Moritz und das geheimnisvolle Topasia. Frank Anders
kannst dich jetzt sauber machen«, sagte der Kleinere zu Moritz.
»Ich gehe ein Stück und sammle für das Fest Blätter ein. Bin gleich zurück.«
Moritz stieg zu dem Wasser hinab, begann sich Gesicht und Arme zu waschen, während sich der Größere auf einer Wurzel gemütlich hinsetzte und ihm interessiert zusah. Er merkte, wie Moritz immer wieder nach dem anderen schielte.
»Das ist Flavo, mein Bruder«, zeigte er mit dem Kinn in seine Richtung. »Er ist etwas ruhig, aber sonst ganz in Ordnung. Er passt auf mich auf, dass mir nichts passiert. Ich heiße übrigens Floggi.«
»Und … was seid ihr für welche? Ich meine, gibt es einen Namen für eure Art?«, fragte Moritz verhalten.
»Wir sind Schildigel«, antwortete ihm Floggi mit seiner piepsigen Stimme. »Früher waren wir ganz normale Igel. Allerdings hat die Zeit uns verändert, seit wir in dem Wald leben müssen. Wir haben die sichtbaren Stacheln abgelegt und sie gegen einen biegsamen Panzer getauscht, um uns unter der Erde besser bewegen zu können.«
»Und wie alt seid ihr?«, wollte Moritz wissen.
Floggi blickte wieder zu Flavo, der eifrig ein Blatt nach dem anderen auflas, die der Wald bei der Masse nicht mehr verschlucken konnte.
»Flavo ist bald seinen achtundsiebzigsten Sommer alt. Ich dagegen habe erst meinen dreiundfünfzigsten Sommer vor mir.«
Moritz überlegte. Das hieße ja, dass Flavo achtundsiebzig und Floggi dreiundfünfzig Jahre alt sein mussten, wenn er seine eigene Zeitrechnung zum Vergleich nahm. Aber diese zwei wirkten beileibe nicht so, wie zum Beispiel Menschen in diesem Alter. Also musste es für dieses hohe Alter eine andere Erklärung geben.
Floggi bemerkte die Unsicherheit im Blick des Jungen.
»Was ist?«, fragte Floggi und lächelte.
»Wie alt könnt ihr Schildigel denn werden?«, fragte Moritz.
»Die meisten von uns können bis zu Zweihundertachtzig Sommer alt werden«, antwortete Floggi und blickte Moritz an, als sei das nicht wirklich besonders. »Dabei machen wir aller siebzig Sommer eine Entwicklungsstufe durch«, setzte er wieder an. »Kindheit, Jugend, dann das Erwachsenenalter und das Greisenalter. Bei Flavo ist gerade die Jugend angebrochen, was du sicher an seiner Stimmungsschwankung hören konntest.«
Moritz nickte. Dann fragte er Floggi, was ihn schon die ganze Zeit auf den Nägeln brannte.
»Warum redet ihr eigentlich so komisch? Ich meine dieses Heben und Senken eurer Stimme und dann dieser eigenartige Klang, als wenn ihr dabei singen würdet.«
Floggi zuckte nur die Schultern.
»So ist das eben bei uns Schildigeln«, gesellte sich Flavo wieder zu ihnen. »Unsere Stimmbänder sind nun mal nicht für die menschliche Stimme gemacht, daher ist es uns nie ganz gelungen, so wie sie zu sprechen. Es ist gut, wenn wir uns auch darin von ihnen unterscheiden. Außerdem denke ich, es reicht jetzt. Mehr brauchst du nicht von uns erfahren.«
Dann sah Flavo Floggi mit ernster Miene an. In den Armen hielt er eine Menge eingerollte Blätter. Die Stachel hatte er entfernt und in den Taschen seiner Hose verstaut.
»Warum hast du ihm das alles erzählt? Das nützt ihm sowieso nichts!«
Floggi zog eine beleidigte Schnute und blickte zu Boden.
»Und was unsere Stacheln angeht«, wandte sich Flavo wieder an Moritz, »so besitzen wir immer noch welche und sind bereit, sie einzusetzen, wenn es nötig ist.« Flavo schaute über die Schulter zu seinem Panzer und auf ein Mal schossen dort unzählige, silbern glänzende Stachel heraus.
Vor Staunen blieb Moritz der Mund offen.
Floggi wollte dem in nichts nachstehen und seine Stacheln nun auch präsentieren. So sehr er es auch versuchte, ein angestrengtes Gesicht machte, kein einziger Stachel wollte sich zeigen. Enttäuscht ließ der Schildigel den Kopf hängen. Da trat Flavo näher an ihn heran und wisperte ihm aufmunternd zu: »Versuch es weiter, kleiner Bruder. Los, du schaffst das!« Floggi sah ihn an und begann wieder zu pressen, bis es schließlich Klack machte. In der Mitte seines Panzers kam erst ein, dann ein zweiter Stachel zum Vorschein. Auch wenn sie nicht mehr wurden und nur langsam hervortraten, war Floggi mächtig stolz auf die zwei. Sein Lächeln kehrte zurück und in seinen schwarzen Kulleraugen war ein Leuchten, das in Moritz ebenfalls ein Lächeln entzündete.
»Das war prima, Floggi«, schlug Flavo ihn freundschaftlich auf die Schulter. »Und jetzt, fahr sie ein.«
Floggi holte Luft und erneut war ein Klacken zu hören. Gleich beim ersten Versuch hatte es geklappt, die Stacheln waren verschwunden.
Dann zog auch Flavo seine ein und drängte zur Eile. Man würde sicher bereits auf sie warten.
Moritz wollte sich noch etwas den Schlamm von der Hose und dem T-Shirt wischen, aber alles war noch zu feucht und schmierte nur breit. Er ließ davon ab, spülte seine Hände noch einmal im Wasser und ging anschließend zu Flavo und Floggi rauf. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg.
Die Gänge unter dem Kürbiswald glichen einem Labyrinth aus unzähligen, miteinander verbundenen Röhren, in denen es furchtbar nach faulen Kürbissen stank.
Nachdem sich der Wald ausgetobt hatte, herrschte überall in den Gängen munteres Treiben. Schildigel wuselten herum, zumeist in Zweiergruppen, und waren damit beschäftigt, die Ernte einzuholen. Den durch die Decke tropfenden Saft der Früchte fingen sie in Behältern auf oder zogen die Blätter an ihren Stacheln durch das Erdreich. Dabei stellten sie sich nicht immer besonders geschickt an, passierte es hin und wieder, dass sie sich in ihrem Eifer mit dem Saft der Früchte übergossen oder sich die Stacheln in die Zehen rammten. In so manchem Gang konnte man sie fluchen hören.
Moritz betrat das Röhrensystem, das durch Wurzelstränge stabil gehalten wurde, und in regelmäßigen Abständen waren Stöcke in den Boden gesteckt und hielten obendrauf eine wabernde Masse, die die Gänge letztlich mit ausreichend orangefarbenem Licht versorgte.
Moritz konnte beinahe aufrecht stehen und blickte sich um. Zwei Schatten eilten voraus und zogen sich länger und länger. Schließlich kamen die Wesen hinterher und hatten Handwagen bei sich, in denen sie entweder den Kürbissaft oder die Blätter und Stacheln transportierten. Sie waren so in ihre Arbeit und Gespräche vertieft, dass sie den Gast überhaupt nicht beachteten.
»Du siehst aus, als hättest du in Kürbissaft gebadet«, sagte das eine scherzhaft zu dem anderen. Auf dem kahlen Kopf trug es einen Blätterhut, den über Kreuz eingesteckte Holzstücke zusammenhielten.
»Was du nicht sagst«, entgegnete das andere säuerlich. »Bloß weil du mir unbedingt helfen wolltest. Da kam gleich der ganze Kürbis hinterher. Das hab ich nun von deiner Hilfe. Das stinkt noch mindestens eine Woche lang!« Das zweite Wesen hatte auch einen Hut, der aber hing ihm klitschnass ins Gesicht. Seine Miene verriet mehr, als es Worte hätten tun können.
Der trockene Schildigel konnte nun nicht mehr bei sich halten und prustete lauthals los. Sein ansteckendes Lachen zeigte schon bald seine Wirkung. Obwohl noch immer sauer auf die ungewollte Kürbisdusche, hielt es der andere nicht länger aus. Von Lachkrämpfen geschüttelt liefen die beiden an Moritz, Flavo und Floggi vorbei ohne wirklich von ihnen Notiz zu nehmen.
»Das sind Gusto und Renag, zwei beste Freunde, die haben immer viel Spaß«, sagte Floggi und musste sich anstrengen, nicht in das Gelächter mit einzufallen.
Da ging neben ihnen eine aus Baumrinde gebaute Schwenktür auf und Oktavo trat, begleitet von zwei Wachen, auf Moritz zu. Er machte eine einladende Geste. »Die Vorbereitungen für das Fest sind fast abgeschlossen«, sagte er und seine Wachen sahen sich an und nickten zustimmend.
Nur Flavo und Floggi hatten noch etwas zu erledigen.
Oktavo schickte sie in den Raum hinter der Schwenktür, wo sie die gesammelten Blätter in der Mitte auslegen sollten. Bis damit auch die letzte Vorbereitung getroffen wäre, würde er Moritz noch ein wenig herumführen.
Flavo und Floggi gingen, aber