Paul Guenther und seine Schule in Geithain. Gottfried Senf
sein. Auch die Chancen, später Arbeit zu finden, waren dort wesentlich größer. Textilindustrie und Textilmaschinenbau, insbesondere auch die Strumpfwarenproduktion, entwickelten sich in rasanter Weise. Kein Wunder, dass der Vater den Sohn dorthin zur Ausbildung gab. Ein Unterkommen bei Verwandten war auch gesichert.
So besuchte Paul Guenther nach seiner Konfirmation von 1874 bis 1878 die Strumpfwirkerschule in Limbach. Wahrscheinlich hatte es sich bis Geithain herumgesprochen oder die Verwandten der Guenthers in der Chemnitzer Gegend übermittelten die Nachricht: Am 6. April 1869 wurde die Wirkschule Limbach unter Leitung von Professor Willkomm eröffnet. Die Eltern Paul Guenthers hatten eine ausgezeichnete Ausbildungsstätte für ihren Sohn gewählt. Die Schule in Limbach war weltweit die erste Fachschule für Strumpfwirkerei. „Man hatte damit (mit Direktor Willkomm, G.S.) eine gute Wahl getroffen, denn in zäher und emsiger Arbeit … schuf er einen neuen Wissenschaftszweig der Textiltechnologie, die Technologie der Wirkerei. … Die Einrichtung wuchs über Limbachs Grenzen hinaus. Sie wurde in aller Welt bekannt. So besuchten Schüler aus Amerika, Frankreich, Russland, England, der Schweiz und anderer Länder die Schule.“ (23)
Bild 2: Paul Guenther als Kind im Alter von 9 oder 10 Jahren neben seinem Vater, aufgenommen um 1870. Das Bild dürfte zu den ersten und ganz wenigen Fotografien gehören, die überhaupt damals in Geithain entstanden sind. Wir verdanken es Herrn Werner Pechstein aus Geithain, Großcousin mütterlicherseits von Paul Guenther.
Bild 3: Gebäude der ehemaligen Wirkschule Limbach, um 1995
Bild 4: Gedenktafel für Prof. Willkomm
Bild 5: Historische Aufnahme „Höhere Wirkschule“ Limbach
Zur Geschichte der Wirkschule ist vom Heimatverein Limbach-Oberfrohna viel Informationsmaterial herausgegeben worden. Die vier Ausbildungsjahre Paul Guenthers können anhand von Lehrplänen, Stundentafeln, Angaben zur Ausstattung der Schule für den theoretischen Unterricht und der praktischen Ausbildung an Maschinen gut nachvollzogen werden. Es haben sich auch eine Reihe von Schülerlisten erhalten, leider nicht die aus den 1870er Jahren.
Das hohe Ausbildungsniveau und die Forderungen bezüglich Gründlichkeit und Disziplin während der Lehrzeit waren mit Sicherheit auch für Paul Guenther gute Voraussetzungen für die sich anschließende Tätigkeit in der Chemnitzer Region, aber ebenso entscheidend für sein späteres erfolgreiches Wirken in den USA. Wir dürfen annehmen, dass die Jahre in Limbach Impulse gaben für die 1890 erfolgte Auswanderung. In den vorhandenen Schülerlisten ist der hohe Anteil ausländischer Schüler bemerkenswert. Bereits im Gründungsjahrgang 1869/70 waren es 8 von 23 Schülern! Das ist einerseits erstaunlich, andererseits sind die Attraktivität und der gute Ruf deutscher Technikerschulen im Ausland für die damalige Zeit typisch.
Sicherlich lernte Paul Guenther in seiner Ausbildungszeit ausländische Mitschüler kennen, vielleicht sogar einen jungen Amerikaner?
1.3 Arbeitsjahre in Thalheim und Chemnitz
Bild 6: Mutter Therese Guenther (r), Paul Guenther (2. v. l.) vor dem Geburtshaus „an der Heiste“ in Geithain, um 1885
Guenther blieb auch nach den Limbacher Jahren in der Gegend. Die Großstadt Chemnitz bot vielen Arbeit und manchen jungen Mann zog es zu dieser Zeit vom Land oder der Kleinstadt in die großen Industriezentren. Über die Lebensjahre Paul Guenthers von 1878 bis 1890 war lange Zeit praktisch nichts bekannt. Im Vorwort der Stiftungsurkunde schreibt er lediglich: „Nach gründlicher theoretischer und praktischer Ausbildung auf der Wirkschule in Limbach und in den hervorragenden Chemnitzer Strumpffabriken wanderte ich 1890 nach Amerika aus.“ (18) Eher zufällig und über private Kontakte ergab sich im Jahr 2000 eine Verbindung zu Herrn Rudi Hofmann, Heimatforscher aus Hohenstein-Ernstthal. Seinen Forschungen, insbesondere den Hinweisen auf Quellen im Chemnitzer Stadtarchiv (26), verdanken wir die folgende fast lückenlose Auflistung der Wohnanschriften Paul Guenthers bis zum entscheidenden Jahr 1890. Er besuchte die Eltern und damit Geithain gelegentlich, Lebensmittelpunkt war aber die Gegend Chemnitz/Thalheim. Das Bild 6 gehört wieder zu den Seltenheiten und stammt abermals von Werner Pechstein.
1874 wohnte Paul Guenther zunächst bei einem Onkel in Burgstädt. Ab November 1875 finden sich im Chemnitzer Meldebuch (26) verschiedene Adressen, jeweils mit Angabe der Familie, bei der der junge Mann „in Logis“ wohnte. Wichtig erscheint die folgende Eintragung: „16. August 1880 Abmeldung nach Geithain“. Doch schon kurze Zeit danach war er ab 15. November 1880 in Thalheim gemeldet. Der „Eisenhammer“ in Thalheim (heute Zwönitztalstraße 29) war bereits seit längerer Zeit stillgelegt, als sich 1880 einige Thalheimer Strumpfwirker selbstständig machten, hier Räume mieteten und auf schon veralteten Paget-Maschinen Strümpfe herstellten. (27) Diese Maschinen waren Wirkstühle, deren erste Form Arthur Paget 1857 erfunden hatte.
Bild 7: Der „Eisenhammer“ in Thalheim, historische Aufnahme
Bild 8: Gasthof Alter Eisenhammer, um 2005
Bild 9: Paget-Wirkstuhl, um 1860
Quelle: www.KulturBüro, 10.02.2016
Schödel/Reutlingen
Guenther erfuhr über Freunde, was sich dort im Thalheimer Eisenhammer tat, und nahm die Arbeitsgelegenheit wahr. In Geithain hätte er in seinem Fach nie Arbeit gefunden. Offenbar lebte er sich in Thalheim schnell ein. So wurde er beispielsweise 1882 Taufpate des Carl Richard Hahn. Zu diesem Zeitpunkt ahnte Guenther sicher nicht, dass dieser Junge mit 18 Jahren in die USA auswandern und bei ihm in Dover Arbeit finden würde. Vier Jahre lebte und arbeitete Paul Guenther in Thalheim. Dann meldet er sich abermals in Chemnitz an. Mehrere Jahre bis zu seiner Auswanderung wohnte er im Hause seines Arbeitgebers, dem Maschinenbauer Türke in der Zwickauer Straße 74 III. Die Verbindungen zum nahe gelegenen Thalheim rissen nie ab und wirkten Jahrzehnte lang (s. S. 50). Erwähnenswert ist, dass mehrere Thalheimer vor Jahren schon in die USA ausgewandert waren und sich in Dover/N.J. niedergelassen hatten, darunter auch Verwandte seines Patensohnes! Hier finden wir wieder einen Anhaltspunkt für den Entschluss Guenthers, auszuwandern.
1.4 Die Auswanderung nach Amerika
Paul Guenther wanderte 1890 in die USA aus. Das Jahr seiner Auswanderung kannten die Geithainer von Anfang an. Warum er sich dazu entschloss, wann und wie die Auswanderung erfolgte und weitere Details waren aber über lange Zeit in Geithain völlig unbekannt. In den fast 30 Jahren bis zu seinem (mutmaßlichen) ersten Geithain-Besuch 1919 entstanden in der Kleinstadt abenteuerliche Gerüchte. Er habe Deutschland als blinder Passagier auf einem Schiff verlassen und er sei ohne das Wissen seiner Eltern heimlich aus Chemnitz verschwunden. Das war alles noch relativ harmlos. Man munkelte jedoch auch in Richtung strafrechtlicher Gründe. Die Gerüchte verstummten in den Jahren nach 1925. Guenther wurde als Schulstifter gefeiert, und Fragen zu stellen zu Details seiner Chemnitzer/Thalheimer Jahre oder zur Auswanderung galt als nicht opportun. In den 45 Jahren