachdem die Sozialdemokraten die Reichstagswahlen gewonnen hatten.

      Zuvor jedoch feierte die Stadt Oberhausen ihren fünfzigsten Geburtstag, und Reusch reihte sich als prominentester Industrieherr der Stadt in die Reihe der Gratulanten ein.

      Es gibt keine Ton-Aufnahmen von Paul Reusch, aber die Vermutung liegt nahe, dass ihn sein süddeutscher Akzent immer sofort als Nicht-Preußen verriet. Dies würde zumindest ansatzweise seinen pathetisch zur Schau getragenen Lokalpatriotismus und die übereifrigen Loyalitätsbekundungen zum preußisch-deutschen Kaiserreich erklären. Unmittelbar nach seiner Ernennung zum neuen Vorstandsvorsitzenden, noch vor seinem offiziellen Dienstantritt in dieser Funktion verlegte der eben vierzigjährige Paul Reusch seinen Wohnsitz nach Oberhausen und brachte damit klar zum Ausdruck, wem er in der Konkurrenz mit Sterkrade den Vorzug gab.

      Abb. 5:Paul Reuschs Wohnhaus Lipperfeld 3, StA Oberhausen

      Damit waren bereits im Kaiserreich die Weichen gestellt für die Eingemeindung von Sterkrade und Osterfeld zwanzig Jahre später. In der Konkurrenz der Nachbarstädte ging es zunächst lediglich um zusätzliche Industrieflächen für die GHH am Ufer des Rhein-Herne-Kanals. Paul Reusch beanspruchte den sogenannten Grafenbusch am Nordufer des Kanals für neue Werksanlagen und setzte sich gegen heftige Proteste aus Sterkrade durch. Dadurch schrumpfte der Anteil Sterkrades am Nordufer des Kanals auf magere 1.700 Meter. Aber neue Arbeitsplätze entstanden für die Sterkrader nicht; weder ein neues Werk noch ein Werkshafen wurde auf der „Landzunge“ gebaut. Noch 1913 war der Grafenbusch nördlich des Rhein-Herne-Kanals so ausgedehnt, dass die führenden Herren der GHH dort auf die Pirsch gehen konnten. Im Dezember 1913 lud Paul Reusch Paul de Gruyter, ein Mitglied des Aufsichtsrates, dorthin zur Jagd ein; als Treffpunkt schlug er die Emscherbrücke auf der Straße von Oberhausen nach Sterkrade vor.150

      Nach der Verdrängung vom Nordufer des Kanals war die Verleihung der Stadtrechte an die Gemeinde Sterkrade nur ein schwacher Trost.151 Reusch hatte sich persönlich intensiv um die Sache gekümmert. Er war gemeinsam mit Bürgermeister zur Nieden zum Regierungspräsidenten nach Düsseldorf und zu anderen zuständigen Behörden gefahren. Auf Reuschs Drängen ließ sich der Regierungspräsident im Dezember 1912 sogar dazu herab, eine Besichtigungsfahrt in Sterkrade durchzuführen. Als besonderer Gunsterweis wurde es bei dieser Gelegenheit registriert, dass Reusch dem Bürgermeister ein Automobil zur Verfügung stellte.152

      Im öffentlichen Leben der Stadt Oberhausen trat der junge Vorstandsvorsitzende als strammer Nationalist in Erscheinung. In einer viel beachteten Rede im Kriegerverein der GHH am Neujahrstag des Jahres 1911 forderte er die Oberhausener „Krieger“ zu energischen Werbeaktivitäten auf. Um diesen Bemühungen Nachdruck zu verleihen, wurde der GHH-Direktor Woltmann, der den Kriegern seinen Rang als Oberleutnant präsentieren konnte, in den Verein delegiert. Danach stieg die Mitgliederzahl innerhalb eines halben Jahres auf das Dreifache.153 Bereits ein Jahr später hielt Woltmann zu Kaisers Geburtstag die Festrede „und endete mit einem Hoch auf den Kaiser und brausend schallte die Nationalhymne durch den Saal. Hierauf betrat der MGV ,Gute Hoffnung’ die Bühne und brachte mit reinem Stimmenmaterial das Lied ,Heil Kaiser und Reich’ zum Vortrage“.154

      Die Nähe Reuschs zum Oberhausener Oberbürgermeister Havenstein hatte schon in der Sitzordnung beim Bankett zu Kaisers Geburtstag am 27. Januar 1912 im Kaisergarten-Restaurant ihren Ausdruck gefunden: „Auf dem Musikpodium war inmitten von Topfgewächsen die Kaiserbüste zu sehen. Auf der Haupttafel stand vor dem Platze des Herrn Oberbürgermeisters der große silberne Tafelaufsatz der Stadt. Neben dem Herrn Oberbürgermeister nahmen auf der einen Seite Herr Kommerzienrat Reusch, der Generaldirektor der Gutehoffnungshütte, und auf der anderen Herr Amtsgerichtsrat Wilms als Leiter des hiesigen Amtsgerichts Platz.“155 Wenige Tage später saß Reusch an gleicher Stelle wieder auf dem Podium, direkt neben ihm hatte der Oberpräsident der Provinz Rheinland Freiherr von


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