Kalte Zukunft. Benjamin Blizz

Kalte Zukunft - Benjamin Blizz


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Stück hochrutschte und den Blick auf ihren flachen, sonnengebräunten Bauch freigab. Schwärmerisch starrte sie in den Nachthimmel, und Shane fragte sich, ob sie versuchte, ihn zu verführen oder nur für einen Moment ihre schüchterne Art abgelegt hatte. Jedenfalls spürte er, wie ihm warm im Körper wurde, als er sie so dastehen sah.

      Bevor er seine nächsten Schritte abwägen konnte, zerstörte ein plötzliches Rascheln den Zauber des Augenblicks. Estella fuhr herum. Fünfzig Meter von ihnen entfernt konnte man gerade noch einen dunklen Schemen zwischen den Solarkollektoren davonhuschen sehen.

      »Da draußen ist irgendjemand«, flüsterte Shane und starrte konzentriert in die Dunkelheit.

      Estella schüttelte den Kopf. »War bestimmt nur der Wind.«

      Doch damit wollte sich Shane nicht zufrieden geben. Er hatte die Angst in ihren Augen aufblitzen gesehen, und ihr Atem ging schnell und stoßweise.

      »Es ist absolut windstill. Da war jemand.«

      »Kann sein, vielleicht ein Techniker«, räumte Estella ein, die sich mittlerweile wieder gefangen hatte und nun versuchte, ihren Schrecken herunterzuspielen. »Die müssen manchmal auch nachts raus, wenn Störungen auftreten.«

      Shane blieb skeptisch, nickte aber. »Ja, schon möglich.« Er suchte noch einmal mit den Augen angestrengt die betreffende Stelle und die nähere Umgebung ab, konnte jedoch nichts entdecken. Wenn dort tatsächlich jemand gewesen war, war er nun verschwunden.

      »Wir sollten wieder reingehen, es wird sehr frisch.« Estella blickte ebenfalls noch einmal über ihre Schulter, dann machten sie sich auf den Rückweg.

      Kapitel 11

      Zwei Stunden später lag Shane im Pyjama auf seinem Doppelbett und starrte an die Decke. Er fand keinen Schlaf. Selbst das leise Summen der Klimaanlage, das sonst immer eine beruhigende Wirkung auf ihn hatte, vermochte ihn heute nicht einzuschläfern. Estella ging ihm nicht mehr aus dem Kopf.

      Wieso nur hatte der Schemen ausgerechnet in dem Moment auftauchen müssen, als es zwischen ihnen zu knistern begonnen hatte? Wenn er einmal eine Frau kennenlernte, die ihn wirklich verstand, musste natürlich alles schiefgehen. Aber so war das Leben: genauso wenig perfekt wie die Liebe.

      Er dachte an das, was sein könnte, beschwor Bilder herauf, über die er früher nur gelacht hätte. Shane O’Brien, der daran denkt, sesshaft zu werden! Das war wirklich skurril!

      Dennoch konnte er die Gefühle, die Estella in ihm weckte, nicht einfach ignorieren. So eine aparte junge Frau, mit der sich sogar ein Mann wie er eine gemeinsame Zukunft vorstellen konnte, begegnete einem schließlich nicht zweimal im Leben.

      Während seine Augen allmählich zufielen, spulte sein Gehirn ihr Gesicht in Endlosschleife ab.

      ***

      In Estella Meinhards Verstand schien ein Tornado zu wüten, der ihre Gedanken durchpflügte und eine Schneise der Verwüstung hinterließ. Aus der anfänglichen Sorge um die Fotovoltaik-Anlage war inzwischen ein Sturm unterschiedlichster Gefühle geworden, von dem Augenblick an, als Shane in ihr Leben getreten war. Er war völlig anders als die Männer, mit denen sie für gewöhnlich ausging – junge, durchschnittliche Typen, die ihr das Gefühl gaben, überdurchschnittlich, ja unerreichbar zu sein. Shane rief keines dieser Gefühle in ihr hervor. Er war reifer, fordernd, männlich, ungestüm, aber auch gebildet, kultiviert und auf eine sehr spezielle Art und Weise verständnisvoll. Eine Mischung, die, wie sie zu ihrem eigenen Erstaunen feststellen musste, ihren eigenen Charakter widerspiegelte. Er war der Typus Mann, dem eine Frau gefallen wollte und nicht andersherum.

      Wäre sie nicht wegen der bevorstehenden Präsentation und des schwer zu fassenden Gefühls der Bedrohung – das sich in ihrem Hinterkopf festklammerte, seit Fritzsch ihr von den Zwischenfällen erzählt hatte – so aufgewühlt gewesen, hätte sie ihre Bemühungen, Shane zu verführen, wahrscheinlich intensiviert, doch so hielt sie ihn lieber vorerst auf Abstand, obwohl ihr das schwerfiel.

      Auch sie lag allein auf ihrem Bett und starrte an die Decke. Was er wohl in diesem Moment dachte? Drehten sich seine Gedanken um sie oder um den seltsamen Vorfall heute Abend?

      Beide hatten zweifelsohne jemanden gesehen – und dass es ein Techniker gewesen war, war ausgeschlossen. Vor dem Zubettgehen hatte Estella die Logdateien überprüft. Zwar hielten sich mehrere Techniker auf dem Gelände auf, aber alle weitab von der Stelle, an der sie gestanden hatten. Hätte Fritzsch sie nicht über die vorangegangenen Ereignisse informiert, hätte Estella dem kleinen Erlebnis wohl keine Bedeutung zugemessen, doch so bereitete ihr die merkwürdige Beobachtung große Sorge. Andererseits wollte sie auch nicht grundlos Alarm schlagen und eine Hysterie riskieren, falls dort vielleicht doch nur ein Tier oder etwas anderes Harmloses herumgestreunt war.

      Mit einem unguten Gefühl schlief sie endlich ein.

      Kapitel 12

      1. März 2023

      Sun City

      Eine einsame, grau-braun gefiederte Wüstenläuferlerche stolzierte auf dem Glasdach über den Köpfen der Gäste entlang. Sie flog nur selten mehr als ein paar Meter und verbrachte die meiste Zeit auf dem Boden oder auf Gebäuden. Die Sonne brannte bereits sengend vom Himmel, wovon in dem klimatisierten Glastunnel jedoch nichts zu merken war. Die gläserne Verbindungsstrecke befand sich etwa drei bis vier Meter über dem Boden, und man hatte einen fabelhaften Ausblick auf einen Großteil der PECS-Anlage.

      Estella drehte sich zu der kleinen Gruppe, die ihr aufmerksam folgte, herum und zeigte aus der Fensterfront.

      »Sie kennen Solarstromanlagen bereits aus ihren Heimatländern: Flächen mit 1000 bis 1400 Solarmodulen, die eine Gesamtleistung von maximal zwölf Megawatt erreichen. Dort draußen befinden sich 30000 PECS-Module; die Leistung beträgt allerdings nicht etwa 500, sondern 2000 Megawatt. Aufgrund neuester Technologien ist es uns gelungen, die gewonnene Leistung mehr als zu verdreifachen. Nirgendwo auf der Welt werden Sie eine Technik wie die unsere vorfinden, zumindest jetzt noch nicht. Mister Heckler wird Sie in der anschließenden Präsentation mit dem PECS-Verfahren vertraut machen.«

      Die Gruppe nickte anerkennend, während sie Estella Meinhards Ausführungen folgte.

      Wo zum Teufel bleibt Shane?, fragte sie sich. Ob auch er an einer Magenverstimmung litt? Einige Gäste, darunter auch Thalia Morgan sowie Meiers Assistent, klagten seit den frühen Morgenstunden über Magenkrämpfe und Übelkeit. Möglicherweise war ein Teil des Menüs von gestern Abend verdorben gewesen, was sich Estella nur schwer vorstellen konnte. Doch auch sie verspürte ein unterschwelliges Rumoren, was ihre Arbeitsfähigkeit zum Glück nicht beeinträchtigte.

      Nur um ganz sicherzugehen hatte sie Fritzsch angewiesen, die Reste des Essens auf Gifte untersuchen zu lassen. Das Ergebnis wartete bestimmt schon auf sie; falls tatsächlich etwas gefunden worden wäre, hätte man sie allerdings längst informiert. Zwar sagte ihr der Verstand, dass alles in Ordnung sei, aber ihr sechster Sinn, falls es etwas Derartiges gab, war anderer Meinung. Auch wenn es albern zu sein schien: Die Luft fühlte sich dicker an als sonst, so als hätte sich eine zähflüssige Bedrohung in ihr verfestigt.

      Die heutige Präsentation entschied über Erfolg oder Misserfolg der weiteren Projekte. Hawkes Enterprises konnte ohne Unterstützung weiterexistieren, aber nicht expandieren. Dafür fehlten ihnen die finanziellen Mittel, die ihnen hoffentlich bald zur Verfügung gestellt werden würden, sollte es ihr gelingen, die potenziellen Investoren zu überzeugen. Ebendeshalb musste sie Überzeugungsarbeit leisten und durfte sich keine Fehler erlauben.

      Noch verlief alles genau nach Plan. Die Gäste waren beeindruckt, und bis auf die Magenverstimmungen gab es keine Schwierigkeiten. Ohne Shane würde jedoch der Artikel wegfallen, von dem sie sich so viel erhofften, weswegen sie ständig verstohlen nach ihm Ausschau hielt.

      Die Wüstenläuferlerche folgte dem Weg, den die Menschen einschlugen, und beobachte sie ebenso furchtlos wie neugierig. Nach einigen Metern endete der scheinbar schwebende Glastunnel und führte in einen großen Metall- und Betonkomplex. Die Wüstenläuferlerche zwitscherte aufgebracht,


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