Count.Down.Under. Elke Tesche

Count.Down.Under - Elke Tesche


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finde nicht rechtzeitig in den neuen Schlafrhythmus. Endlich bin ich Ihnen einmal voraus – wenn auch nur um sechs Stunden. Doch das wird noch besser, wenn ich erst in Australien bin.

      Ich trete auf die Straße. Das Wetter klatscht mir hart und unerbittlich wie eine Ohrfeige ins Gesicht. Die Temperaturen um 35 Grad herum könnte ich ertragen. Wäre da nur nicht diese brutale Luftfeuchtigkeit. Gefühlte 150 Prozent. Mindestens.

      Ich wohne im Herzen Kowloons. Hier ist der Kaufrausch zu Hause: in allen Preisklassen. Auf der Nathan Road werde ich alle zwei Meter von Typen angequatscht, die mir billige Uhrenimitate andrehen oder mich in irgendwelche Läden lotsen wollen. Den ersten gönne ich noch ein freundliches Kopfschütteln. Die anderen werden Opfer meiner Arroganz. Ich ignoriere sie. Weil mir das Gelaber auf die Nerven geht. Weil ich müde und schon wieder hungrig bin – Frühstück gab es im Flieger heute Morgen schon um 5 Uhr. Weil ich hin- und hergerissen bin mit meinen Eindrücken von Hong Kong. Einerseits die traumhafte Lage am Meer, die beeindruckende Hochhauskulisse von Hong Kong Island, die trotz Gewusel und Enge gelassenen Menschen. Andererseits die stickige Luft, die vielen heruntergekommenen Ecken, die vollgestopfte Enge, der Leuchtreklamen-Overkill. Faszinierend und widersprüchlich zugleich.

      Aber ich hüte mich, nach einem Tag ein Urteil zu fällen. Ich muss eine Nacht darüber schlafen und mir morgen den anderen interessanten Teil dieser Stadt, Hong Kong Island, ansehen. Am späten Nachmittag bin ich endgültig platt. Die lange Anreise, Schlafmangel, Hitzekeule und Jetlag schlagen zu. Bevor ich jedoch ins Hotel zurückkehre, treibt mich die Neugier in die nahe gelegene Temple Street. Ab 18 Uhr verwandelt sich diese tagsüber recht unscheinbare Gasse in einen lebhaften Nachtmarkt. Wer sich für Textilien, Leder- und Elektronikwaren interessiert, feilscht hier, was das Zeug hält.

      Hoch oben auf dem Dach im 21. Stockwerk hat mein Hotel einen kleinen, aber feinen Swimmingpool. Ich werde mit einem exklusiven Ausblick auf die Stadt belohnt. Ich habe den Pool für mich alleine und ziehe genüsslich ein paar Bahnen. Feierabend.

      Der Tag heute wird kurz werden. So ist das, wenn man erst um 11 Uhr aufwacht und sich in einer Stadt befindet, die knapp nach 18 Uhr in eine sehr kurze Dämmerung verfällt, die sich wiederum noch vor 19 Uhr in Dunkelheit verwandelt. Wunderbar ausgeschlafen begebe ich mich in den Untergrund. Ich finde es immer wieder aufregend, in fremden Städten mit der U-Bahn zu fahren. Hong Kong macht es der Fremden leicht. Alles Wissenswerte steht auch auf Englisch da, das Netz ist übersichtlich, die Ticketautomaten geradezu vorbildlich selbsterklärend. Ein Blick ins Portemonnaie allerdings verrät: kein Kleingeld für den Automaten. Den Fahrschein bekomme ich bestimmt auch beim einschlägigen Kundenservice ein paar Meter weiter. Oder aber auch nicht: der junge Mann am Schalter reicht mir freudestrahlend kein Ticket, sondern den Gegenwert meines Scheines in Münzen rüber. Für den Ticketautomaten. Nun, auch gut. Ich tue, was zu tun ist und nehme die nächste U-Bahn. Sie ist brechend voll, genau wie der Bahnsteig. Geschubse, Gedränge, Generve und Gemecker? Fehlanzeige. Völlig entspannt, ruhig und gelassen arrangieren sich die Leute mit der Situation. Ich bin beeindruckt.

      Drei U-Bahn-Stationen weiter tauche ich wieder an der Oberfläche auf und befinde mich auf Hong Kong Island. Hier weht heute eine leichte Brise. Von frisch kann indes keine Rede sein. Es ist eher eine Art, hm, nennen wir es Föhn. Ich verdränge die feuchte Hitze aus meinem Bewusstsein und nehme meine Umgebung wahr. Was ich sehe, gefällt mir, sehr sogar. Um mich besser orientieren zu können, schlage ich den kürzesten Weg zum Fährhafen, dem Star Ferry Pier, ein. Da mir noch was an meinem Leben liegt, überquere ich die Connaught Road auf dem überdachten Hochweg für Fußgänger. Dort trotten Menschenmassen in aller Ruhe gemächlich vor sich hin. Asiatische Gelassenheit oder Kapitulation vor der Hitze? Vermutlich von beidem etwas. Ich jedenfalls, die ich die Berliner Hetze gewöhnt bin, finde das mehr als angenehm.

      Am Hafen angekommen, gönne ich mir einen eisgekühlten Früchtepunsch – ohne Alkohol. Nachdem der Flüssigkeitsverlust ausgeglichen ist, schaue ich mich in aller Ruhe um. Vor der spektakulären Skyline im Hintergrund ist eine riesige Baustelle. Die Krandichte erreicht in etwa die Größenordnung des Berliner Potsdamer Platzes vor zehn Jahren oder die der Hafencity in Hamburg aktuell. Ich bin schon gespannt, was mich erwartet, wenn ich beim nächsten Mal hierher zurückkehre. Nein, ich meine nicht den Stopp auf dem Rückflug von Australien Ende Oktober.

      Statue Square

      Gedankenverloren werfe ich einen Blick in mein Portemonnaie, um die Finanzlage zu überprüfen. Noch 1200 Hong Kong Dollar. Das macht rund 120 Euro in vielen bunten Scheinen. Denn Scheine gleichen Wertes sehen nicht unbedingt identisch aus: gleich drei Banken geben sie heraus und gestalten sie mit unterschiedlichen Motiven. Farblich ähneln sie sich. Die Größe der Scheine ist identisch. Immerhin.

      Über die besagte Fußgängerbrücke begebe ich mich zurück ins Epizentrum des Geldes. Man gelangt mehr oder weniger zwangsläufig in diverse Nobel-Shopping-Malls, die geschickt ineinander übergehen und auf Namen wie Alexandra House, The Landmark und Prince‘s Building hören. In unmittelbarer Nachbarschaft liegt eine berühmte Nobelherberge, das Mandarin Oriental Hotel. Mit kurzen Hosen, bequemen Sandalen, ärmellosem T-Shirt, Piratentuch auf dem Kopf (Devise „Rettet die Kopfhaut“) und lässig hochgesteckter Sonnenbrille betrete ich die Hotellobby. Ich belasse es bei einem kurzen Rundumblick und verlasse die edle Stätte gleich wieder. Denn es ist zu befürchten, dass die Übernachtungspreise mein Budget geringfügig übersteigen. Dies gilt sicher auch für die Anforderungen an ein angemessenes Outfit.

      Komplizierte E-Mail-Adresse

      Pause auf dem Statue Square. Ich packe Laptop und Headset aus und skype eine Runde mit Stefan, meinem in Berlin zurück gelassenen Lebensgefährten. Denn genialer Weise bietet die Stadt hier auf diesem Platz kostenlosen Internetzugang an. E-Mails checke ich bei der Gelegenheit auch noch. Großartig! Und wenn wir gerade dabei sind: auch Starbucks bietet kostenloses WLAN, begrenzt auf 20 Minuten, was ich bereits gestern getestet habe. Dazu muss man nur die üblichen Geschäftsbedingungen mit einem Klick bestätigen. Zwar war alles auf Chinesisch – keine Ahnung, was ich da alles akzeptiert habe – aber die nette Bedienung, die mir alles erklärte, schien so vertrauenswürdig. Die wenigen Internet-Cafés, die ich bisher wahrgenommen habe, hatten kein WLAN, sondern lediglich ihre eigenen Rechner, auf denen sie „verkabeltes“ Internet anbieten.

      Während ich mit Stefan plaudere, gesellt sich eine kostümierte Dame zu mir auf die Bank. Als die Platzwächterin, Schaffnerin oder Polizistin registriert, was ich da tue, bricht sie in Begeisterungsstürme aus. Erst recht, als ich den Laptop zu ihr hindrehe und sie sich selbst sehen kann. Und Stefan, der zur allgemeinen Erheiterung den berufstypischen Mundschutz hochzieht und gespielt erschrocken schaut. Ich rede mit ihr Englisch, sie mit mir Chinesisch. Kantonesisch oder Mandarin? Ich weiß es nicht. Keine versteht die andere, aber wir lachen herzlich und scherzen gestenreich miteinander. Sehr kurzweilig und amüsant! Fast hätte ich meinen Gesprächspartner am anderen Ende der Welt vergessen.

      Anschließend werfe ich einen kurzen Blick ins sehenswerte Foyer der Zentrale der Hong Kong & Shanghai Banking Corporation. Mit freundlicher Genehmigung des Wachpersonals darf ich auch ein Foto schießen. Dieses laut Reiseführer teuerste Gebäude der Stadt wurde von Sir Norman Foster in Brückenbautechnik konstruiert. Die Innenansicht ist wirklich beeindruckend! Wieder draußen im Freien, schlendere ich vorbei an St. John‘s Cathedral, der vermutlich ältesten anglikanischen Kirche Ostasiens und erklimme keuchend (das Klima!) die ansteigende Straße. Im idyllischen Hong Kong Park, ebenfalls in konsequenter Hanglage, erhole ich mich soweit wie möglich. Erschöpft kehre ich nach diesem intensiven Tag ins Hotel zurück. Schluss. Punkt.

      Der Tag fängt mit einer kleinen Schrecksekunde an. Beim Auschecken kündige ich vorsorglich an, dass ich bei meiner Rückkehr in dieses Hotel Ende Oktober recht spät abends ankommen werde. Die Dame an


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