Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich

Zwei Freunde - Liselotte Welskopf-Henrich


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Wollen Sie sie benutzen?«

      »Sie können auf meine kavaliersmäßigen Ehrbegriffe jederzeit und in allem vertrauend spekulieren, gnädige Frau.«

      »Herr Wichmann – ich bin natürlich bereit, Sie zu entlasten. Ich wußte nicht, daß Sie in dieser Weise eingestellt sind.«

      »Ihre Wünsche sind mir Befehl, gnädige Frau. Belassen Sie sie oder ändern Sie sie ich werde gehorchen.«

      Marions Mundwinkel zogen sich ein wenig herab, ihre zarten Nüstern atmeten einmal stärker wie die eines erregten Pferdes.

      »Ich hatte Anlaß, mir andere Vorstellungen von Ihnen zu machen, Herr Dr. Wichmann.«

      Der Assessor verbeugte sich. »Ich nehme Ihren Tadel entgegen, gnädige Frau, und bedaure tief, ihn verdient zu haben.« Marions Schultern zogen sich zusammen. Sie ließ Wichmann stehen und begab sich in Musas Begleitung in das Nebenzimmer zu dem zweiten Kreis der Gäste. Die Stimmen rings flirrten durcheinander.

      Wichmann warf seine Zigarette zum Fenster hinaus. Seine Augen suchten nach Frau Anuschka. Er wollte sich verabschieden, aber er konnte die Hausfrau nicht entdecken, obwohl er glaubte, daß sie noch im Zimmer sein müsse. Plötzlich stand Anuschka neben ihm, als sei eine Zaubergestalt aus dem blutfarbenen Nesseltuch des Vorhangs hervorgewachsen. Sie setzte sich auf das Fensterbrett, im Grün ihres Kittels zu dem roten Vorhang.

      »Bitte, sagen Sie – Herr Wichmann – was denken Sie? Müßte Frau Marion nicht meines Mannes Frau sein?«

      Wichmann sah in das müde Gesicht mit dem unerfindlichen Ausdruck in den Augen.

      »Warum kommen Sie auf solche Gedanken, Frau Anuschka?«

      »Ich bin dumm und nicht sehr schön. Finden Sie zwei Frauen schlecht für einen Mann?«

      »Ich finde, Frau Anuschka – aber warum? Glauben Sie denn, daß Frau Marion Ihren Gatten liebt?«

      »Das habe ich noch nie gedacht. Aber er liebt sie.«

      »Mag sein, Frau Anuschka, aber es gibt viele Männer, die Frau Marion lieben. Es ist unmöglich, daß alle diese Männer sie auch heiraten. Jedenfalls nicht gleichzeitig. Im Augenblick ist sie die Gattin des Ministerialdirigenten Grevenhagen.«

      »Was Sie sagen, ist wahr? Ich habe ihn noch nie gesehen.«

      »Ach – Sie haben ihn noch nie gesehen? Er gibt Frau Marion nicht frei.«

      »Wenn sie will …«

      »Ich glaube nicht, daß Frau Marion auf so vieles verzichtet.«

      Der Vorhang zwischen den beiden Zimmern war von Durchgehenden zur Seite geschoben worden. Wichmann sah die, von der er sprach. Marion rauchte. Allein die eine Bewegung, mit der sie jetzt die Zigarette zum Mund führte und abnahm, ließ Wichmann wissen, daß sie ihm für immer verloren war. Marion hatte das Lager gewechselt.

      »Ich will gehen, Frau Anuschka.«

      Er führte die knochige Hand der jungen Frau zum Kuß und lief schnell an der Gruppe der diskutierenden Teetrinker vorbei. Sein Hut und sein Mantel hatten sich unter einer Fülle gleichartiger Gegenstände verborgen. Als er danach suchte, löste sich ein Haken, und die Garderobe fiel zu Boden. Es war peinlich und lächerlich. Das Geräusch war im Zimmer gehört worden. Frau Anuschka kam heraus.

      »Lassen Sie – Hammer ist nicht da.« Die junge Frau lief wieder fort und brachte eine Decke, die sie auf den Boden breitete. »Legen Sie die Sachen darauf!«

      Der Assessor tat, wie ihm geheißen wurde. Marions Seidenmantel fiel ihm dabei in die Hand. Als er ihn vor einer Stunde zum erstenmal gefaßt hatte, war noch vieles anders gewesen.

      Er nahm den Hut in die Hand, ließ seinen Mantel offen und wollte sich nochmals verabschieden.

      »Ich begleite Sie ein Stück …«

      Die junge Frau hängte sich an seinen Arm und stieg mit ihm die sich wendende Holztreppe hinunter. Unten im Flur war es dunkel, aber als die Haustür sich öffnete, gab sie den Blick zu Wasser und Laternen frei.

      Wichmann schlenderte mit Anuschka am Ufer entlang. Die Möwen waren schlafen gegangen. Der Kanal schillerte. Hoch oben spielten die Wolken mit dem Mond.

      »Wie denken Sie – sehr schlimm, was ich tue? Mit Ihnen gehen?«

      »Ich freue mich, nicht allein zu sein.«

      Wichmann fühlte Fieberschauer, die Haut seiner Hände zog sich zusammen. Ohne Gedanken folgte er seiner Begleiterin. Aus den Fenstern drangen Radiogeräusche, wenige Fußgänger kamen des Weges. Ein Taxi fuhr vorbei, der Stadt zu.

      Wichmann wurde sich dabei bewußt, daß er mit Anuschka zum Hafen lief, dahin, wo der Schleppkahn vielleicht seine Stätte hatte. Warum nicht? Es war besser, alles hinter sich zurückzulassen.

      »Frieren von zuwenig Liebe«, sagte Anuschka mild und nahm Wichmanns kalte Hand zwischen ihre Hände. »Menschen sind hart hier. Daheim sind wir froh gewesen und haben uns miteinander gefreut.«

      »Wo ist deine Heimat, Anuschka?«

      »Weit, weit fort. Wir wollen Kinder sein und denken, daß wir hinwandern. Siehst du, das Wasser kommt eine große Straße, und der Mond geht am Himmel. Wir wollen auch gehen, mit Wasser und Mond. Hast du den Himmel lieb und die Erde und mich?«

      »Ich kann heute niemanden mehr lieb haben, Anuschka.«

      »Du bist traurig, ich habe deine Augen gesehen. Der Haß ist in dich hineingesprungen. Er ist ein böser Käfer und frißt in deinen Knochen.«

      Anuschka fröstelte. Wichmann schlang die schmale Gestalt in seinen Mantel hinein. So gingen sie zusammen, während der Nachtwind feucht über das Ufer zog. Blätter bewegten sich vor dem Sternenhimmel, das Radio war verklungen. Die Füße des Mannes und der mädchenhaften Frau fanden den gleichen Schritt.

      Die Häuser am Ufer wurden kleiner und ärmlicher, und je mehr sich die Werke der Menschen duckten, desto tiefer reichte der Himmel zur Erde herab.

      »Laß uns den Stern denken, zu dem wir gehen«, sagte Anuschka. »Sieh, den leuchtenden sollen wir haben, weil wir gute Kinder sind und einander lieben. Du mußt den Haß sterben lassen – Bruder. Sag mir deinen Namen.«

      »Nenn mich Oskar.«

      »Osa ist gut.«

      »Und sag mir, Anuschka, wie man Haß sterben lassen kann. Menschen sterben wohl, aber der Haß springt über die Gräber und ist immer wieder lebendig.«

      »Er kann nicht sterben, Osa, weil ihn niemand lieb haben will.«

      Die Wandernden gingen weiter. Schwarze Brücken zogen sich über das stumpfe Wasser. Am fernen Himmel stand der Mond. Sein Licht war still, es rührte sich nicht und wärmte nicht. Die Stangen des Geländers endeten. Man konnte vom Weg ins Wasser sehen, ohne daß der schwarze Strich von dem Elemente abhielt. Die Bahn zwischen den Mauern, die das Wasser begrenzten, weitete sich. Schwarze Maste sahen in die Nacht, und alte breite Kähne schliefen. Die Wandernden setzten sich auf eine große Steinplatte und schauten in den Hafen. Auf dem Schleppkahn zu ihren Füßen brannte noch Licht in der Kajüte.

      »Das Licht wartet auf uns, Osa«, sagte Anuschka. »Siehst du, wie es hell geblieben ist und ist nicht schlafen gegangen, weil es auf uns wartet. Wir sind gekommen zu ihm.«

      »Anuschka, Kind, das ist der alte dicke, langsame Kahn, der heute an deinem Hause vorbeigefahren ist, als ich zu euch ging. Er fuhr mir fort und wußte, daß ich nicht mit ihm kommen würde. Aber nun in der Nacht hat er gewartet, und ich bin doch noch gekommen.«

      »Laß uns auf den Kahn gehen, Osa.«

      Anuschka sprang auf, und ehe der Mann sie haschen konnte, lief sie die schmale Steintreppe abwärts zu dem Schiff. Der Mann folgte ihr und sprang hinter ihr mit einem großen Sprung auf die Planken des Schiffs, daß es dröhnte. Der Hund schlug an. Kreischend erklang sein Gekläff und zerriß die Stille.

      »Anuschka …!«

      Das


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