Traumzeit für Millionäre. Roman Sandgruber

Traumzeit für Millionäre - Roman Sandgruber


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Hilda Greiff, die mit dem Gesangspädagogen Paul Greiff/​alias Paul Goldschmidt verheiratet war, schaffte die erfolgreiche Weiterführung nicht. 1930 wurde über das Unternehmen der Ausgleich eröffnet. Die Mehrheitsbeteiligung wurde von der Salzburger Unternehmensgruppe Walter, Paul und Max Schwarz übernommen, die das Warenhaus Schwarz in Salzburg, den gleichnamigen Betrieb in Graz, das Kaufhaus Bauer & Schwarz in Innsbruck und das Warenhaus Falnbigl in Wien führte.

      Es war das Zeitalter des Imperialismus. Österreichs Möglichkeiten waren hier sehr beschränkt. Doch österreichische Unternehmer konnten mit ihren Warenhäusern auch auf dem ägyptischen und türkischen Markt Fuß fassen. Von ihren Stammhäusern in Wien aus dirigierten Albert Mayer, Doro Stein und die Brüder Victor und Konrad Tiring die berühmtesten Kaufhausketten im Osmanischen Reich, von Kairo und Alexandria bis Istanbul und Thessaloniki. Nur der vierte unter den aus der Habsburgermonarchie kommenden Orient-Konfektionären, Orosdi-Back, 1856 von Adolf Orosdi und Hermann Back gegründet, scheint 1910 nicht auf der Wiener Millionärsliste auf. Dieses Unternehmen hatte seine Zentrale schon nach Frankreich verlagert.120

      Seinem aus Pressburg gebürtigen Großonkel Albert Mayer, der ab 1874 von Wien aus mit seinem Bruder Sigmund im gesamten Osmanischen Reich zahlreiche Warenhäuser gegründet hatte, verdankte es der bekannte Historiker Eric Hobsbawm, dass er in Alexandria geboren wurde. Mayer hatte Hobsbawms Mutter zur Maturareise nach Ägypten eingeladen. Sie verliebte sich dort und blieb. Nach dem Ersten Weltkrieg mussten die Hobsbawm wie auch die Mayer nach Wien zurück.121 Mayer war einer der ersten gewesen, der mit Konfektions-Textilien den ägyptischen Markt bedient hatte, nachdem er die französische Konkurrenz ausgeschaltet hatte. Der Hauptsitz befand sich in Alexandria; eine Niederlassung wurde 1882 in Istanbul eröffnet; weitere Standorte gab es in Izmir und Aleppo.122 Nach dem Ausscheiden Sigmund Mayers im Jahr 1909 wurde Albert Mayer Alleingesellschafter.

      Eine ähnliche Karriere machten Salomon und Doro Stein. Mit einem Geschäft für Konfektionsware in Kairo schuf Salomon Stein die Grundlage für die dominierende Stellung seiner Firma auf dem ägyptischen Bekleidungssektor. 1875 eröffnete er eine Niederlassung in Alexandria. Salomon Stein starb 1898 in Wien. Sein Sohn Doro ließ 1904 durch den Architekten Friedrich Schön das großzügige Verwaltungsgebäude in Wien 9, Althanplatz 6 (heute Julius-Tandler-Platz 6), errichten, mit einem imposanten, 4,5 Meter breiten Doppeladler und der bis heute erkennbaren Inschrift „S. Stein“, und ungefähr gleichzeitig am Ataba-El-Khadra-Platz in Kairo eines der größten Kaufhäuser Ägyptens, ebenfalls nach Plänen von Friedrich Schön und ebenfalls mit einem Doppeladler am Gesims der über 50 Meter langen Schaufensterfront. 180 Verkäufer bemühten sich um die Kunden in der Herren-, Damen- und Kinderabteilung. Es gab auch Abteilungen für Hüte und Schuhe. Ein elektrischer Aufzug führte in den ersten Stock. Zwei Generatoren sorgten für die elektrische Beleuchtung. Im 2. Stock befanden sich die Werkstätten für Änderungen und Maßanfertigungen. Es gab Gratiszustellungen in jeden Teil Ägyptens und des Sudans, im Maximalfall über mehr als 4.000 Kilometer. 1908 ließ Doro Stein auch in Saloniki durch den Architekten Ernst Löwy ein imposantes Warenhausgebäude mit hervorstechender Kuppel errichten. Um 1910 hatte er auch für Alexandria Neubaupläne. Er beauftragte Adolf Loos mit der Planung. Der Entwurf hat als Aquarell im Wien Museum überlebt. 1914 verfügte Stein über die größte Warenhauskette Ägyptens (La Grande Fabrique S. Stein und Stein’s Oriental Stores Limited). Neben Kairo und Alexandria unterhielt er noch Geschäfte in Assiut und Al-Minya in Mittelägypten und in Mansura und Tanta im Nildelta. Aber er war auch in Saloniki und sogar Johannesburg tätig und hatte drei Filialen in Istanbul, zeitgleich mit oder sogar schon vor seinem großen Konkurrenten Mayer. Nahezu sprichwörtlich im ganzen Orient war der jiddische Reim: „Stein – billig und fein, Mayer – schlecht und teier“. Die Bedienung wurde als kompetent und freundlich gelobt. Die Preise, so empfahl das Reisehandbuch des Österreichischen Lloyd 1902 allen Orient-Reisenden, „welche Kleider benötigen und das lästige, zeitraubende Probieren vermeiden wollen“, seien trotz der guten Qualität der Stoffe und der eleganten Machart sehr mäßig. Im Krieg bzw. im Friedensvertrag von St. Germain gingen die ägyptischen Niederlassungen und die Londoner Firma verloren. 1925 wurde der österreichische Rest in S. Steins Söhne OHG umgewandelt und 1929 die S. Stein Export GmbH aus dem Handelsregister gestrichen. Doro Stein starb am 11. Dezember 1940 im Israelitischen Krankenhaus am Wiener Währinger Gürtel.123

      Die Dritten in der Reihe der österreichischen Warenhäuser im Orient waren Victor und Konrad Tiring. Victor Tiring war als „türkischer Schneider“ nach Wien gekommen. 1882 gründete er hier mit seinen Brüdern das Unternehmen „Victor Tiring & Brüder, Schneider und Exporteure“. Bald wurde eine Filiale in Istanbul eröffnet. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg ging der Konzern auch nach Ägypten. Direkt gegenüber dem Gebäude des größten Konkurrenten S. Stein am Ataba-el-Khadra-Platz ließ Tiring 1913/​14 von dem österreichischen Architekten Oscar Horowitz den Tiring Department Store erbauen. Heute noch immer vorhanden sind die vier Herkulesstatuen, auf deren Schultern die Glaskuppel des Kaufhauses ruhte, dazwischen in etwas verblassten lateinischen Buchstaben die Aufschrift „TIRING“. Victor Tiring, der sein Handelsimperium von der Wiener Praterstraße aus dirigierte, unterhielt neben Kairo zahlreiche weitere Niederlassungen im Orient und am Balkan. Auch hier bedeutete der Weltkrieg das Ende. Victor Tiring starb 1923 in Wien, sein Bruder Konrad mit seiner Gattin irgendwann zwischen 1942 und 1945 im Konzentrationslager Theresienstadt.124

      Auch der ferne Osten lag nicht ganz außerhalb des Blickfelds der österreichischen Kaufleute. Erwin Müller war schon 1873 nach Thailand ausgewandert und lebte dort bis nach der Jahrhundertwende. Er war Teilhaber, dann alleiniger Inhaber und Seniorchef der Importfirma „B. Grimm & Co“, die Produkte aus Deutschland, Böhmen und Wien importierte und zu deren Kunden auch der königl. Thailändische Hof gehörte. Die um 1888/​89 entstandene Siam Canals Land & Irrigation, deren Mehrheitseigentümer Erwin Müller 1893 geworden war, machte Kanalisierungs- und Bewässerungsprojekte und war in der Elektrifizierung und Verkehrserschließung des Landes aktiv. Müller blieb bis 1917 acting general manager. Er kam als reicher Mann nach Österreich zurück und versteuerte 1910 in Wien ein Jahreseinkommen von 116.873 Kronen. Das Vermögen, das er sich „ohne auch nur einen Heller“ Unterstützung aus seiner Heimat erworben hatte, stammte „ganz und gar aus fremdländischen Quellen und ohne jede Belastung der österreichischen Volkswirtschaft“, wie Müller 1920 gegenüber dem österreichischen Ministerium für Finanzen betonte, das ihn 1919 wie alle Österreicher mit einer hohen Vermögensabgabe belastete. Er konnte auch nach Kriegsende nicht mehr nach Thailand zurückkehren, obwohl er sich verzweifelt bemühte, eine Genehmigung zur Einreise zu erhalten. Sein thailändisches Vermögen war 1917 beschlagnahmt worden. Er starb 1922 wahrscheinlich nur mehr recht wenig begütert in Bad Gastein.125

      Der Kreis der österreichischen Abenteurer, die im Ausland ihr Vermögen machten, reicht bis China. Hermann Johann Mandl Edler von Manden kam 1877 nach China, wo er 30 Jahre lebte. Angeblich sei er nach dem Wiener Börsenkrach gezwungen gewesen, seine Heimat zu verlassen. Der deutsche Botschafter bezeichnete ihn als Börsenspekulanten und Schwindler. Jedenfalls galt er als eine der schillerndsten Persönlichkeiten im China-Geschäft. Der Krupp-Repräsentant Georg Baur, der von 1896 bis 1906 als Teilhaber bei Mandl & Co. fungierte, beschreibt den Wiener Geschäftsmann jüdischer Herkunft in seinen Aufzeichnungen als einen Junggesellen mit Faible für ausgefallene Krawatten, „der sich durch eine absonderliche Bartfrisur, ein Kostüm à la Wiener Gigerl mit hellblau dessiniertem Oberhemd, Schnabelschuhen und ganz maliziös farbigem Rock“ auszeichnete. Georg Baur lernte ihn trotz seiner Eigenheiten bald schätzen: „Herr Mandl hat zwar – namentlich in Beziehung auf das Weibliche – das Urteil eines Wiener Gigerls, das sonst ein sehr gesundes ist, wie er denn überhaupt ein Mensch von jedenfalls vielem natürlichem Verstand und Menschenkenntnis zu sein scheint, wenn ich auch glaube, dass er vielleicht aus Opportunitätsrücksichten manchmal etwas nach jesuitischen Grundsätzen handeln dürfte“, was immer auch „jesuitischen Grundsätze“ für einen norddeutschen Protestanten bedeuten mögen.126 „Ein gescheiter und gewandter Mensch ist er, das muss man jedes Mal wieder denken, wenn man mit ihm etwas zu tun hat“, schreibt Baur.127


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