Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich

Zwei Freunde - Liselotte Welskopf-Henrich


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      Wichmann ergab sich und stellte sich zur Seite, abseits vom Schreibtisch und von der Tür.

      Seine Unruhe war so stark, daß sie ihm fühlbar die Nerven zusammenzog, während seine Augen kleiner wurden, um das Innere nicht nach außen scheinen zu lassen.

      Grevenhagen trat durch das Vorzimmer ein. Die Besonderheit seiner Erscheinung wirkte durch den Gegensatz zu Boschhofer auf Wichmanns eindrucksfähiges Empfinden noch stärker als das erstemal. Als die Schultern der schlanken Gestalt eine Verbeugung vor dem Ministerialdirektor angedeutet hatten und die blauen Augen Wichmann streiften, trieb es dem Assessor beim respektvollen Gruß das Blut in die Wangen. Er dachte daran, daß Boschhofers List ihm Gedanken entlockt hatte, die jetzt die Waffen einer vergifteten Argumentation gegen Grevenhagen werden konnten. Wer hatte ein Interesse an einem wirtschaftlichen Zusammenbruch? Niemand, nein, niemand. Aber das Interesse stand auch nicht zur Debatte, sondern um die Erkenntnis sollte es gehen. Das hatte er Boschhofer nicht ins Gesicht gesagt.

      Wichmann fühlte, wie er glühte vor Scham über seine Halbheit und Unterlegenheit. Grevenhagen mußte ihn für einen Schleicher halten. Der Gedanke verwirrte ihn derart, daß der Ministerialrat über die äußeren Anzeichen von Wichmanns Verlegenheit zu stutzen schien. Dem Assessor entging das nicht, und das Bewußtsein, daß Grevenhagen jetzt bei ihm ein böses Gewissen, sei es, worum es wolle, vermuten werde, steigerte seine stumme Erregung.

      Der Ministerialrat nahm Platz. Er zog aus einer Ecke einen einfachen Stuhl hervor, der Wichmann entgangen war, und saß nun, ein Bein über das andere geschlagen, nicht zu nahe bei Boschhofers Schreibtisch. Sein heller Anzug, den Wichmann mit abirrenden Gedanken auf englisches Tuch sagenhafter Qualität einschätzte, die genau dazu abgestimmten Seidensocken und die Halbschuhe waren mit dem grauen Haar das Bild zurückhaltender Eleganz. Die weißen Hände mit dem Siegelring hatten sich zusammen gelegt. Grevenhagen wartete mit einer gewissen reservierten Anmaßung. Wichmann fiel Boschhofers Bemerkung ein »Zehn Jahre Altersunterschied …« Grevenhagen war höchstens sechsunddreißig Jahre alt.

      »Ich danke Ihnen, Herr Kollege, daß Sie gekommen sind …« Die Stimme des Mastochsenkönigs rollte. »Sie haben daran gedacht, mir Ihr Exposé noch einmal mitzubringen?«

      »Herr Wichmann …« Grevenhagen sah seinen Assessor an.

      Dem Assessor genügte die Namensnennung, um sich sofort auf den Weg zu machen.

      »Halt … Herr Kollege Grävenhagen, weiß Herr Wichmann, wo Sie das Stück verschlossen haben?«

      »Ich nehme an, daß er weiß, wo er es eingeschlossen hat. Ich habe mir erlaubt, es ihm zum Durchlesen zu geben.«

      »Ach … haben Sie den Text auch anderen Herren zur Kenntnis gegeben? Ich hatte Sie doch um äußerste Diskretion in der Behandlung gebeten!«

      Mehr hörte Wichmann nicht mehr. Er schloß die Zwischentür sehr sorgsam hinter sich, eilte an der bunt gekleideten Frau Lundheimer vorbei und sprang die weich belegten Treppen über zwei und drei Stufen hinauf bis zum oberen Stockwerk. Als er in seinem Zimmer anlangte, klopfte ihm das Herz. Er griff in die falsche Tasche und fand den Schlüssel nicht gleich. Äußerste Diskretion! Aber eine Abschrift anfertigen lassen und sie selbst Herrn Wichmann zeigen … Herr Ministerialdirektor Boschhofer, das ist etwas anderes, als was Ministerialrat Grevenhagen getan hat?!

      Endlich faßte die Hand den Schreibtischschlüssel und schloß die Mittelschublade auf. Wichmann schüttelte eine unbegründete Angst ab, daß sich das Schriftstück nicht mehr an seinem Platz befinden könne. Hier … die wohlbekannte blaue Mappe, darin die vier Blätter, eins, zwei … drei … vier … auf dem zweiten das grüne Fragezeichen. Alles in Ordnung, Gott sei gelobt.

      Wichmann lief zurück. Ein Mann mit der Haltung eines preußischen Gardegrenadiers begegnete ihm und verfolgte offenbar mißachtend und unwillig die würdelose Eile des Anfängers. War das Pöschko? So mußte Pöschko aussehen.

      Vorbei.

      Wichmann trat unangemeldet wieder in das Zimmer des Ministerialdirektors ein.

      Grevenhagen und Boschhofer saßen sich schweigend gegenüber. Die Stimmung im Raum war nicht friedlicher geworden.

      »Ah …« Der Ministerialdirektor streckte die Hand aus. »Danke.« Er öffnete die blaue Mappe und blätterte zur zweiten Seite. »Wollen Sie bitte noch etwas Platz nehmen, Herr Wichmann? Wenn Sie keine sehr dringende Abhaltung haben. Bitte … hier.«

      Wichmann versank in dem ihm schon verhaßt gewordenen kurzbeinigen Sessel. Er hatte ihn so gerückt, daß er Grevenhagen nicht den Rücken zukehrte.

      »Ja – das Fragezeichen, Herr Kollege Grävenhagen.« – Boschhofer konnte das geschlossene »e« nicht sprechen; er sagte immer »Grävenhagen«. – »Sie waren so freundlich, Herr Kollege, das Fragezeichen inzwischen aufzuklären? Ich bin um halb zwölf Uhr zum Herrn Staatssekretär bestellt.«

      »Sie können dem Herrn Staatssekretär versichern, Herr Ministerialdirektor, daß der beanstandete Satz sachlich völlig einwandfrei ist.«

      »Das mag ja sein. Aber ich bat Sie, das Fragezeichen aufzuklären! Der Herr Staatssekretär erwartet ohne Zweifel, daß wir seine Bedenken beheben.«

      »Der Satz ist unbedenklich.«

      Boschhofer schüttelte den Kopf und wiegte die mächtigen Schultern. »Es handelt sich um die Bedenken des Herrn Staatssekretärs. Wir müssen dazu Stellung nehmen.«

      »Dann bitte ich darum, mir diese Bedenken sachlich zu erläutern.«

      »Aber Herr Kollege, eben darum habe ich ja Sie hierher gebeten! Ich bin kein Fachmann, meine Aufgabe ist Organisation, Leitung! Ich muß mich in den Sachfragen auf Sie verlassen können. Sie haben dieses Exposé verfaßt. Auf Ihr Verlangen habe ich es dem Staatssekretär vorgelegt. Ohne Zweifel werden Sie – und niemand besser als Sie – auch erraten können, welche Bedenken dem Herrn bei diesem Satz hier aufgestiegen sein können!«

      »Ich wiederhole: Der Satz ist unbedenklich. Das kann Ihnen jeder Student im zweiten Semester sagen, wenn er die Statistik verfolgt.«

      »Herr Kollege – ich bitte, in meiner Gegenwart nicht Äußerungen zu tun, die auf eine Verächtlichmachung des Herrn Staatssekretärs hinauslaufen können! Ich weiß, daß Sie das nicht beabsichtigen. Aber jedenfalls, Sie erklären sich – zu meinem großen Bedauern – außerstande, die Bedenken des Herrn Staatssekretärs zu zerstreuen.«

      »Ich nehme an, daß sich diese Bedenken nicht auf die von mir gemachte Tatsachenfeststellung in dem bezeichneten Satz beziehen.«

      Wichmann hob etwas den Kopf. Er fühlte sich erleichtert. Offenbar war Grevenhagen in bezug auf das Fragezeichen schon auf den gleichen Gedanken gekommen wie er selbst.

      »Nicht auf Ihren Satz? Worauf sonst? Ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen!« In Boschhofers Stimme grollte der Donner.

      Grevenhagen gab keine Antwort.

      »Ich bedaure, daß wir so viel Zeit verloren haben. Ich müßte noch Herrn Ministerialrat Nischan bitten, zu der Sache Stellung zu nehmen, aber in einer Stunde ist das natürlich nicht mehr möglich. Ich sage Ihnen ehrlich, Herr Kollege Grävenhagen, daß ich enttäuscht bin. Ihr Verhalten ist mir unverständlich! Bei Ihren Fähigkeiten und der Begabung Ihrer Mitarbeiter kann es Ihnen doch nicht unmöglich sein, zu diesem Fragezeichen irgendeine sachliche Äußerung zu tun.«

      »Wenn Sie mir den Vorwurf mangelnden Dienstinteresses machen wollen, Herr Ministerialdirektor, so bitte ich, das offen auszusprechen.«

      Wichmann hatte die Augen gesenkt, als ob er damit seine Zuhörerschaft bei dem sich abspielenden Kampf ausschalten könne. Er empfand das Peinliche, das seine Gegenwart für den unmittelbaren Vorgesetzten haben mußte. Grevenhagens scharfer Ton mochte nicht zuletzt durch das Bewußtsein hervorgerufen sein, daß sein Untergebener den Tadel, den er erhalten sollte, auch vernahm und daß diese Bloßstellung durch Boschhofer beabsichtigt war. Der Mastochsenkönig blähte sich in dem Behagen, seinen Gegner zu reizen.

      »Ich beabsichtige nicht, Herr Grävenhagen,


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