Der Zthronmische Krieg. Matthias Falke

Der Zthronmische Krieg - Matthias Falke


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schwindende Bereitschaft an, all dieses Leid unwidersprochen hinzunehmen. Viele schienen ihn mit zurückgestautem Vorwurf anzustarren. War er denn für das Grauen verantwortlich? In gewisser Weise schon, dachte er, während er wieder und wieder die Segensformel sprach, insofern als er sich zum Fürsprecher eines Gottes gemacht hatte, der Verbrechen wie diese geschehen ließ. Zu einem Gott zu beten, der Akte purer Grausamkeit nicht verhinderte? In vielen der stolzen Mienen, die sich ihm entgegenhoben, zu stolz, um zu weinen, und zu stolz, um anzuklagen, glaubte er so etwas zu lesen. »Wer bist du«, schienen sie zu fragen, »dass du dich zum Anwalt eines solchen Gottes machst?«

      Eine der letzten in der Reihe war Shorena. Sie hatte, wie alle anderen Frauen auch, das schwarze Trauergewand angelegt, das ihre dunkle Schönheit noch vertiefte. Ein schwarzer Schleier aus handgestickter amisher Seide fiel über ihren Scheitel, verbarg ihr Gesicht, ihre Schultern und Arme. Dennoch sah er ihre dunklen Augen darunter lodern. Sie deutete die Beugung ihres Knies nur an, als sie den Segen empfing. Dann stand sie da, gab den Weg nicht frei, für die wenigen, die noch nach ihr kamen, sondern musterte den Pater unter ihrem Schleier hervor. Es war eine Herausforderung, ein Affront. Aber dennoch wich sie nicht vor ihm zurück. Sie schlug die Augen nicht nieder, sondern sie forschte in seinem blassen, von Trauer, Schock und Resignation gezeichneten Gesicht. Was suchte sie? Suchte sie die Seele hinter der Maske des Geistlichen, der seine Zuflucht zu Formeln und Ritualen, Dogmen und Zeremonien nehmen konnte? »Du hast nie geliebt«, schien ihr glosender Blick zu sagen, »wie kannst du ermessen, was es heißt, um seine Lieben zu fürchten? Du hast keine Kinder; wie kannst du ermessen, was es heißt, ein Kind zu verlieren?«

      »Du musst weitergehen …«, sagte er leise.

      Sie ließ es geschehen, dass er sie mit sanftem Nachdruck weiterschob. Aber sie ging nur ein paar Schritte und wartete dann in einer Gruppe von Männern und Frauen, die sich – im Gegensatz zu allen anderen – noch nicht zerstreuten. Der Pater hatte die Segensformel zum letzten Mal gesprochen und den Totengräbern das Zeichen gegeben, dass die Zeremonie beendigt war. Es war keine Minute zu früh. Die Sonne war hinter den Palisaden verschwunden, in deren Schatten es empfindlich kalt zu werden begann. Lediglich die höheren Gebäude und der stumpfe Kegel, der jenseits der Unterstadt ansteigenden Pueblos wurden noch von ihren Strahlen angeschienen. Die weiß gekalkten Flächen wurden zinnoberfarben, als wolle die Wüste alles, was sich über sie erhoben hatte, in sich zurücksaugen. Dann dunkelte das Rot schnell ein, wurde blutig, rostig, purpurn. Am Himmel wurden die ersten Sterne sichtbar. Einer davon schoss mit erheblicher Geschwindigkeit gegen das unbewegte Feld der anderen dahin. Es war eine Raumstation, die auf ihrem Orbit in den Schatten des Planeten tauchte.

      Dann fiel die Nacht ein. Der Pater verharrte noch einige Minuten in stillem Gebet vor der endlosen Reihe frischer Gräber.

      Als er sich umwandte, war die Gruppe immer noch da. Ein Dutzend Männer und Frauen. Shorena war unter ihnen, Ari ben Guron, der ihm am Morgen das Leben gerettet hatte, und einige andere, deren Namen ihm wieder einfallen würden.

      »Pater«, sagte Ari zögernd, »auf ein Wort …«

      Er schien sich zum Sprecher der Gruppe gemacht zu haben. Die anderen warteten schweigend ab. Unter den Frauen war Shorena diejenige, die einen Schritt vor den anderen stand. Ihre Haltung drückte Trotz und Unbeugsamkeit aus.

      Der Pater nickte. Er führte die Männer und Frauen zum Gemeindezentrum, das nur wenige Gassen entfernt war. Auch hier waren durch die Wucht der morgendlichen Explosion die Scheiben zerborsten. Ein Teil des Daches war abgedeckt. Man hatte die Fenster durch einen provisorischen Schutz aus Elastilfolien ersetzt. Auch das Dach war mit Folien repariert und mit Steinen beschwert, um diese gegen den starken Wind zu sichern. Der Pater ging hinein. Die Gruppe folgte ihm. Er kannte sie alle seit Jahrzehnten. Die meisten hatten von seiner Hand die ersten Sakramente empfangen, waren in die Gemeinschaft der Gläubigen eingeführt worden, er hatte sie getraut.

      Er hatte ihre Kinder begraben, dachte er.

      Pater Bel begab sich zu der Seitenkapelle, murmelte die rituelle Formel vor dem Meditationskaktus und zündete einige Lichter an.

      Dann sah er sich nach denjenigen um, die er im Stillen schon die Verschwörer nannte. Was wollten sie von ihm? Trost? Mehr Trost, als er es gerade getan hatte, konnte er nicht spenden. Auflehnung, Anklagen und Fragen? Sie vertieften nur das Leiden, waren wie das Stochern und Wühlen in einer Wunde, die allenfalls die Zeit schließen konnte.

      Der kleine Gemeinderaum bot einen trostlosen Anblick. An den Fenstern und der niedrigen Decke zeichneten sich die Spuren der Verheerung ab. Man hatte einige halbverkohlte Schulbänke und andere Zeugen des morgendlichen Angriffs untergestellt. Ansonsten war er leer. Kein Schmuck, keine Bildnisse. Die Schritte und Stimmen klangen hart und kalt. Die Luft roch brandig und schal.

      »Was wollt ihr?«, fragte der Pater. Ihm war bewusst, dass es barsch klingen musste. Aber er brauchte diese Schutzhaltung, um den letzten Rest des eigenen Lebenswillens aufrechtzuerhalten.

      Sie standen um ihn herum. Wie von ungefähr hatten sie einen Halbkreis gebildet. Die düstere Atmosphäre in dem kleinen Saal schien ihre aufrührerische Stimmung, die er draußen an den Gräbern gespürt hatte, zu dämpfen. Plötzlich waren sie alle wieder die Kinder und Jugendlichen, die er hier in den Glauben eingeführt hatte. Sie waren verstockt wie damals, als sie ein Kapitel auswendig hersagen sollten und es nicht gelernt hatten.

      Endlich trat Shorena vor. Sie legte den Schleier ab und sah ihn trotzig an.

      Die Erde auf dem Grab ihrer Tochter war noch nicht festgestampft und sie warf schon die Trauerkleidung ab. Es war ein furchtbarer Affront, eine fürchterliche wortlose Klage.

      Zugleich sah er, dass der tiefe Ernst noch ihre Schönheit verstärkte. Shorena war seit je die schönste Frau des ganzen Kibbuz S’Deró gewesen. Alle Männer hatten für sie geschwärmt und alle waren auf ben Cyrion neidisch gewesen, als er sie heimgeführt hatte, als blutjunges Mädchen noch. Wenn ben Cyrion nicht so angesehen gewesen und bei allen im höchsten Respekt gestanden wäre, hätte der Neid böse Früchte tragen können. So war die allgemeine Empfindung gewesen, dass die beiden einander angemessen waren. Sie waren das schönste und angesehenste Paar im Kibbuz und im ganzen Distrikt Kirjasch Moná. Sie hatten sieben Kinder gehabt …

      Der Pater bemühte sich, Shorenas anklagenden Blicken standzuhalten. Er fühlte sich erschöpft und ausgebrannt wie seit Langem nicht mehr. Die Last der Jahre lag auf ihm und drückte ihn zu Boden. Doch in der Schönheit dieser Frau lag auch etwas, das ihm Kraft gab. Er war alt und er hatte das Gelübde gesprochen. Aber er war auch ein Mann und er hatte Augen im Kopf.

      »Wie lange sollen wir das noch hinnehmen?«, sagte sie leise und mit drohendem Unterton.

      Auch die anderen Frauen legten jetzt die Schleier ab. Die Männer zogen die schwarzen Kippas von den Köpfen. Der Pater erstarrte. Wollten sie den Glauben abtun?

      »So kann es nicht weitergehen, Pater!«, sagte Ari, der neben Shorena getreten war und sie am Unterarm fasste. Ihre Hand zu nehmen, hätte er nicht gewagt. Sie war eine verheiratete Frau. Schon, dass er sie auf diese Art berührte, kam einem neuerlichen Tabubruch gleich.

      Wollen sie alles über Bord werfen?, durchzuckte es Pu Rhea Bel. Die Sitte, die Tradition, das Herkommen, die Werte ihrer tausendjährigen Gemeinschaft?

      »Was wollt ihr?«, fragte er kraftlos.

      Er rechnete mit Fragen, mit Anklagen. Und innerlich wappnete er sich. Er rief sich die scholastischen Definitionen und Syllogismen seiner Ausbildung ins Gedächtnis. Gott rechtfertigen? Das Böse in der Welt erklären? Kein Problem, wenn man im theologischen Seminar saß. Doch hier, vor einem Dutzend aufgebrachter Eltern, die gerade ihre Kinder zu Grabe getragen hatten? Der Pater wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Würden sie es wagen, ihn tätlich anzugreifen?

      Aber dann las er etwas anderes in ihren versteinerten Mienen. Es ging ihnen nicht um Worte oder Begriffe, um endlose Darlegungen und Erörterungen, es ging ihnen nicht um Aufhellung des Warum. Es ging ihnen um etwas viel Konkreteres.

      »Was wollt ihr?«, wiederholte er und konnte nicht verhindern, dass seine Stimme ängstlich zitterte.

      »Wir haben uns entschlossen«,


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