Was ich glaube. Arnold Mettnitzer
mühevoll auf unseren Feldern, von deren Früchten wir leben; genauso müssen wir jede Mühe auf uns nehmen, für die Menschen zu sorgen, die um uns sind – denn auch von ihnen leben wir.“
Die Basis aller Begeisterung ist der richtige Geist
„Be-Geist-erung“ lebt aus dem richtigen Geist. Und diesen Geist gibt es nur in Gruppen. Einer allein losgelöst und völlig isoliert von anderen Menschen kann sich nicht begeistern. Was also jeder Mensch, der sich für irgendetwas begeistern will/kann, dringend braucht, ist eine Gruppe, in der ein Gruppengeist gepflegt wird, der nicht nur toleriert und akzeptiert, sondern einlädt, aufmuntert, ermutigt, inspiriert und mitreißt.
Wenn es zur Ermöglichung von Begeisterung also den richtigen Geist braucht, und wenn sich dieser Geist nur in Gruppen finden lässt, dann ist es leicht zu verstehen, wie wichtig es für den einzelnen Menschen ist, sich immer wieder gründlich zu fragen, in welcher Gruppe von Menschen er sich aufhält, mit wem er sich umgibt, wem er täglich begegnet und davon (zunächst kaum bemerkbar, aber nach und nach unübersehbar) nachhaltig geprägt wird.
Geist gibt es in einer Familie, im Kindergarten, in der Schule, im Fußballverein, im Unternehmen, im Krankenhaus, in der politischen und religiösen Gemeinde. Alle diese Gruppen brauchen ihren ganz bestimmten Geist, denn ohne Geist gibt es keine Gemeinschaft, geschweige denn Begeisterung! Geist ist das, was Menschen verbindet und was den Rahmen bietet für die Erfahrung, die die Menschen in diesem System machen können. Wir sprechen deshalb ja auch vom „Familiengeist“, vom „Gruppengeist“, vom „Gemeinschaftsgeist“, vom „Teamgeist“ und der notwendigen „Be-Geist-erung“ der einzelnen Gruppenmitglieder, die dafür Sorge tragen müssen/sollten, dass heiliger, heilender, guter Geist in den Gruppen bleibt und sich dort ausbreitet. Um diesen Geist, um den „guten Geist“ muss man sich täglich kümmern, und wenn sich zu lange niemand darum kümmert, dann verschwindet, verkümmert dieser gute Geist und auf dem leer gewordenen Platz zieht der Ungeist der reinen Verwaltung, der „Verwaltungsgeist“, ein.
Der Verwaltungsgeist nimmt dann nach und nach das System in Geiselhaft und bestimmt alles, was in der Gemeinschaft gemacht oder aber auch nicht mehr gemacht werden kann. Der Buchstabe des Gesetzes übernimmt das Kommando und der jetzt herrschende Geist gebiert als „Ungeist“ neue Haltungen. Statt die Mitglieder zu fördern, erfolgt die Bedürfnisbefriedigung einzelner weniger, die es sich zu richten wissen. Was die Gruppenmitglieder dabei erleben, ist keine Ermutigung mehr, sondern das Erlebnis „verwaltet“ zu werden. Aus dieser Erfahrung des „Verwaltet-Werdens“ entsteht dann eine Haltung, die, um nur ein Beispiel zu nennen, aufseiten der Schüler meint, dass es die Aufgabe des Lehrers wäre, dafür zu sorgen, dass Schüler ohne Anstrengung möglichst schnell möglichst viel lernen. Dass mit einer solchen Einstellung das Lernen unmöglich wird, versteht sich von selbst! Oder es entsteht aufseiten der Lehrer die Hoffnung auf das baldige Ende des Unterrichts. Was dabei Lehrer mit Schülern noch miteinander verbindet, ist die Hoffnung, dass sie bald nichts mehr miteinander verbindet! Zu guter Letzt passt dann der Ungeist, der eingezogen ist, zu den Haltungen, die er selbst erzeugt hat. Das ist ein systemisches Problem, das nur schwer wieder aufzulösen ist, weil die beiden Seiten sich gegenseitig stabilisieren. Und dann kommt ein neuer Chef und will alles anders machen, aber er beißt sich dabei die Zähne aus!
Viele Visionäre und Lichtgestalten der Geschichte sind daran zerbrochen, dass sie zu schwach waren, für einen Geist zu sorgen, der ihren Visionen hätte Raum verschaffen können. So ist zum Beispiel Papst Hadrian VI. (1459 – 1523) alles andere als ein schwacher Mann gewesen, aber leider war er nicht stark genug, seiner visionären Kraft zum Durchbruch zu verhelfen. Mit seinem Wunsch, Luthers Reformideen aufzugreifen und sich mit ihm zu versöhnen, musste er scheitern. Die römische Kurie, sein unmittelbares Umfeld wusste dafür zu sorgen, dass seine Regierungszeit nach knapp zwölf Monaten zu Ende war. Für den Besucher seiner Grabstätte in der deutschen Nationalkirche Santa Maria dell’Anima in Rom, unweit der Piazza Navona, ist dieses geschichtliche Faktum pointiert formuliert in dem Satz zusammengefasst: „Ach, wie schade! Wie viel hängt doch davon ab, in welche Zeitumstände, in welche zeitgeistige Atmosphäre die Kraft auch des besten Menschen fällt!“
Ein Gegenbeispiel dafür, was Gruppengeist zu fördern imstande ist, findet sich zehn Gehminuten davon entfernt im Pantheon. Dort befindet sich in einem antiken Sarkophag aus griechischem Marmor das Grab Raffaels (1483 – 1520), aus dessen Inschrift der Stolz seiner Zeit auf seine großen künstlerischen Leistungen abzulesen ist:
„Dieser hier ist Raffael, von dem die Natur zeit seines Lebens fürchtete, übertroffen zu werden und jetzt, da er gestorben ist, glaubt sie, selbst sterben zu müssen.“
Alles, was geschieht, ereignet sich in den Koordinaten von Zeit und Raum. Aber es ereignet sich auch in der Atmosphäre eines ganz bestimmten Geistes, der einlädt und beflügelt oder aber verhindert und zerstört, und darüber entscheidet, ob diese Koordinaten von Raum und Zeit auch zu Glückskoordinaten werden konnten.
Beten
Gemeinsam zu beten ist mir seit früher Kindheit vertraut. Samstagabends saßen wir um den Küchentisch, vor allem zu den großen Festtagen wie Weihnachten und Ostern. Besonders lang und gründlich wurde zum Jahreswechsel gebetet. „Danken für das alte Jahr und bitten um ein glückseliges neues Jahr!“ So habe ich die Stimme meiner Mutter im Ohr. Unvergesslich auch unser Beten in der Familie bei Unwettern. Nach der Montage eines Blitzableiters hat das Rosenkranzgebet bei Unwettern allerdings stark nachgelassen, ganz verschwunden aber ist es in meinen Kindertagen nie. Mein persönliches Beten kennt auch heute noch drei Blickrichtungen: nach vorne, nach oben und zurück. Lehrmeister dazu war mir schon zu Schulzeiten der Volksmund: „Drei Blicke tu zu deinem Glück: vorwärts, aufwärts und zurück!“ Beten bedeutet für mich, zum Ausdruck zu bringen, was in mir vor sich geht. Bitten und Danken, Frohlocken und Singen, Weinen und Klagen, das alles ist ein menschliches Grundbedürfnis. „Orare“, das lateinische Wort für „beten“, bedeutet ja im Grunde nichts anderes als „den Mund auftun“ und zum Ausdruck zu bringen, was im Innersten vor sich geht.
Jeder Mensch verdankt sich anderen, er steht auf den Schultern derer, die vor ihm waren und ohne die er nicht auf der Welt wäre. Wer nicht zurückschaut, wer sich um die Wurzel seiner Existenz nicht kümmert, wer so tut, als wäre er ewig aus dem Nichts gekommen oder gar das Produkt seiner selbst, wird im tiefsten Sinn des Wortes „rücksichts-los“. Der Blick zurück ist eine der drei Grundrichtungen menschlichen Daseins. In diesem Blick zurück ist das „Danken“, das bewusste „Daran-Denken“ (aus diesem Wort hat sich das deutsche Wort „danken“ entwickelt) die eine der drei Grundmelodien des Menschen, wenn er seinen Mund auftut und artikuliert, was in ihm vor sich geht. Die zweite Grundrichtung menschlichen Daseins ist der Blick nach vorne und die daraus resultierende Grundmelodie die Bitte. Menschsein heißt zu wissen, dass wir aufeinander angewiesen bleiben. Niemand kann sagen, was morgen sein wird, was von seinen Wünschen und Vorsätzen in Erfüllung geht. Wer glaubt, alles selbst leisten und niemanden um etwas „bitten“ zu müssen, wer das Vertrauen nicht kennt, anderen etwas überantworten zu können, weiß nichts von einem großen Teil der Schönheit des Lebens. Ein armer Teufel, wer das „Bitten“ verlernt hat und schließlich stattdessen eine Versicherung abschließt. Schon seit Jahren stelle ich mir die Frage, was ich eigentlich versichere, wenn ich in der momentan so eklatant unsicheren weltwirtschaftlichen Gesamtlage eine „Lebensversicherung“ abschließe. Was versichern uns Versicherungen? Je unsicherer die Wirtschaftslage, desto höher die Versicherungssumme. Im Grunde versichern wir unsere eigene Verunsicherung und auf diese schließen wir dann noch eine sogenannte „Rückversicherung“ ab.
Die dritte Grundrichtung menschlichen Daseins ist der Blick „nach oben“. Die daraus resultierende Grundmelodie sind Jauchzen vor Freude, Singen, Tanzen und Springen, „Außer-sich-Sein“.
Ihren Gipfel erreicht diese dritte Grundmelodie, wenn es einem Menschen die Sprache verschlägt, wenn er mit offenem Mund und wie angewurzelt vergebens ums Wort ringt und staunt. Wer staunt, gerät nicht in Gefahr, sich mit Gott zu verwechseln. Ihm fehlen die Worte, sein Mund bleibt offen, staunen nur kann er und staunend sich freuen …
Benedikt