Traumzeit für Millionäre. Roman Sandgruber

Traumzeit für Millionäre - Roman Sandgruber


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Industriellenverbände, der Industrielle Club, der Zentralverband der Industriellen und der Bund Österreichischer Industrieller. Das Haus der Industrie, das 1906 bis 1909 am Schwarzenbergplatz errichtet und am 5. März 1911 durch Kaiser Franz Joseph eröffnet wurde, sollte ein Zeichen setzen: mitten in jenem kleinen Bereich, wo die größten Industriellen ihre Palais angesiedelt hatten, direkt gegenüber dem Haus des Handels und als Symbol einer geeinten Industrievertretung, die 1918 ganz am Ende des Habsburgerstaates dann auch tatsächlich zustande kam. Man wünschte sich ein „Wahrzeichen der Industrie“, nicht von einem modernen Architekten wie Otto Wagner oder gar Adolf Loos, sondern von einem „soliden“ Architekten wie Karl König, traditionsverhaftet, aber technikaffin.184

      Nie ist in Wien so viel gebaut worden wie vor dem Ersten Weltkrieg, nicht nur öffentliche Repräsentationsvorhaben und private Prunkpalais, sondern auch Infrastrukturprojekte und Wohnanlagen in einer innerhalb von einer Generation zur Zweimillionenstadt angewachsenen Metropole. Verbunden war der Bauboom mit einer Kostenexplosion im Baugewerbe. Während die meisten Industrie- und Gewerbeprodukte im Verlauf des 19. Jahrhunderts deutlich billiger wurden, stieg der Baukostenindex kontinuierlich an. Verursacht war dies zum Hauptteil von den durch Lohnsteigerungen und Arbeitszeitverkürzung angetriebenen Arbeitskosten. Der arbeitssparende technische Fortschritt hingegen war im Baubereich noch recht gering. Damals beruhten die Fortschritte in der Bautechnik vor allem auf neuen Stoffen und Konstruktionselementen, wie z. B. hydraulischem Zement, gewalzten Stahlträgern und industriell gefertigtem Glas. Die Wiener Bauwirtschaft war um 1910 immer noch vom Klein- und Kleinstgewerbe dominiert. Erfolgreich wurden jene, die sich den technischen Fortschritt nutzbar machten, insbesondere im Stahl- und Stahlbetonbau.185

      Der Höhepunkt des Eisenbahnbaus, wo so viele Vermögen geschaffen worden waren, war um 1900 längst vorbei. Aber von der Regierung unter Ministerpräsident Körber war zwischen 1900 und 1904 eine letzte Welle von großen Bahnbauten über die Alpen eingeleitet worden: die Gasteiner Bahn, Pyhrnbahn, Aspangbahn und Wocheinerbahn. Die ebenfalls vorgesehenen Kanalbauprojekte zwischen Donau, Rhein, Oder und Weichsel hingegen kamen nicht in Schwung.186 Die zukunftsträchtigen Bereiche, der Kraftwerksbau, der Straßenbau und der Seilbahnbau, standen erst am Anfang. In die städtische Infrastruktur Wiens wurde von der Luegerschen Verwaltung viel investiert: Staßenbahnen, Kanalisierungen, Elektrizitäts- und Wasserversorgung, Schulen, Spitäler und Sozialeinrichtungen. Die Provinzhauptstädte suchten es dem Wiener Vorbild gleichzutun. Die Wiener Baufirmen und Stararchitekten fanden ein vielfältiges Betätigungsfeld zwischen Triest, Graz, Krakau, Lemberg und Czernowitz.

      Die berühmten Architekten der Gründerzeit, die das Bild der Wiener Ringstraße prägten, waren 1910 schon tot: Heinrich von Ferstel, Theophil Hansen, August Sicard von Sicardsburg und Eduard van der Nüll, Carl von Hasenauer, Gottfried Semper, Friedrich von Schmidt. Ob sie unter den Millionären zu finden gewesen wären, darf bezweifelt werden. Nach van der Nülls Selbstmord stand seine Witwe nahezu mittellos da. Auch Heinrich Ferstel hatte kein so beachtliches Vermögen erwirtschaftet, dass es die hohen Einkommen seiner Söhne erklären könnte. Diese hatten vielmehr in die Finanzaristokratie der Habsburgermonarchie eingeheiratet. Auch bei den 1910 noch aktiven Baumeistern und Architekten brachten es jene, die den Ruhm der Nachwelt haben, etwa Otto Wagner, Josef Maria Olbrich, Jože Plečnik oder Adolf Loos, nicht zu Spitzeneinkommen. Wer reich werden wollte, musste viel und industriell bauen. Denn die üblichen Architektenhonorare waren niedrig. Mehr als 4.000 bis 5.000 Kronen im Jahr konnte man mit Hausplänen und Bauführungen nur schwer verdienen. Von den rund 700 Architekten und Planern, die im Zeitraum zwischen 1880 und 1945 so bedeutsam waren, dass sie in Wien mehrere Projekte oder zumindest ein öffentliches Monumentalgebäude realisieren und sich im Architekturlexikon damit einen Eintrag sichern konnten, schaffte es kaum ein Prozent in den Einkommensolymp der 1.000 Reichsten des Jahres 1910. Bedeutsamkeit und Einkommen müssen einfach nicht zusammenfallen. Dass auch ein so vielbeschäftigter, aber durch und durch konventioneller Architekt wie Ludwig Baumann, der Berndorf prägte, in den Jahren 1908 bis 1910 das Kriegsministerium errichtete, ab 1910 in der Hofburg den Neubau des Festsaaltraktes durchführte und auch den Auftrag für das Konzerthaus und das Akademietheater erhalten hatte, nicht unter den Spitzenverdienern zu finden ist, überrascht allerdings. Umgekehrt: Über das Schaffen der Baumeister Eduard und Emanuel Schweinburg ist wenig bekannt. Im Wiener Architektenlexikon 1770 – 1940 haben sie keinen Eintrag.187 Dasselbe gilt für Josef Seichert und eine Reihe weiterer Baumeister. Zu den Einkommensmillionären zählten sie sehr wohl.

      Den bis heute bleibendsten Eindruck im architektonischen Erscheinungsbild der späten Habsburgermonarchie hat wohl das Architekturbüro Fellner & Helmer hinterlassen, mit mehr als 60 Theater-, Hotel-, Rathaus- und anderen Repräsentativbauten quer durch das gesamte Reich. Der k. k. Oberbaurat Ferdinand Fellner, der 1873 mit seinem ehemaligen Mitschüler Hermann Helmer eine Architektengemeinschaft gebildet hatte, wurde zum bedeutendsten Theaterbaumeister der Doppelmonarchie. Mit einem Jahreseinkommen von 111.015 Kronen lag er dennoch ziemlich weit hinten: an 792. Stelle. Hermann Helmer brachte es überhaupt nicht über die 100.000er-Grenze.

      Aus dem Eisenbahn- und Hochbauboom der ersten Gründerzeit hatte die Habsburgermonarchie zwar eine ganze Reihe fest etablierter Baugesellschaften geerbt. Die großen Einkommen um 1910 wurden aber von Neueinsteigern erzielt, die die Chancen und technischen Innovationen der „Zweiten“ Gründerzeit zu nutzen verstanden. Durch seinen Sohn Heimito in den Olymp der literarischen Erinnerung aufgestiegen ist Wilhelm Ritter v. Doderer. „Doderer, Göhl & Sager“ war durch Bahnbauten zu einem der größten Bauunternehmen der späten Donau-Monarchie aufgestiegen. Neben großen Aufträgen bei der Wientalregulierung und im Wiener Stadtbahnbau waren es vor allem die Tauern- und die Karawanken-Bahn, von denen das Unternehmen profitierte. Die Bausummen, die Wilhelm v. Doderer in einem Rückblick nannte, waren gewaltig: 4,5 Millionen Kronen für das Teilstück der Karawankenbahn von Klagenfurt nach Rosenbachtal, 3 Millionen für jenes der Tauernbahn von Obervellach nach Pusarnitz, schließlich der enorme Auftrag für die Mittenwaldbahn (rund 28 Millionen). Doderer zählte nach Einschätzung seines Biographen mit einem Vermögen von rund 12 Millionen Kronen zu den reichsten Männern der Doppelmonarchie.188 Mit 132.538 Kronen Jahreseinkommen lag er an 601. Stelle der Wiener Millionäre im Jahr 1910. Doch Doderer veranlagte sein erhebliches Vermögen zu einem großen Teil in Kriegsanleihen und gehörte zu den größten Kriegsverlierern, so dass sein Sohn Heimito auf die Unterstützung durch seinen in der Tschechoslowakei von der Geldentwertung weniger betroffenen Onkel angewiesen war.

      Vom ererbten Ruhm und Reichtum des Eisenbahnbaus zehrten Nina von Fröhlich-Feldau, die Witwe des 1896 verstorbenen Bahnbauunternehmers Moritz Fröhlich Edler von Feldau, oder auch Dr. Hubert Freiherr von Klein-Wisenberg. Die Brüder Klein, die aus einer Erdarbeiterfamilie in Wisenberg den Aufstieg von ganz unten nach ganz oben geschafft hatten, hatten sich zu Ende des Jahrhunderts auf ein Rentiersdasein zurückgezogen. Von der ersten Bahnstrecke von Wien nach Gänserndorf im Jahr 1837 bis zum Börsenkrachjahr 1873 hatten sie über 3.500 Bahnkilometer im gesamten Gebiet der Monarchie errichtet. Hubert gab 1910 als Beruf nur mehr Gutsbesitzer an, mit etwa 8.000 ha in Mähren.

      

       Erbaut 1884 – 1889 im Neo-Louis-XIII-Stil für Nathaniel Meyer Freiherr von Rothschild: Schloss Rothschild in Reichenau an der Rax. Foto: A. Wintschalek.

      Die großen Einkommen in der Baubranche erzielten 1910 die Betonbaupioniere: Viktor Brausewetter gründete 1870 zuerst in Pressburg, ab 1878 in Wien mit Adolph Freiherr von Pittel die Betonbaufirma Pittel und Brausewetter. Rudolf Nemetschke hatte 1902 die Geschäftsführung der Baufirma Rella & Co. übernommen, die unter seiner Leitung zu einem der führenden Großbauunternehmen wurde. 1898 gründete der junge Eduard Ast unter dem Namen „Ed. Ast & Co., Ingenieure“ eine Gesellschaft „für Betonbau, Betoneisenbau und Wasserkraftanlagen“, die innerhalb weniger Jahre zu den führenden Baufirmen der Monarchie aufschloss. Ast war einer der Vorreiter der Einführung des Stahlbetonbaus und der Verwendung von Spannbeton im Brückenbau. Aber er war kein Betonierer. Er stand den Künstlern und Architekten des Wiener Jugendstils und der Wiener Werkstätte nahe. Die für ihn errichteten Villen


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