Traumzeit für Millionäre. Roman Sandgruber
und die Präsentation in der Öffentlichkeit waren wichtig und trugen wesentlich zum Erfolg bei. Arthur Schnitzler verbrachte viel Zeit in großen Hotels und kannte ihr Ambiente gut. Wo er allerdings überhaupt nicht recht hatte, war die Beifügung eines Doktortitels für seinen Hoteldirektor von Aigner im Weiten Land. Kein Einziger der Hotel- und Gastronomiemillionäre des Jahres 1910 hatte eine akademische Ausbildung vorzuweisen.
Das eindringlichste Beispiel für Aufstieg und Abstieg bietet Johann Frohner. Von 1874 bis zu seinem Tod im Jahr 1894 war er der Pächter des 1873 eröffneten Hotel Imperial. Bei ihm waren die Träume vom Aufstieg vom Tellerwäscher oder Kellnerlehrling zum Millionär am deutlichsten wahr geworden. Als Weinviertler Bauernsohn hatte er in Pressburg eine gastronomische Lehre begonnen. In Budapest machte er sich mit der Pacht der Bahnhofsrestauration am heutigen Budapester Ostbahnhof (damals Staatsbahnhof) erstmals selbständig. 1859 übernahm er das Hotel „Stadt Paris“. Sein großer Erfolg begann mit der Eröffnung des Hotel Frohner im Jahr 1864, das er bald zum besten Hotel Budapests machte. Ab 1874 führte er das Wiener Imperial, das der Kapitalist Horace Ritter von Landau dem mit seinem neu erbauten Wohnsitz höchst unzufriedenen Prinzen Philipp von Württemberg abgekauft und in Erwartung der Weltausstellungsbesucher 1873 zu einem Hotel umgestaltet hatte. Landau war ein Kapitalist, aber kein Touristiker. Mit seinen schon in Budapest erprobten Erfolgsrezepten, imperialem Flair und exklusivem Service, dazu mit Werbegags wie „Frohner Torte“ oder „Imperial-Torte“ statt „Sacher-Torte“ traf Frohner auch in Wien die richtige Entscheidung. Sein Reichtum stieg rasch. Er brachte es zu einem Rennstall in Budapest, Großgrundbesitzungen in der Steiermark und zwei Villen in Wien. Er machte große Stiftungen. Trotzdem verlief alles unglücklich. Seine zweite Ehe mit Josefine Cäcilie Tichtl v. Tutzingen, aus der sein einziger Sohn Roman hervorging, scheiterte bereits nach drei Jahren. Die untreue Gattin ging mit einem Baron von Villany auf und davon. Johann Frohner verfolgte sie mit dem vollen Hass des betrogenen Ehemanns. Dem minderjährigen Roman, der als Universalerbe eingesetzt war, wurde jeglicher Kontakt mit der Mutter testamentarisch untersagt; sein Vermögen verwaltete ein Vormund. Als Roman Frohner 1912 endlich großjährig war, hätte er sein Erbe antreten können. Doch vieles davon war schon zerronnen. Das Hotelfach interessierte ihn wenig. Er studierte Chemie, erwarb das Doktorat und beschäftigte sich mit noblen Autos. Mit der Übernahme der Vertretung der Autofirma Laurin & Klement war er nicht wirklich erfolgreich. Sein Erbe verkaufte er teils während, teils nach dem Krieg. Als er 1940 starb, war vom Riesenbesitz nichts mehr übrig.195
Einzigartiger Unternehmensstil: Anna Sacher, die Witwe Eduard Sachers, machte das Hotel Sacher zu einem der berühmtesten Häuser Europas.
Auch dem Hauptkonkurrenten Frohners im nahe gelegenen Hotel Sacher erging es nicht viel besser. Eduard Sacher, dessen Vater als Küchenchef in verschiedenen Adelshäusern die berühmte Sacher-Torte kreiert hatte, hatte sein Vermögen nach Kochlehre und Auslandspraxis Schritt für Schritt so weit ausgebaut, dass er 1876 ein Hotel in der Philharmonikerstraße vis à vis der Oper eröffnen konnte, das binnen weniger Jahre wegen seiner Eleganz und Spitzengastronomie und wohl auch wegen der diskreten Chambres Séparées in naher Lage zu Oper, Jockey-Club und den Palais des Adels zum Treffpunkt der High Society wurde. Sacher verstarb bereits 1892 im Alter von 50 Jahren. Seine Witwe Anna Maria, die Tochter eines Wiener Fleischhauers, führte den Betrieb äußerst erfolgreich weiter. Sie machte das Hotel durch ihren einzigartigen Unternehmensstil und ihre prägende Persönlichkeit zu einem der berühmtesten Häuser Europas. Doch vieles war äußerer Schein. Als sie 1930 starb, brauchte sie nicht mehr mitzuerleben, wie das in Wahrheit hoch verschuldete Hotel kurz darauf den Konkurs anmelden musste. Hans Gürtler erwarb die Konkursmasse und konnte den Betrieb, basierend auf dem großen Namen, seit den 1950er Jahren wieder auf den alten Erfolgskurs bringen.196
Am Semmering war das Panhans von ähnlichen Schicksalsschlägen betroffen. Vinzenz Panhans, der sich nach Lehrjahren im Wiener Hotel Lamm als Küchenchef des 1882 eröffneten Semmeringer Südbahnhotels an die Spitze hochgearbeitet hatte, errichtete 1888 sein eigenes Hotel, mit dem er schnell zum schärfsten Konkurrenten seines früheren Arbeitgebers wurde. 1901 übergab er es im Alter von 60 Jahren seinem Neffen Franz Panhans. Dieser entschloss sich im Sommer 1911 zu einem 128 Meter langen Zubau, der das Panhans zu einem der größten Hotels in Mitteleuropa machen sollte. Vielleicht war die Entscheidung überhastet, auf jeden Fall war sie überdimensional. Die neue Technik des Stahlbetons ermöglichte den raschen Baufortschritt. Die Eröffnung des Neubaus zu Weihnachten 1913 wurde allerdings zu einer traurigen Angelegenheit. Franz Panhans war Ende September 1913 im Alter von 44 Jahren an Magenkrebs gestorben. Klara Panhans, die Witwe, 39 Jahre alt, mit vier kleinen Kindern, war die unglückliche Erbin von 300 Laufmetern Hotelfassade und 600 Betten auf 17.000 m2 Nutzfläche. Im Nachruf in der Hotelzeitung war von „rastloser Tätigkeit“ die Rede und von einem „Selfmademan im besten Sinne des Wortes“. Der Stress des Hotelbetriebs, verbunden mit dem Bauvorhaben und dessen Finanzierung, hatte ihn körperlich und nervlich überfordert. Der patriarchalische Familienunternehmer, der sich jede noch so kleine Entscheidung vorbehalten hatte und jeden Gast per Handschlag begrüßte, manchmal sogar zweimal, schon am Bahnhof und dann, zu Fuß eine Abkürzung nehmend, noch einmal am Hoteleingang, während seine Frau die Küchenorganisation und Küchenkassa führte, war durch die gewaltigen Baukosten, vier Millionen Kronen, schon 1912 genötigt, den Betrieb in eine Aktiengesellschaft einzubringen. Im Winter 1913/14 war das Hotel zwar überbucht wie jedes Jahr. Doch der Krieg zog den Grandhotels den Boden weg. 1916 stand das Hotel zu Dreiviertel leer. Im Juli 1918 war Klara Panhans faktisch bankrott und gezwungen, weit unter Wert an ein Bankenkonsortium zu verkaufen. Dem Verkaufserlös von 4,8 Millionen Kronen standen Schulden von 4,5 Millionen Kronen gegenüber. Klara Panhans lebte bis zu ihrem Tod 1964 von der Zimmervermietung in bescheidenem Umfang in der familieneigenen Privatvilla „Waldruhe“. Das Panhans strudelte in den Inflationstaumel, wechselte mehrmals den Besitzer und litt unter immer größer werdenden Auslastungsproblemen. Die entsprechend zahlungsfähige Klientel fehlte immer stärker.197
Luxusherberge in der Wiener City: das 1873 von Carl Schumann und Ludwig Tischler erbaute Hotel Métropole am Morzinplatz, nach 1938 Gestapo-Hauptquartier.
Der große Kapitalbedarf der Grandhotels war nur über die Börse zu decken. Max Eissler aus der Familie der berühmten Holzhändler und Holzindustriellen investierte in Hotels. 1910 war er Präsident der 1872 gegründeten Hôtel-Actiengesellschaft Métropole, die das Hotel Métropole am Morzinplatz 4 führte. Das 1872 anlässlich der Weltausstellung errichtete Nobelhotel wurde wegen der baulichen Ähnlichkeit zum Hotel Sacher und der jüdischen Gründer- und Eigentümerfamilien bisweilen als „jüdisches Sacher“ bezeichnet und ist nach der Beschlagnahme 1938 als Hauptquartier der Gestapo zu trauriger Bekanntheit gekommen. Max Eissler war auch Präsident der Ersten Wiener Hôtel-Actiengesellschaft, die Anfang 1907 die Aktien des Grand-Hotels (Kärntnerring 9) mit Hilfe der Unionbank an der Börse eingeführt hatte. Das Hotel wurde durch Erwerb und Umbau der beiden anstoßenden Häuser erweitert. Alles war hochmodern: die elektrischen Aufzüge, der glasüberdachte Innenhof, alle Zimmer bereits mit Telefon. 1912 wurde auch das Imperial in eine Aktiengesellschaft ungewandelt und in die Grand-Hotel-Gesellschaft eingegliedert. Auch die übrigen Wiener Grandhotels, das 1898 eröffnete Krantz, später Krantz-Ambassador, oder das Bristol, das 1892 eröffnet und in rascher Folge erweitert worden war, oder das traditionsreiche Erzherzog Karl litten unter den Problemen der Finanzierung. Der Krieg beendete ihren Höhenflug.
Die Grand- und Palasthotels prägten vor allem die Kur- und Badeorte. Das Pupp in Karlsbad, das Nonplusultra aller Kurhotels der Habsburgermonarchie, war nach 1918 wegen der besseren Wirtschaftsentwicklung in der Tschechoslowakei weniger von der Krise betroffen. Von den drei Pupp-Brüdern der Gründergeneration Anton, Julius und Heinrich war 1910 nur mehr Heinrich am Leben, der sich als Privatier nach Wien zurückgezogen hatte und in der Aktiengesellschaft die Stellung eines Vizepräsidenten einnahm. Simon Graf Wimpffen scheiterte mit seinem Tourismusprojekt in Neuhaus spektakulär. Wimpffen hatte riesige Besitzungen in Ungarn und daher die finanziellen Möglichkeiten, das Projekt Neuhaus zu forcieren. Ab 1896 hatte er in dem heute zu Weissenbach