Die rastlosen Reisen des frommen Chaoten. Adrian Plass

Die rastlosen Reisen des frommen Chaoten - Adrian Plass


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seinen Ersparnissen und sagt, er habe eine große Entscheidung zu treffen. Anne und ich ertappen uns ständig dabei, dass wir nervös hinter ihm herschleichen, als ob er jeden Augenblick explodieren könnte. Ständig macht er lange Spaziergänge oder arbeitet stundenlang an seinem Computer oder sitzt einfach still in seinem Zimmer.

      Er sagt, er würde gerne mitkommen, wenn ich losziehe, um meine Ansprachen zu halten. Gutes Zeichen – oder?

      Sicher.

      Habe heute frei genommen, um einige wichtige Vorbereitungen zu treffen.

      Kam spät herunter und stellte fest, dass Gerald bereits zu einem seiner Marathon-Spaziergänge aufgebrochen war. Fand einen Umschlag auf dem Küchentisch, der schlicht an »666« adressiert war. Finde ich überhaupt nicht amüsant. Drinnen waren vier beschriebene Blätter. Das erste las sich folgendermaßen:

      Lieber Spielball Satans,

      habe über das nachgedacht, was du gestern gesagt hast, und bin zu dem Schluss gekommen, dass du dir keine Sorgen zu machen brauchst, solange du nicht tatsächlich anfängst, dich für jemanden zu halten, auf dessen Mitarbeit zu verzichten Gott sich gar nicht leisten könnte. Er hat schon immer Idioten gebraucht – tut mir leid, ich meine damit nicht, dass du ein Idiot bist. – Du weißt schon, wie ich das meine. Was ich sagen will, ist: Es gibt keine besonderen Leute, nur gewöhnliche. Wenn er meint, dass du ihm von Nutzen sein kannst, dann ist das sein Problem, nicht deines. Ich dachte mir, dich interessiert vielleicht der beigelegte Abschnitt aus der Bibel, den ich ein wenig umgeschrieben habe. Ich glaube eigentlich nicht, dass es damals anders war. Gewöhnliche Leute – etwas anderes gibt es nicht.

      Alles Liebe,

      der Sohn des Tieres.

      Machte mir einen Kaffee, setzte mich an den Küchentisch und faltete die drei Blätter auseinander, die mit dem Brief im Umschlag gewesen waren. Habe Geralds »umgeschriebenen Bibelabschnitt« hier abgeschrieben. Was wohl Gott davon hält? Ich habe so ein komisches Gefühl, als ob er für Gerald die Regeln ein bisschen großzügiger auslegt …

      »Nach diesem aber bestellte der Herr auch siebzig andere und sandte sie zu je zwei vor seinem Angesicht her in jede Stadt und jeden Ort, wohin er selbst kommen wollte. Er sprach aber zu ihnen: ›Die Ernte zwar ist groß, der Arbeiter aber sind wenige. Bittet nun den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter aussende in seine Ernte. Gehet hin! Siehe, ich sende euch wie Lämmer mitten unter die Wölfe. Traget weder Börse noch Tasche noch Sandalen, und grüßet niemand auf dem Weg.‹

      Und siehe, einer von den siebzig erhebt seine Hand und fraget: ›Wenn du ›Sandalen‹ sagst, Herr, sollen wir das als allgemeinen Oberbegriff für alle Arten von Fußbekleidung verstehen, oder geht es dir insbesondere um Sandalen. Ich frage nur, sintemal ich ein außerordentlich schönes Paar Wanderschuhe besitze, ideal für Leute, die umherwandern, wie du es uns wahrlich befiehlst.‹

      Bevor der Herr antworten konnte, fällt ihm ein anderer ins Wort und spricht: ›Herr, ich habe deine Worte vernommen, aber siehe, die Haut unter meinen Füßen und auch unter den Füßen meines Freundes Fidybus – dessen, der mit mir zusammen eine Zweiergruppe bildet, sintemal wir über längere Zeit gut miteinander auskommen und das schon immer so war, seit wir als Knaben zusammen spielten … äh, mir entfällt, was ich sagen wollte …‹

      Jesus spricht müde: ›Etwas über die Haut unter deinen Füßen und denen deines Freundes Fidybus?‹

      ›Ah, wahrlich, ja, jetzt kommt es mir wieder. Die Haut unter meinen Füßen ist ebenso wie die unter den Füßen meines Freundes Fidybus, denn sie wird auf steinigem Boden bald wund und empfindlich. Und uns kommt der Gedanke, dass der Anblick zweier Männer, die einander stützen und langsam und unter Schmerzen einherhumpeln und ›Uh!‹ und ›Ah!‹ und ›Au!‹ machen, wann immer einer von ihnen einen Fuß auf die Erde setzt, diejenigen in den Städten und Orten, in die du uns sendest, zum Spott veranlassen könnte, wenn wir die Botschaft verkündigen, dass der Sohn Gottes naht. ›Wie müssen erst seine Füße aussehen, wenn er noch nicht einmal mit diesen beiden Clowns Schritt halten kann!‹ werden sie höhnen. Dürfen wir daher, Meister, um deinen Segen für den Einfall bitten, Lumpen um jeden meiner Füße und jeden der Füße meines Freundes Fidybus zu wickeln? Schließlich fallen Lumpen keineswegs unter die Wörterbuchdefinition von Sandalen, stimmst du uns nicht zu?‹

      Und siehe, ein wahrliches Babel fußbekleidungsbezogener Anfragen erfüllt die Luft, und Jesus erhebt seine Hand und spricht: ›Moment mal! Lasst mich die Sache klarer ausdrücken. Keine Sandalen bedeutet nichts an den Füßen, ja? Nichts! Weder Wanderstiefel noch Lumpen noch Tennisschuhe noch Skateboards noch irgendetwas, das ich im weitesten Sinne des Wortes als Sandale auslegen könnte. Habt ihr das alle verstanden? Gut. Und nun, macht euch auf zu je zwei, und – ‹

      ›Äh, entschuldige, Herr.‹

      ›Ja, Thomas?‹

      ›Wegen deines Befehls, dass wir zu je zwei gehen sollen.‹

      ›Ja?‹

      ›Äh, niemand will mit Thribbiel gehen.‹

      Und der Herr fragt: ›Nun, und warum will niemand mit Thribbiel gehen? Er sieht doch ganz verträglich aus.‹

      ›Er ist ein bisschen merkwürdig, Herr.‹

      ›Nun, wir sind alle ein bisschen merkwürdig, oder nicht? Wie auch immer, ich organisiere es immer so, dass wir eine gerade Anzahl ergeben. Mit wem gehst du, Thomas?‹

      Thomas erwidert traurig: ›Mit mir will auch niemand gehen, Herr. Schon in der Grundschule hat mich nie jemand ausgewählt.‹

      ›Nun, könnte es nicht sein, dass Thribbiel mit dir gehen will?‹

      ›Ich bezweifle es.‹

      ›Nun, dann fragen wir ihn doch einfach, was meinst du? Thribbiel, möchtest du Thomas begleiten?‹

      ›Ja, Herr, aber könntest du ihn bitten, dass er sich ein bisschen weniger negativ benimmt? Er kann einen so richtig ›runterziehen‹.‹

      ›Thomas, kannst du das tun?‹

      ›Ich bezweifle es, aber wahrlich, ich werde es versuchen.‹

      ›Gut‹, spricht der Herr, ›und nun können wir vielleicht endlich weitermachen. Macht euch auf zu je zwei, und – ‹

      ›Befiehl Thribbiel, dass er nicht so viele Witze macht, Herr. Es liegt wenig Sinn darin, dass ich positiver bin, wenn er nicht einmal versucht – ‹

      ›Macht das unter euch aus!‹ spricht der Herr. ›Wahrlich, diese ganze Angelegenheit wirkt eher wie ein Kindergartenpicknick denn wie ein Auftrag, das Reich Gottes zu errichten.‹ Er hält inne, um sich zu sammeln. ›Also, ich wiederhole meinen Befehl, dass ihr euch zu je zwei aufmacht, weder Beutel noch Tasche noch Sandalen tragt und unterwegs niemanden grüßt. Und jetzt geht!‹

      Doch sofort erhebt einer der Siebzig seine Hand, um den Herrn zu fragen, ob er ein kleines rosa Handtuch mitnehmen dürfe, und sofort fangen alle wieder von vorne an. Einer erkundigt sich bezüglich seines Kulturbeutels, der genau in eine kleine Tasche passt, die ihm seine Mutter extra in sein Gewand genäht hat, ein anderer fleht, ihm möge ein kleines Stofftier gestattet sein, ohne welches er sich nachts nicht sicher fühlt, und wieder ein anderer wünscht für den Fall, dass er den Herrn selbst unterwegs trifft, zu wissen, ob der Befehl, niemanden zu grüßen, auch für diesen Fall gilt, bis sich, siehe, ein großer Lärm törichter Fragen erhebt.

      Da ruft der Herr laut nach Ruhe und spricht: ›Hört mal, ich glaube, wir haben den Sinn dieser Reise noch nicht ganz begriffen, nicht wahr? Es geht nicht darum, dass ihr alle möglichen Sachen in euer Gepäck schmuggelt und euch darauf herausredet, dass Stofftiere nicht durch die Duden-Definition von Sandalen abgedeckt sind, sondern darum, dass ihr von mir abhängig seid! Versteht ihr das? Kein Beutel, keine Tasche, keine Sandalen, kein Teddybär, keine Visakarte – geht einfach!‹ Darauf senkt sich ein langes Schweigen herab, und gerade als Jesus schon glaubt, sie seien jetzt tatsächlich zum Aufbruch


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