Das Tour-Tagebuch des frommen Chaoten. Adrian Plass
kurzfristige Harmonie, auf die sie aus sind, nicht irgendein längerfristiges musikalisches Engagement. Wenn man um Mitternacht dort entlanggeht, hört man in manchen Nächten von überall her kurze musikalische Ausbrüche. Ist es nicht ein Segen, Barry, dass wir wissen, wie wir als Christen solchen Menschen begegnen müssen?«
Barry schien von Geralds todernster Miene völlig hypnotisiert zu sein.
»Wissen wir das? Ich meine – ja, ja, natürlich wissen wir das. Ich meine – wie meinen Sie das?«
»Ach, das wissen Sie doch so gut wie ich, Barry. Wir hassen die Posaune, aber wir lieben den Posaunisten, ist es nicht so?«
»Lieben den Posaunisten …«, wiederholte Ingstone benommen.
»Mir persönlich fällt das nicht leicht«, fuhr Gerald fort. »Ich habe mit einem tiefen inneren Abscheu gegen solche wahllos herummusizierenden Leute zu kämpfen. Es würde mir viel leichter fallen, wenn sie schwul wären. Finden Sie nicht auch?«
Barry war buchstäblich sprachlos. War nicht das erste Mal, dass Gerald diese Wirkung auf jemanden hatte. Er trägt derartigen höheren Blödsinn mit solch fließender Ernsthaftigkeit vor, dass ein argloser Zuhörer in eine Art Trance geraten kann und sich erst einmal in Gedanken auseinanderklamüsern muss, was er da eigentlich gerade gehört hat, bevor er das Risiko auf sich nimmt, eine Antwort zu geben. So war es auch heute Abend bei Barry. Ich glaube nicht, dass er damit auf die Dauer unterzukriegen ist, aber zumindest hat es ihm für den Rest des Abends die Sprache verschlagen.
Danach gab es noch lebhafte Diskussionen über die Tournee. Angels ist sichtlich nervös, aber auch begeistert. Leonard kann sich immer noch nicht einkriegen darüber, dass er eine ganze Woche lang mit seiner Liebsten zusammen sein kann, wo er doch damit gerechnet hatte, sie während dieser Zeit überhaupt nicht zu sehen.
Edwin sprach ein Gebet für die Tournee, aber nur ein kurzes. Ich glaube, er merkte, dass die arme Angels schon von Ingstone eine ziemliche Überdosis abbekommen hatte. Anne flüsterte mir zu, sie werde Angels irgendwann morgen mal auf die Seite nehmen und ihr erklären, dass Barry nicht gerade dem platonischen Ideal eines christlichen Mannes entspreche.
Gegen Ende des Abends sagte Edwin mit einem leisen Lächeln um die Mundwinkel: »Und, Gerald, was hast du sonst noch getrieben außer deinem unschätzbar wertvollen Dienst unter einsamen Musikern?«
»Ach, ich bin immer noch dabei, mich in die Gemeinde hineinzufinden«, sagte Gerald. »Inzwischen ist es gar nicht so übel, aber als ich ankam, musste ich mich erst mal mit dem einen oder anderen herumschlagen, der mir immerzu sagte, wie wunderbar doch mein Vorgänger gewesen sei und dass sie so jemanden sicherlich nie wieder finden würden. Freilich betonten diese Verehrer des vorigen Vikars stets, ich sei ihnen trotzdem sehr willkommen, auch wenn ich nur ein jämmerlich minderwertiger Ersatz sei. Weißt du, der Typ vor mir scheint so eine Art Kreuzung zwischen Billy Graham und Popeye gewesen zu sein – mit einem Schuss Cary Grant dabei, wenn man die älteren Damen in der Gemeinde so hört. Ich war anfangs richtig eingeschüchtert.«
»Aber jetzt kommst du gut zurecht, nicht wahr?«, fragte Anne.
»Na ja, ich habe einige Zeit im Gebet verbracht«, erwiderte Gerald, »und Gott hat mir eine Eingebung geschenkt – eine Möglichkeit, in der Gemeinde den Durchbruch zu schaffen.«
Barry nickte beifällig. Jetzt sprach Gerald seine Sprache.
»Und in welcher Form wurde die Antwort auf Ihr Gebet offenbar?«, erkundigte er sich.
»Ach«, sagte Gerald, »das war eigentlich sehr interessant. Sie kam in Form von – wie wär’s, wollen Sie nicht mal raten? Kommen Sie – raten Sie mal!«
»Ich stelle mir vor«, versuchte es Barry, »dass der Herr Ihr Augenmerk auf ein inspiriertes Wort der Schrift lenkte, mit dem Sie die Herzen und Gedanken der Anwesenden erreichen und sie davon überzeugen konnten, dass ein neuer Morgen am Horizont ihrer geistlichen Wahrnehmung im Anbruch war.«
»Nun ja, das hört sich sehr beeindruckend an«, sagte Gerald, »aber eigentlich waren es bloß Kräppel.«
»Oh, lecker!«, rief Angels.
»Ja, ich habe eine Riesenladung gefüllte Kräppel gekauft und sie nach dem Gottesdienst am Sonntag mit den Getränken verteilt. Das hat offenbar gewirkt.«
Edwin lehnte sich lachend in seinem Sessel zurück und klatschte in die Hände.
»Welch ein Vorrecht ist es für uns«, schmunzelte er, »einem Gott dienen zu dürfen, der Gebete mit Kräppeln beantwortet. Finden Sie nicht auch, Barry?«
»Äh, ja«, sagte Barry mit zweifelnd gerunzelter Stirn, »ja, das ist es wohl.«
»Eigentlich«, sagte Gerald, »hatte ich bloß einen einzigen Kräppel, aber den habe ich gesegnet und er schien für alle zu reichen. War natürlich billiger so.«
»Das war ein Scherz, Barry«, sagte Anne.
»Ach so, verstehe«, erwiderte Barry.
Hoffe sehr, dass Barry am Ende dieser Woche nicht den Eindruck hat, sein Geld zum Fenster hinausgeschmissen zu haben.
Wir werden sehen.
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