Count.Down.Under. Elke Tesche
Wenn nicht jetzt, wann dann? Ich ignoriere die besorgten Stimmen aus meinem Umfeld und in meinem Kopf und kündige meinen Job. Acht Wochen gönne ich mir am anderen Ende der Welt auf dem kleinsten Kontinent, Australien. Alleine, aber nicht einsam. Ohne Auto, aber dennoch mobil. Auch im Kopf. Der ist bekanntlich rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.
Mit neuem Reichtum gesegnet, kehre ich voller Dankbarkeit zurück. Die Schönheit dieses fernen Kontinents, der unerschütterliche Optimismus und Humor seiner Einwohner, die lebens- und liebenswerten Städte und all die kuriosen Erlebnisse und Erfahrungen, die ich gierig in mich aufsog, haben mich reich gemacht. Meine Währungen sind kompatibel und stabil im Wert: eine beglückte Seele und heitere Gelassenheit.
Auf die Plätze, fertig, los!
Was unbedingt mit muss.
Auf die Plätze, fertig, los!
Eine packende Angelegenheit
Reisepass, Visum, Flugticket, Bargeld, Kreditkarte, Reiseliteratur, Laptop und Kamera. Mehr brauche ich nicht. Aber etwas hatte ich übersehen. Dann fiel es mir ein. Kleidung! Doch die wird total überschätzt. Deshalb habe ich sie auf ein Minimum reduziert. Wie soll ich sonst in den Genuss kommen, meine Sozialstudien in den wunderbaren Waschsalons dieser Welt zu betreiben?
Puh, geschafft. Ich habe (es) gepackt. Der große Rucksack bringt – trotz zweier üppiger Reiseführer – bescheidene zwölf Kilo auf die Waage. Es fehlt nur noch der Kulturbeutel. Aber der wird sicher nicht zum Schwergewicht mutieren. Mein kleiner Rucksack dient als Handgepäck. Er wiegt mit Laptop schlappe sechs Kilo. Beide Gepäckstücke sind also Lichtjahre vom Maximum entfernt. Ich muss schon sagen: ich bin verdammt stolz! Und überlege bereits, nach meiner Rückkehr eine Beratungsstelle für Reisegepäckoptimierung zu eröffnen. Einen Namen für mein Business habe ich schon. „Elkes Handtäschchen“.
Der Startschuss
Montagmorgen. Außer mir macht sich heute noch eine weitere Elke auf den Weg in die Ferne. Gerne hätte ich mit ihr noch einen Kaffee am Flughafen Berlin-Tegel getrunken. Doch das fiel aus humanitären Gründen aus. Denn die Elke, die es nach Buenos Aires zieht, hebt schon kurz nach 6 Uhr ab. Und das ist für mich, die ich Australien im Sinn habe, dann doch entschieden zu früh. Beim nächsten Mal. Versprochen! So behält mein Lebensgefährte Stefan sein verdientes Exklusivrecht an mir und kann sich ungestört und ohne Publikum von mir verabschieden.
Berlin – Frankfurt. Ungefragt gönnt mir die Lufthansa einen Platz am Notausgang. So viel Bein kann ich gar nicht haben, wie ich hier ausstrecken könnte. Nun, es gibt härtere Schicksalsschläge. Überpünktlich landen wir in Frankfurt. Ich vertrödele die Zeit bis zu meinem Anschlussflug mit Auf- und Abwanderungen. Bei Zootieren nennt man so etwas Hospitalismus. Für mich muss erst noch ein passender Begriff gefunden werden.
Frankfurt – Hong Kong. Sicherheitscheck und Handgepäckkontrolle. Vor mir ist eine Gruppe von fünf aparten Asiatinnen dran. Sie sind spärlich, aber aufs Modischste gekleidet, dennoch artet die Chose in ein Desaster aus. Das Handgepäck jeder Einzelnen erreicht fast die Ausmaße meines eingecheckten Gepäcks. Es wird allerdings deutlich erleichtert: gleich literweise wandern flüssige Kosmetika in die Tonne. Die Mädels lachen und bedanken sich – gänzlich frei von Ironie – beim besorgten Servicemitarbeiter für Sicherheit. Eines der Mädels wird dann noch in eine separate Kabine beordert. Ihr Bügeleisen, das für einen Flug nach Hong Kong unerlässlich ist und deshalb auf gar keinen Fall im Handgepäck fehlen darf, muss sich ein paar gesonderten Checks unterziehen. Was auch immer darunter zu verstehen ist. Schnell flüstere ich dem gestressten Herrn vom Service zu, was Bügeleisen auf Englisch heißt und mache mich vom Acker. Mein Handgepäck bleibt unbeanstandet, was mich nach der Steilvorlage meiner asiatischen Mitreisenden nicht weiter verwundert.
It‘s boarding time. Eine freundliche Dame schnappt sich ihren Teil meiner Bordkarte. „Guten Flug! Ach nee, doch nicht.“ Sie bittet mich mit ernstem Blick zur Seite und teilt mir bekümmert mit, dass die Entertainment-Technik an meinem Sitzplatz ausgefallen ist. Sie möchte mir einen anderen Platz anbieten. Ich zögere. Hatte ich 66 K doch eigens schon beim Buchen des Fluges reserviert, da dieser sich in einer Zweierreihe am Fenster befindet, die zur Seite etwas „Auslauf“ gewährt. „Aber Sie werden sich zwölf Stunden langweilen!“, entgegnet sie entsetzt auf mein Nein. Und rückt erst dann mit der viel interessanteren Info raus: Der Sitz daneben ist frei und bietet somit ebenfalls unverhoffte Freiheit. Ich gebe nach. Wehe, die Filmauswahl ist schlecht.
Extrem freundliche asiatische Stewardessen geleiten mich charmant in den Flieger. Nur knapp allerdings entgehe ich dem ungeplanten Anschlag eines Mitreisenden, der allzu lässig seine Rollerskates über die Schulter schleudert. Unverletzt entere ich meinen Fensterplatz und stelle entzückt fest, dass Cathay Pacific nicht nur leere Nachbarplätze, sondern auch geschätzte zehn Zentimeter mehr Beinfreiheit gewährt als die Konkurrenz. Kleben meine Knie bei anderen Airlines fest am Vordersitz, halten sie hier komfortablen Abstand. Nein, mein Körper ist noch nicht geschrumpft. Dafür ist mein Gehirn zuständig, wenn es nicht genug Futter kriegt. Und à propos: mit dem vorbestellten vegetarischen Essen klappt auch alles. Irgendwie verdächtig.
Doch bevor ich mich dem süßen Nichtstun hingeben kann, lauert noch ein Verwaltungsakt auf mich. Zwei Zettelchen sind auszufüllen: Immigration card und ein Fragebogen zur Schweinegrippe. Ich muss detailliert angeben, wo ich in den nächsten sieben Tagen zu erreichen bin. Also krame ich umständlich die Unterlagen heraus. Auswendig kenne ich die Daten nicht. Noch nicht. Jedenfalls überbrücke ich sinnvoll die Zeit bis zum Abflug damit, Hoteladressen, Flugnummern etc. einzutragen. Der Start geht anschließend so pünktlich und unspektakulär über die Bühne wie der ganze Flug.
Hong Kong – Boxenstopp I
Kowloon Nathan Road
Hong Kong – Boxenstopp I
Kulturschock
Am frühen Morgen landen wir kurz nach 7 Uhr auf Lantau Island. Dort wurde vor ein paar Jahren Hong Kongs neuer Flughafen hingeklatscht. Seitdem ist auf diesem ehemals beschaulichen Fleckchen Erde ein klein wenig mehr los.
Nach einer unspektakulären Einreise wartet in der Ankunftshalle der Fahrer von Jetway Express auf mich und auf noch eine Handvoll anderer desorientierter Reisender. An dieser Stelle ist ein Geständnis fällig. Ich habe mir für meinen kurzen Zwischenstopp in Hong Kong entgegen sonstiger Gewohnheit ein Rundum-Sorglos-Paket gegönnt. Transfer von und zum Flughafen, zwei Hotelübernachtungen und eine halbtägige geführte Stadtrundfahrt. Dann habe ich schon mal den groben Überblick und kann mich am Ende der Reise genüsslich auf eigene Faust austoben. Denn dann stoppe ich wieder in Hong Kong. Ich habe das Vergnügen, vorne neben dem Fahrer sitzen zu dürfen. Für die erste Reihe brauche ich keine Öffentlich-Rechtlichen. Der Fahrer kämpft sich durch den morgendlichen Berufsverkehr, was uns Reisenden die Gelegenheit verschafft, uns in Ruhe das eine oder andere Faszinierende anzuschauen. Gigantische Wolkenkratzer vor bergiger, tropisch üppiger Naturkulisse, futuristische Autobahnbrücken, fremde Schriftzeichen auf den Straßenschildern, enge Straßenschluchten, ordentlich aufgereihte Handschuhe am Müllwagen – ich wünsche mir mehr als nur zwei Augen.
Mit Schirm, Charme und ohne Melone
Im Hotel angekommen, ist mir das Glück hold. Mein Zimmer, das mir eigentlich erst ab dem Nachmittag zusteht, ist schon fertig. Es ist erst kurz nach 9 Uhr, und der ganze Tag liegt mir zu Füßen. Das tut sonst niemand. Ich werfe meine Habe ins Zimmer und stürze mich nach Dusche und Klamottenwechsel