Hekate. Thomas Lautwein
C)Hekate im Mithras-Kult, in den chaldäischen Orakeln und der neuplatonischen Theurgie
Die Neuplatoniker und die chaldäischen Orakel
Hekate in der Renaissance
Latenz und Wiedererscheinen der Göttin in der Renaissance
Erasmus von Rotterdam und der Hexenprozess von Orléans 1501
Shakespeare: Schicksals-Göttinnen
Hekate in der Moderne und Gegenwart
Hekate-Iphigenie in Gerhart Hauptmanns
Atriden-Tetralogie
Das Nachleben einer Göttin: Lady Death
Hekate in der modernen Esoterik:
Crowley und Steiner
Crowley: Dark side of the moon
Rudolf Steiner: Weltenwunder, Seelenprüfungen & Geistesoffenbarungen
Crowleys Kinder: O.T.O., T.O.T.O, Ma’at
Hekate-Verehrung in der Gegenwart
Einleitung
Wir stehen an einer Wegkreuzung
Es erscheint heute als möglich, wenn nicht sogar unausweichlich, dass eine weitere Ausbreitung unserer technisch-industriellen Zivilisation die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit zerstört. Seit der Jungsteinzeit hat die Menschheit versucht, die Natur durch Technik zu beherrschen und sich vor ihrer Unberechenbarkeit zu schützen. Während die Technologie ständig neue Erfolge erzielt (die es irgendwann vielleicht ermöglichen werden, den eigenen Körper beliebig zu modfizieren, das Bewusstsein in einen virtuellen Raum zu übertragen und das Weltall zu besiedeln), wächst andererseits bei vielen Menschen die Sehnsucht nach einer Rückkehr zur Einheit mit der Natur – sei es einem ländlichen Leben wie vor der industriellen Revolution oder gar einer Jäger- und – Sammlerexistenz wie vor der neolithischen Revolution.
Die Zwiespältigkeit unserer heutigen Existenz macht sich auch sozial und ideologisch bemerkbar. Die gesellschaftliche Beziehung zwischen Mann und Frau wird neu verhandelt, wobei die seit 5000 Jahren geltende Vorrangstellung des Mannes (das Patriarchat) zunehmend in Frage gestellt wird. In Religion, Kunst und Wissenschaft sind „Frauenthemen“ in den letzten 50 Jahren vom Rand zunehmend in den Mittelpunkt gewandert, wie etwa die Diskussionen um ein ursprüngliches Matriarchat (matrizentrische Gesellschaft u. ä.) zeigen. Vor allem aber macht sich unterschwellig ein immer stärkeres Unbehagen an und in den monotheistischen (d. h. patriarchalen) Religionsformen bemerkbar. Die Formen, in denen sich heute ein neues Heidentum artikuliert, mögen oft genug unbeholfen und naiv wirken, entspringen aber offenbar dem dunklen Gefühl, dass in den letzten 2000 Jahren eine Möglichkeit religiösen und Natur-Erlebens unterdrückt, verfälscht oder verzerrt wurde, dass unserem Dasein eine Dimension fehlt, die es früher wohl einmal gegeben haben muss und nach nach der eine tiefe Sehnsucht besteht.
Mit einem Wort: Die GÖTTIN wird wieder zum Thema.
Für die Aktualität des Themas „Göttin“ gibt es ontologische und historische Gründe. Ontologie, als Analyse der menschlichen Existenz verstanden, wird uns zu der Einsicht führen, dass der Mensch nicht nur in abstrakten Begriffen denkt, sondern auch innere Bilder erlebt, die symbolische Bedeutung haben (sei es individuell oder kollektiv). Diese inneren Bilder werden von Polaritäten strukturiert, d. h. von Gegensätzen, die sich logisch gesehen zwar gegenseitig ausschließen, sich im LEBEN aber gegenseitig bedingen und ständig ineinander übergehen, wie Tag und Nacht, Licht und Schatten, Sonne und Mond. Eine der grundsätzlichen Polaritäten ist die von männlich und weiblich, die sich auf alle Lebensbereiche erstreckt. Mit Ludwig Klages können wir sie wie folgt skizzieren:
Empfängnisvermögen, unten, Ruhe, Dunkelheit, Erde, Raum, Nacht, Sterben, Zügelung, Innerung, ‚Herz’, links auf der einen Seite;
Zeugekraft, oben, Bewegung, Licht, Sonne, Zeit, Tag, Entstehen, Antrieb, Äußerung, ‚Kopf’, rechts auf der andern.1
Ursprünglich sind „männlich“ und „weiblich“ (chinesische gesproch: Yin und Yang) keine feindlichen Gegensätze, sondern sich ergänzende Pole:
Gleichgültig, ob wir unterscheidende Eigentümlichkeiten des Verhaltens im Paarungsvorgang oder sonstige Haltungsunterschiede beider Geschlechte zum Leitbild wählen, immer besteht auf männlicher Seite ein Übergewicht des Sichbewegens, Aussicherhausgehens, Kräfteverschwendens, auf weiblicher des Verharrens, Empfangens und Kräftebewahrens. Darnach entsprechen dem Männlichen: offenbarende Helle, Beweglichkeit, Schleuderkraft, aufrechte Lage, heraklitischer ‚Weg nach oben’, Gestaltung des Kommenden; dem Weiblichen: verhüllendes Dunkel, Ruhe, Ziehkraft, liegende Lage, heraklitischer ‚Weg nach unten’, Hang zum Gewesenen. Wird aber jede der beiden Seiten als Pol und nicht etwa als vereinzelbare Hälfte gefasst, so haben wir die sinnbildlich