Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich

Zwei Freunde - Liselotte Welskopf-Henrich


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zu, der eine Leiter aus dem Toilette- und Badezimmer herbeischleifte und sie aufstellte, um zu dem Hängeboden im hinteren Teil des Vorplatzes hinaufzusteigen. Mit einem alten, staubigen Koffer kam er zurück. Er machte ihn auf, betrachtete sein verschrundenes Inneres und ließ ihn offenstehen, um in das Zimmer zu entschwinden. Was würden die Gäste sagen? Vielleicht waren sie snobistisch genug, die eleganten Theoretiker, um ihr Vergnügen an der kleinen Sensation zu haben.

      Musa kehrte aus dem Zimmer in Begleitung Katjas zurück. Er brachte drei Kleider, zwei Paar Strümpfe mit Löchern, ein Paar Schuhe und ein leichtes Mäntelchen, noch eine Decke dazu, in der vielleicht Wäsche steckte. Katja räumte die Sachen in den Koffer. Es war merkwürdig anzusehen, wie diese rundliche Frau in Tüll und Spitze Anuschkas ärmliche Sachen packte. Der Koffer wurde kaum voll. Wichmann stand bei Musa und studierte die Papiere. Anna …, geb. 19o6 …« Es folgte der Name einer Stadt, den Wichmann sich nicht zu merken vermochte. Er steckte die Papiere zu sich, und auf einmal sah er, wie völlig hilflos Musas Augen waren, wenn er die Brille abnahm.

      Katja hatte den Koffer geschlossen.

      Musa putzte seine Brille.

      »Ich kann Ihnen das eigentlich nicht zumuten, Herr Wichmann.«

      »Wollen Sie nicht selbst zu Anuschka gehen?«

      Musa ließ einen Augenblick die Hände sinken, dann setzte er die Brille wieder auf. »Nein. Es soll alles sein, wie es Anuschkas Wunsch war. Sagen Sie ihr, daß ich sie geliebt – habe.«

      »Perfektum, Herr Musa?«

      »Perfektum.«

      Wichmann nahm den alten Koffer, er war leicht.

      »Adieu, Herr Musa, Sie erlauben, daß ich mich schon ganz verabschiede.«

      Frau Katja kam mit, als Wichmann den Koffer hinuntertrug. Ihre kleinen Füße in den Schuhen mit feinen und hohen Hacken wirkten wie die einer Chinesin. Der Rist trat breit hervor, und die winzigen Zehen waren abgeknickt. Sie trippelte; die Muskeln ihrer geschwungenen Waden waren gespannt. Aber die Mienen des nicht mehr jungen Gesichtes bewegten sich weich und leicht wie die molligen Hände. Wichmann ging mit ihr an dem Buick vorbei durch den Laternenschein, und der Chauffeur hob den Blick über die Abendzeitung und schaute den beiden nach.

      Der Mond war gestiegen und spiegelte sich in dem schmutzigen Wasser.

      »Sehen Sie, Sterne, Wichmann, viele, viele, viele. Einer ist Anuschkas. Anuschka ist bessere Seele als wir alle, wissen Sie?«

      »Ich habe es erfahren.«

      »Warum wird Anuschka gehen?«

      »Weil ihr Stern es will. Glauben Sie das?«

      »Glauben – aber ich bin sehr betrübt.«

      Die Kastanie streckte ihre breiten Zweige über das Ufer zum Wasser, und Wichmann entsetzte sich vor dem Gedanken, daß die Bank leer geworden sein könne.

      Aber Anuschka hatte gewartet.

      Als sie Katja erkannte, ließ sie sich umarmen, die beiden Frauen herzten und küßten sich, und Katja weinte.

      Dann gingen alle drei zusammen am Ufer entlang zum Hafen.

      »Wir haben Angst um dich, Anuschka.«

      »Warum denn Angst haben, Katja? Ich kann arbeiten.«

      Wichmann hängte Anuschka den dünnen Mantel über die Schultern, sie band ein Tuch um den Kopf und schritt mit großen Schritten aus. Katja hatte ihren Arm gefaßt und trippelte mit. Die Masten im Hafen sahen immer noch schwarz und leise schwankend in den Sternenhimmel, und die dicken Kähne schliefen in dem Mondwasser und träumten von der Fahrt. Das eine Licht brannte noch.

      »Jetzt will ich allein gehen«, sagte Anuschka, »und ich danke euch für alle eure Liebe, Katja und Osa.«

      Sie küßte Katja, und dann gab sie ihren Mund Osa. Der Mund Anuschkas war breit und schmallippig, er war nicht schön. Der junge Mann küßte ihn anders, als er je eine Frau geküßt hatte.

      »Du mußt Alphonse nicht vergessen, ich werde ihn auch nicht vergessen, Osa.«

      »Gott befohlen, Anuschka. Es kann niemand über seine Kraft.«

      »Du bist gut zu mir gewesen, Osa. Hier, willst du etwas haben, um an mich zu denken?«

      Der junge Mann nahm das kleine Bild und steckte es in die Brusttasche zu dem harten Platindiadem. »Ich vergesse dich nicht.«

      Das Mädchen ließ sich den alten Koffer geben, und dann lief sie die Steintreppe hinunter und winkte, und Wichmann und Katja winkten ihr nach und hörten das Poltern ihrer Füße und das Kläffen des Hundes, als sie wieder auf das Schiff sprang. Die breite Gestalt des Schiffers zeigte sich, und Anuschka ging mit ihm in die Kajüte. Noch einmal kam sie heraus und nickte und winkte zum Abschied, dann hatte der dicke Kahn sie verschluckt.

      Katja und Wichmann konnten nicht gleich gehen. Sie schauten noch auf das leise schaukelnde Wasser, das die Schiffsleiber streichelte, und auf den Mond, der im Himmel schwamm wie ein runder, wunderbarer Fisch.

      Als sie sich endlich wandten, bot Wichmann Frau Korsakoff den Arm, und sie sprachen lange nichts, während sie am Ufer zu dem Hause zurückwanderten, aus dem Anuschka fortgegangen war. Auf der Bank unter dem Kastanienbaum trocknete Frau Korsakoff noch einmal ihre Tränen, und unter dem Schein der nächsten Laterne zog sie den Spiegel und tupfte das hellhäutige Gesicht.

      »Frau Marion ist eine Zauberin, große, und unter dem Stern der Venus geboren, wissen Sie?«

      »Ich glaube es Ihnen, gnädige Frau.«

      Der Buick war verschwunden.

      Oskar Wichmann küßte Frau Korsakoff die Hand, ehe sie an der Glastür nach dem Klingelzug griff.

      Als Musas Stimme hörbar wurde, stand Wichmann schon wieder unten im Hausflur.

      Sehr langsam ging der junge Mann durch die Nacht seinem Heime zu. Alles Wirkliche schien unwirklich, nach dem das Unwirkliche wirklich geworden war.

      Wenn ich nun schlafe, alter Heiliger, wirst du dann deine reichen Faltengewänder ablegen und im leinenen Kittel übers Land gehen, um Anuschka zu grüßen? Ich bin müde und verwundert wie ein Kind, das mehr gesehen hat, als es noch begreifen kann. Drüben rauscht der Ahornbaum im Wind, und es ziehen wieder Wolken über den Mond. Das Haus im Garten schläft, es schläft der Trauer und dem Leid entgegen. Weißt du das, alter hölzerner Mann? Der früheste Morgen fand den Schläfer wieder wach. Noch brach kein Sonnenstrahl durch die graue Helle, als Oskar Wichmann schon an seinem Renaissance-Schreibtisch saß. Vor ihm, auf der großen saffianledernen Schreibmappe, lag das Diadem mit seinen funkelnden Diamanten. Der Betrachter kam sich vor wie jene Jünglinge in der Sage, denen sich des Nachts Zauberkammern der Unterirdischen aufgetan haben und die des Morgens, noch mit irgendeinem Zeichen in der Hand, herumirren vor nie wieder auffindbaren Türen. Wie ein solches Zeichen aus versunkenem und verbotenem Wunderreich lag die kleine Krone vor ihm. Er erinnerte sich an den Abend, an dem er sie zum erstenmal im Lichtschimmer des Schaufensters als Königin zwischen blitzenden Ringen und matten Perlenketten gesehen hatte. Das war damals gewesen, als er in das Ministerium eintrat. Die Melodien Verdis schwangen um diesen Reif. Der junge Mann sah Aida in schwarzer Spitze mit gelben Rosen und um sie die Fülle des Lichts, das sich in Kristall und auf der Politur edler Hölzer spiegelte. Er spürte wieder den herben Duft ihres Haares. Unter dem Stern der Venus war diese Frau geboren.

      Anuschka hatte sie eine böse Frau genannt.

      Das Herz wand sich. Über die ersten Stunden hatten ihm Anuschka und der Schlaf hinweggeholfen, aber jetzt brannte das Feuer. Die Betäubung verging, der Schmerz wurde hell wach. Musa – der Bebrillte – der Schwätzer – er ist es wert gewesen, daß du dich weggeworfen hast, Marion – daß du einen Justus Grevenhagen verraten und mit meinen Träumen gespielt hast. – Und liebst du denn jetzt diesen? Kannst du überhaupt lieben? Oder willst du dich nur mit dem Besonderen, dem Aparten, dem Auffälligen seines Daseins


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