Traumzeit für Millionäre. Roman Sandgruber
nicht mehr. Nach dem Tod des Firmengründers übernahmen seine Neffen Johann und Eduard die Unternehmensführung, waren darin aber nicht besonders erfolgreich. Herzmanskys Hauptkonkurrent in der Mariahilfer Straße wurde sein ehemaliger Mitarbeiter Alfred Gerngross. Er eröffnete 1879 ein eigenes Stoffgeschäft, das rasch zum größten Warenhaus Wiens wurde. Beide Unternehmen operierten erfolgreich mit dem in Europas Großstädten im Vordringen begriffenen Konzept: Fixpreis und großer Umsatz durch mäßigen Aufschlag. Gerngross war auf den Handel mit Seiden-, Woll- und Waschstoffen, Samt- und Modewaren spezialisiert. Es gab eigene Abteilungen für Wäsche, Damen-, Herren- und Kinderkonfektion, Wirk- und Strickwaren, Schuhe, Handschuhe, Teppiche, Vorhänge, Haus- und Küchengeräte sowie Galanteriewaren. Die Textilprodukte wurden nicht nur verkauft, sondern zum Teil in den drei Industrieabteilungen für Herren- und Damenbekleidung und Wäsche auch selbst produziert. In der Kärntner Straße eröffnete die Fa. M. Neumann ein Herrenkonfektionshaus. Der von Otto Wagner 1895/1896 errichtete Neubau trug am Parapet des vierten Obergeschoßes die schlicht gehaltene, aber unmissverständliche Aufschrift Metropolitan Clothing Palace. Im Erdgeschoß und in zwei Obergeschoßen befanden sich die Verkaufssäle, im 3. und 4. Stock Wohnungen; 1.000 Glühlampen sorgten für die Beleuchtung.
Das 1895 nach Plänen von Friedrich Schön an der Ecke Kärntner Straße/Weihburggasse errichtete Damenmodehaus Zwieback galt als das „pariserischste“ aller Wiener Warenhäuser. Um 1900 beschäftigte es 187 Beamte und 150 Arbeiter und rühmte sich vor allem für seinen aristokratischen Kundenkreis; Souterrain, Erdgeschoß und die ersten beiden Obergeschoße des achtgeschoßigen Gebäudes waren für den Kundenverkehr bestimmt, darüber lagen die Büros und Werkstätten, im Keller die Depots und das Maschinenhaus; Personenlifte und elektrische Beleuchtung waren selbstverständlich. Das Unternehmen war 1877 in der Mariahilfer Straße/Ecke Webgasse von den drei aus Bonyhad gebürtigen Brüdern Ludwig, Emanuel und Samuel Zwieback gegründet worden. Nach dem frühen Tod der beiden Brüder Emanuel und Ludwig erbte Ella Zirner-Zwieback die wesentlichen Teile des Unternehmens.114
Als das erste Warenhaus Wiens wird meist das Haus angeführt, das der Teppich- und Möbelstofffabrikant Eduard Haas 1865 am Stock-im-Eisen-Platz, gegenüber dem Stephansdom, eröffnet hatte. Aber eigentlich war es „nur“ ein exklusiv ausgestattetes Verkaufshaus für Teppiche und Möbelstoffe. 1886 kaufte sein Sohn Philipp Haas auch den 1883/84 nach Plänen von Karl König errichteten Philipp-Hof (ursprünglich Ziererhof). Später erwarb der leidenschaftliche Jäger auch große Waldherrschaften, u. a. das „Herrschaftsgut Teichen“ in Kalwang, und wurde 1898 mit dem Prädikat „von der Teichen“ in den Freiherrnstand erhoben.
Auf Wäsche und Kinderbekleidung spezialisierte sich Ignaz Bittmann, der im Jahre 1879 mit einem bescheidenen Laden seine geschäftliche Tätigkeit begonnen hatte. Um 1900 waren Blusen, sogenannte „Trikottaillen“, und Anzüge der Firma Bittmann bereits beliebte und gerne gekaufte Artikel. Große Sorgfalt verwendete die Firma auf die Konfektion der Kindergarderobe. Ihr „Kindermodenpalais“ in der Kärntner Straße war in der ganzen Monarchie berühmt.
Das 1892/93 von Emanuel Braun und seinem Bruder Josef als stillem Teilhaber gegründete Kleiderhaus E. Braun & Co. wurde ursprünglich als Brautausstattungsunternehmen geführt. 1912 wurde eine Filiale in Karlsbad eröffnet, eine weitere in Prag und 1914 die größte in Berlin. Vertreten war das Unternehmen auch in Baden-Baden, Southampton und Palm Beach. Auf Straßenebene befand sich das Verkaufslokal, im ersten und zweiten Stock gab es die Wohnungen der beiden Brüder, im obersten Geschoß die Schneiderwerkstätte. Die berühmte Jugendstileinrichtung dient heute einem H&M-Store als stilvolle Kulisse für Massenware.
Ein Kennzeichen, das diese Warenhäuser einte, war, dass sie als jüdisch galten und einer entsprechend von Hass erfüllten antisemitischen Agitation ausgesetzt waren. 86,2 Prozent der Millionäre dieser Branche waren jüdisch. Das nutzten Stefan Esders und sein Bruder Henri, die sich, ausgehend vom deutschen Emsland, mit Filialen in Brüssel, Berlin, Paris, St. Petersburg, Rotterdam und 1895 auch in Wien ganz bewusst als katholische Unternehmer zu positionieren versuchten. In ihrem nach den modernsten Pariser Vorbildern errichteten fünfgeschossigen Etablissement „Zur großen Fabrik“ in der Mariahilfer Straße mit 39 großen, bereits elektrisch beleuchteten Auslagen in Parterre und Mezzanin, mit einem von Glas überdachten Innenhof und Verkaufsräumen auf zwei Etagen im Ausmaß von 12.000 m2 standen 120 Verkäufer bereit. Mit den von Esders neu eingesetzten Schaufensterpuppen konnte die Konfektion entsprechend attraktiv präsentiert werden. Neben Herren- und Knabenbekleidung sowie Herrenwäsche wurden auch Herrenhüte, Schuhe, Handschuhe und Schirme angeboten. Erst später kam auch Damenmode dazu. Im dritten und vierten Stockwerk war die Kleiderfabrik untergebracht, im fünften die Wohnung des Eigentümers. Stefan Esders präsentierte sich bewusst katholisch: Er stiftete die Wiener Kaasgrabenkirche, in deren Gruft er auch beigesetzt wurde. Seine Villa (Stefan-Esders-Platz 1) wurde nach seinem Tod dem Orden der Schwestern vom Armen Kinde Jesu übergeben. Auch in ihrem Geburtsort, in Haren im Emsland, hatten die beiden Brüder für die Errichtung der neuromanischen Pfarrkirche St. Martinus, auch Emsland-Dom genannt, insgesamt 110.000 Mark, knapp die Hälfte der gesamten Baukosten, beigetragen. Religiös bewusste bzw. antisemitisch geprägte Kunden gingen selbstverständlich zu Esders, etwa die oberösterreichischen Landadeligen Coreth: Am Tag seiner Einschreibung ins Jesuitenkolleg Kalksburg erhielt der junge Coreth eine komplette Ausstattung von der berühmten Firma Esders.115 Weil im Falle Esders die antisemitisch-antikapitalistische Propaganda kleingewerblicher Gruppierungen, nur bei „Christen“ einzukaufen, ins Leere ging, kehrte man die Argumentation um und kritisierte das internationale Kapital, das diesmal im christlichen Gewand eine „besonders schlaue Form gewählt“ habe. Die christlichsoziale Reichspost vom 6. April 1895 meinte, es sei zu bedauern, dass man „in einem Geschäftszweige, der in Österreich bisher ausschließlich ein Ausbeuteobject in Judenhänden war, nunmehr auch einem Christen begegnen müsse“. Das neue Etablissement werde hunderte kleingewerbliche selbständige Existenzen vernichten.116
Die Warenhäuser gingen auch in die Vorstadt und in die Provinz. Das 1890 gegründete Vorstadtwarenhaus Dichter im 16. Wiener Gemeindebezirk war in den 1930er Jahren das größte Kleiderhaus außerhalb des Wiener Gürtels.117 Große Kleiderhäuser entstanden auch in den Provinzhauptstädten Graz, Innsbruck, Linz und Salzburg. Das Grazer Warenhaus Kastner & Öhler geht auf einen 1873 von Carl Kastner und Hermann Öhler in Troppau (Opava, Tschechien) gegründeten Kurzwarenhandel zurück. Das Kapital für die Firmengründung, 30.000 fl, stammt aus einer Erbschaft, die Carl Kastner von seiner Großmutter gemacht hatte. Die Anteilsverteilung an dem Unternehmen war von Anfang an zwei Drittel Kastner, ein Drittel Öhler. Die Wiener Niederlassung wurde 1877 eröffnet. 1883 folgte der Schritt nach Graz, das man zum Hauptsitz wählte. 1887 wurde mit dem Postversand begonnen und ein Katalog aufgelegt. 1912 waren bereits 60.000 Versandkunden erreicht. 1897 wurde eine Niederlassung in Agram begründet, die sich rasch zum größten Warenhaus der ungarischen Reichshälfte entwickelte. 1912 bis 1914 wurde der Grazer Standort durch die Wiener Architekten des Büros Fellner & Helmer um etwa 1,5 Mio. Kronen in eines der damals modernsten Warenhäuser ausgebaut. Es wurden zwei Kundenlifte, ein Stromaggregat und eine Rohrpostanlage installiert. Zur bestehenden Damenkonfektion kamen auch Herrenkonfektion, Schuhabteilung, Damen und Herrenhüte, Parfümerie, Lederwaren und Papierwaren, ab 1915 auch Spielwaren und eine Haushalts- und Ofenabteilung.118
Österreichische Präsenz am türkischen Markt: Im Istanbuler Stadtteil Galata befand sich ein großes Textilkaufhaus der Brüder Victor und Konrad Tiring. Foto, um 1920.
In Linz begann der aus Königswart/Lázn Kynžvart in Westböhmen zugewanderte Franz Hofmann 1853 im prominent am Hauptplatz gelegenen Palais Weißenwolff mit einer Tuchhandlung und Greißlerei. Im selben Haus befand sich auch das Handelshaus und Posamentierwarengeschäft Karl Schober und Eduard Kraus. Der ebenfalls aus Königswart gebürtige Wilhelm Hirsch, der eine Tochter Hofmanns heiratete, kaufte Kraus & Schober, vereinigte es mit der Fa. Franz Hofmann und eröffnete 1910 das erste Linzer Warenhaus. Ein Firmenbericht aus dem Jahr 1913 sprach von einer „für die Warenhäuser typischen nur kleinen Stammkundschaft, aber einer großen Laufkundschaft”, die von „Zeit zu Zeit, aber doch sehr regelmäßig das