Traumzeit für Millionäre. Roman Sandgruber
er, weil er auch der Besitzer des Hauses Berggasse 19 und damit Eigentümer der Wohnung von Sigmund Freud war.
Produzieren im Jugendstil
Die Jahrhundertwende brachte einen großen Schub an industriell gefertigten Haushaltsgeräten und Wohnungseinrichtungen: Möbel, Lampen, Küchengeschirr, Keramik, Glas, Essbestecke und vieles mehr. Das Wien des Fin de Siècle wurde für seine Möbelfabriken berühmt. 15 Millionäre sind der Möbelindustrie zuzuordnen. Die Brüder Thonet traten als Pioniere der Bugholztechnik hervor. Mit standardisierter Massenproduktion, detaillierten Katalogen und dem Versand zerlegter, kostengünstiger Möbel in flachen Paketen können sie gleichsam als frühe Vorgänger von IKEA gelten. Ihre Stühle, die heute nahezu Kultrang beanspruchen, gehörten zur Massenausstattung von Kaffeehäusern, Veranstaltungsräumen und Wohnungen. Nahezu zeitgleich mit Thonet gründete 1849 Jacob Kohn mit seinem Sohn Josef in Vsetín, Mähren, eine Fabrik zur Herstellung hölzerner Bauteile. Er erhielt 1867 ein Privileg zur Verbesserung der Methode zum Biegen von Langholz. Bereits ein Jahr später, 1868, nahm die in Vsetín errichtete Manufaktur die Produktion von Bugholz auf. Weitere Standorte folgten in Jičín, in Krakau und Teschen, in Holešov und im russischen Nowo-Radomsk. Im Jahr 1900 beschäftigte die Firma 6.300 Arbeiter. Während anfangs zwar für einen gehobenen Bedarf, aber nach anonymen Entwürfen gearbeitet wurde, gestalteten nach 1900 neben Josef Hoffmann auch Otto Wagner, Adolf Loos, Koloman Moser oder Otto Prutscher die Firmenprodukte für einen exklusiven Geschmack. 1901 erfolgte die Umwandlung in die Erste Österreichische Aktiengesellschaft zur Erzeugung von Möbeln aus gebogenem Holze Jacob & Josef Kohn. 1917 fusionierte J. & J. Kohn mit der von Leopold Pilzer gegründeten Mundus AG (Kohn-Mundus), in welche 1922/25 auch die Firma Gebrüder Thonet eingegliedert wurde (Thonet-Kohn-Mundus).
Zu den Millionären zählte auch Anton Fix. Er hatte 1872 die Betriebsführung der 1842 von seinem Vater begründeten Tapeziererei übernommen. Er strebte nach Höherem. Schon 1873 beteiligte er sich erfolgreich mit einem Zimmer im egyptischen Styl auf der Wiener Weltausstellung. 1878 war er bei der Weltausstellung in Paris vertreten. Zusammen mit August Portois, der in den 90er Jahren wieder ausschied, gründete er 1881 das Unternehmen Portois & Fix. 1907 wurde es in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Anton Fix wurde Präsident des Verwaltungsrates, sein Sohn Robert Generaldirektor. Das Unternehmen hatte zu seiner erfolgreichsten Zeit im Jahr 1911 über 1.000 Arbeiter und war eine der größten Möbelfabriken in Wien, die eine Reihe berühmter Ausstattungsaufträge ausführte. Der Rechnungsabschluss des Geschäftsjahres 1909 ergab einen Gewinnsaldo von 411.643 Kronen.157 Anton Fix versteuerte ein Jahreseinkommen von 224.033 Kronen.
Das große Geld wurde allerdings weniger mit exquisitem Geschmack als mit trivialem Massenbedarf verdient. Ferdinand Fleischmann verdanken wir die „Fleischmannkanne“, einen verzinnten Blechbehälter zum Transport von Milch. Fleischmann erzeugte Blechgeschirr, vom Melkeimer bis zur Tortenform. Bis zu 800 Arbeiter waren in seiner Mödlinger Fabrik angestellt. Auch einen Eieröffner mit Zähnen und Scherenmechanismus ließ er sich 1907 patentieren. Im Ersten Weltkrieg lieferte er für das Militär Menageschalen, Feldflaschen und Gulaschkanonen. Der Porzellanfabrikant Hans Czjzek Edl. von Smidaich, der als Sohn eines Geologen nach einem Chemiestudium in die Porzellanfabrik seines Onkels August Haas in Schlaggenwald eingetreten war, führte die Firma Haas & Czjzek zu europaweiter Bedeutung. Hergestellt wurden vielerlei Gebrauchsgüter aus Porzellan und Keramik. Der aus Prenzlau bei Stettin stammende Spenglergehilfe Karl Rudolf Ditmar gründete 1841 mit seinem Bruder Friedrich die Wiener Lampenfabrik „Gebrüder Ditmar“. Sein großer Erfolg war eine sehr funktionstüchtige und preisgünstige Petroleum-Lampe, der sogenannte „Wiener Brenner“. Ditmar baute ein vertikal und horizontal vernetztes Firmengeflecht auf, mit Produktionsstätten und Niederlassungen von Warschau über Mailand bis Bombay. 1907 kam es zur Fusion mit der Konkurrenzfirma „Gebrüder Brünner“ und zur Umwandlung in eine Aktiengesellschaft, kurz Ditmar-Brünner genannt. Gerhard Ditmar fungierte als Präsident, Alexander Brünner als Generaldirektor. Im Ersten Weltkrieg gingen die Exportmärkte verloren.158
Wichtiger und massenhafter als die Petroleumbrenner waren um 1900 immer noch die Kerzen und Laternen, vor allem im ländlichen Raum. Felix und Max Fischer übernahmen 1882 die Leitung der Apollo-Kerzenfabrik, die sich inzwischen zu einem der größten Kerzen, Seifen- und Speisefettproduzenten der Monarchie entwickelt hatte. Es gab mehrere große Kerzenfabrikanten unter den Millionäre: die Stearin, Kerzen und Seifenfabrik Himmelbauer & Co, die Petroleumraffinerie, Stearinkerzen-, Ceresin- und Fettwaren-Fabriken Gustav Wagenmann in Wien und Triest oder den aus Frankfurt/Main gebürtigen F. A. Sarg, der 1858 die k. k. ausschließlich privilegierte Milly-Kerzen-Fabriksgesellschafts G. de Milly erworben hatte. Zusammen mit seinem Sohn Carl Sarg machte er die in Konkurs gegangene Kerzen-Fabrik zu einem führenden Unternehmen im Bereich der Seifen und Toiletteartikel. Seine wichtigste Entwicklung war die Zahnpasta Marke „Kalodont“, die das Unternehmen ab 1887 in Tubenform auf den Markt brachte.
Innovation Elektrizität
Die österreichische Elektroindustrie steht im Schatten der deutschen. Werner von Siemens oder Emil Rathenau überstrahlen Johann Kremenezky oder Béla Egger. Dabei waren die Errungenschaften der österreichischen Elektropioniere kaum geringer als die ihrer deutschen Konkurrenten, in der Wechselstromtechnik, bei Glühbirnen, in der Röhren- und Telefontechnik. Acht Millionäre sind zur Elektroindustrie zu zählen, davon sieben jüdische. Gerade die Elektroindustrie war in besonderem Maße von öffentlichen Aufträgen abhängig. Die Bevorzugung nichtjüdischer Anbieter im öffentlichen Sektor mag eine Rolle gespielt haben, dass die Siemens-Gesellschaften in Österreich so große Bedeutung erlangten. Georg von Siemens und die Deutsche Bank finanzierten die Kommunalisierung des Wiener Gasnetzes. Siemens erhielt dafür die Elektrifizierung des Wiener Straßenbahnnetzes übertragen.
Johann Kremenezky hatte in Wien (wie Emil Rathenau in Berlin) die elektrische Beleuchtung eingeführt. 1884 gründete er die Gesellschaft Kremenezky, Mayer & Co. Sie übernahm eine bereits bestehende Glühlampenfabrik der Londoner Brush Electrical Engineering Company. 1896 wurde das inzwischen auf 800 Beschäftigte angewachsene Werk an die Nürnberger Schuckert-Werke verkauft. Kremenezky blieb technischer Direktor, schied aber drei Jahre später aus, wobei er die Glühlampenfabrikation herauskaufte und sie bis zum Ersten Weltkrieg auf rund 1.500 Beschäftigte ausbaute. Seine Fabrik (später Tungsram) war damals die größte ihrer Art in Europa. 1930 zog sich der inzwischen 80-jährige Kremenezky zurück und verkaufte sein Unternehmen an die Watt AG bzw. deren Muttergesellschaft, die Vereinigte Glühlampenfabriks AG in Neupest, die ihren Namen auf Vereinigte Glühlampenfabriken Johann Kremenezky AG änderte.159
Béla Egger, Gründer und Verwaltungsrat der Vereinigten Elektrizitätsgesellschaft, hatte als Mechaniker und Telegraphentechniker begonnen. Zusammen mit Johann Kremenezky wurden verschiedene Fabriken gegründet, die 1897 in die Vereinigte Elektrizitäts AG umgewandelt wurden. Seine Söhne Ernest, Friedrich und Adolf setzten das Werk fort. Vielleicht fehlte die nötige Konsequenz. Nach 1918 fehlte der große Markt. Und weil sie jüdisch waren, versank zuletzt alles in der nationalsozialistischen Vernichtungswut.
Der vielseitigste österreichische Erfinder um 1900 war zweifellos Carl Auer von Welsbach. Er brachte Österreich zweimal an die Spitze des technologischen Fortschritts in der Beleuchtungstechnik, einmal mit dem Gasglühlicht, das zweite Mal mit der Metallfadenlampe. Auer von Welsbach war für den Reichtum der Brüder Gallia verantwortlich. Adolf Gallia war Auers Patentanwalt. Moriz Gallia, dessen Gattin durch Gustav Klimt berühmt geworden ist, war sein Direktor für Österreich, Wilhelm für Ungarn.
Auch das Telefon wurde immer wichtiger: Der k. k. Oberbaurat Hubert Gottlieb Dietl, ein nahezu vergessener österreichischer Erfinder, erzielte sein hohes Einkommen von 119.915 Kronen aus der Entwicklung des automatischen Telefonwählsystems, mit dem 1905 erste Versuche in Wien für zunächst 200 Teilnehmer gestartet wurden und das ab 1914 im Wiener Telefonnetz systematisch eingesetzt wurde. Robert von Lieben machte kein Studium und keine Universitätskarriere. Man muss ihn aber als den wichtigsten und bis heute einflussreichsten Erfinder unter den Wiener Millionären des Jahres 1910 anführen. Geld hatte er nicht nötig. Die mütterliche Wohnung war das prachtvolle Palais Todesco gegenüber der Staatsoper, die väterliche Wohnung