Die rastlosen Reisen des frommen Chaoten. Adrian Plass

Die rastlosen Reisen des frommen Chaoten - Adrian Plass


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…«, lachte leichthin, als wollte ich es nicht zu sehr aufbauschen, »so würde ich das nicht ausdrücken.«

      »Sie würden es nicht so ausdrücken! Aber ich bin ganz sicher, dass es wahr ist!«

      »Oh nein …«

      »Sie meinen also, Sie könnten uns am dreizehnten noch hineinquetschen? Unsere Gemeinde wäre sehr begeistert, wenn das möglich wäre.«

      »Ja, ich glaube, da kann ich Ihnen helfen, äh, Vladimir. Ich trage es mir gleich in den Kalender ein. Es handelt sich vermutlich um den Vormittagsgottesdienst, nicht wahr?«

      »Genau!«, sagte Pastor Spool, der alles, was ich sagte, erstaunlich intelligent zu finden schien. »Der Vormittagsgottesdienst, völlig richtig – ganz genau! Ich bin Ihnen wirklich äußerst dankbar, und Sie müssen uns Ihr normales Honorar für einen solchen Anlass wissen lassen. Darauf muss ich bestehen.«

      »Oh, das ist überhaupt kein Problem. Übrigens, Vladimir, ich frage mich – Ihr Vorname klingt irgendwie, äh …«

      »Tja nun, ja, nein, wissen Sie, ja, Sie haben völlig recht, das ist wirklich ein ungewöhnlicher Vorname für einen britischen, anglikanischen Geistlichen, aber die schlichte Wahrheit ist die, dass meine arme, liebe Mutter als junges, leicht zu beeindruckendes Mädchen mit einem Wodkalieferanten durchging, und das Ergebnis, ob Sie es glauben oder nicht, war ich.«

      »Oh.«

      »Nun, nochmals herzlichen Dank.«

      »Keine Ursache. Dann sehen wir uns also am dreizehnten März um – zehn Uhr?«

      »Zehn Uhr, Volltreffer! Bis dann, und nochmals vielen Dank, dass Sie bereit sind, unsere Kinderandacht zu übernehmen. Auf Wiedersehen.«

      Hatte schon aufgelegt, als Spools letzte Worte bei mir einrasteten.

      Eine Kinderandacht?

      Ach was, wenn ich durch die ganze Welt reisen und Vorträge halten kann, dann werde ich doch mit ein paar Kindern keine Schwierigkeiten haben, oder?

      (VOR DEM ABENDESSEN)

      Verbrachte heute auf der Arbeit viel Zeit damit, über meinen Dienst im Allgemeinen und unsere Auslandsreise im Besonderen nachzudenken. Würde gern den Leuten mit der Gabe der Heilung dienen. Es muss wunderbar sein, einen echten Heilungsdienst zu tun. Natürlich will ich mich nicht beklagen über das, was ich tue. Nur – nun ja, es muss einfach wunderbar sein.

      Verstrickte mich völlig in eine meiner besonders angenehmen Lieblingsfantasien. Es ist ein wunderbarer Tagtraum.

       In einen eleganten Anzug gekleidet, gehe ich langsam durch den Mittelgang eines riesigen, brechend vollen Saales, während hinter mir auf der Bühne eine Band leise spielt. Sehnsüchtige, flehende Augen versuchen meinen Blick aufzufangen, während ich vorbeigehe. Arme strecken sich mir beschwörend entgegen, in der verzweifelten Hoffnung, dass vielleicht schon die Berührung meines Jacketts an den Fingern des Leidenden Heilung bringen könnte. Schließlich stehe ich vor einem kleinen Mädchen im Rollstuhl. Sie zwingt ein Lächeln auf ihr gebrochenes, hübsches kleines Gesicht, als sie die Aura geistlicher Vollmacht spürt, die mich umgibt. Meine Augen füllen sich mit Tränen des Mitgefühls, als ich meine Hand auf die dünne, verkümmerte Schulter dieses kleinen Opfers des Sündenfalls legte. »Was möchtest du von mir?«, frage ich mit tiefer, kosmisch widerhallender Stimme (etwa wie die in der Bierreklame). »Ich möchte laufen können«, flüstert sie.

      »Und das sollst du auch«, antworte ich. »Und das sollst du auch. Im Namen Jesu – sei geheilt!« Langsam, dramatisch stemmt sie sich empor auf die Beine; in ihren schmerzerfüllten Augen leuchtet eine neue, strahlende Hoffnung auf, und dann plötzlich rennt sie los, rennt und rennt den ganzen Mittelgang entlang und hinauf auf die Bühne. Auf die ersten erstaunten Ausrufe folgt lauter, anhaltender Applaus, als ich ihr ins Scheinwerferlicht folge, nur um mich mit einem Gesichtsausdruck, in dem sich Erschöpfung, Freude und Schmerz mischen, bescheiden abzuwenden, der Dunkelheit der Seitenkulissen entgegen. Denn niemand errät die ungeheure persönliche Anstrengung –

      »Hast du mal ein Taschentuch?«

      Manchmal hasse ich das wirkliche Leben. Stellen Sie sich vor, aus einem riesigen Saal voller anhimmelnder, mit tragischen Nöten beladener Menschen und einem kranken Kind in einem Rollstuhl zurückkehren zu müssen – zu Everett Glander mit seiner Erkältung. Besonders, zumal ich nur noch ein Taschentuch hatte und mir damit gerade die Tränen abtrocknen wollte, nachdem mich der Gedanke an meinen großartigen Heilungsdienst zutiefst bewegt hatte. War wirklich ärgerlich, mein letztes Papiertaschentuch an jemanden abgeben zu müssen, der sich so hartnäckig weigert, sich zu bekehren. Glander ist zwar zu ein paar Gemeindeveranstaltungen mitgekommen, seit er vor ein paar Jahren auf unserer Party Frank Braddock kennen gelernt hat, aber bei ihm scheint nichts so recht zu wirken. Wenn ich nicht wüsste, dass Gott vollkommen ist, würde ich sagen, dass er bei Glander ein paar vorzügliche Gelegenheiten verpasst hat. Frage mich, ob er wohl anders wäre, wenn er erlöst wäre. Hoffentlich. Im Moment beweist er großes Talent darin, genau das zu sagen, was man im Moment partout nicht hören will. Das tat er auch heute, nachdem ich ihm mein letztes Taschentuch gegeben hatte.

      »Warum bittest du nicht Gott, meine Erkältung wegzunehmen – oder steht mir das aus irgendeinem Grund nicht zu? Oder hat etwa er auch noch kein Mittel gegen die gewöhnliche Erkältung gefunden? Oder ist es – «

      »Everett, wenn Gott deine Erkältung heilen wollte, könnte er es einfach so tun.«

      Schnippte mit den Fingern und wandte mich mit einer Geste, die »Ende des Gesprächs« signalisierte, wieder meiner Arbeit zu.

      »Nun, warum sollte Gott denn meine Erkältung nicht heilen wollen, alter Junge?«

      Sah ihn an. Weil, dachte ich im Stillen, er dich wahrscheinlich ebenso unangenehm und widerlich findet wie ich und ein Wunder dich endlich dazu veranlassen könnte, jeden Sonntag in die Gemeinde zu kommen, und dann müsste ich dich sechs Tage in der Woche ertragen anstatt nur fünf. Falls es uns nicht gelingt, natürlich, eine kleine Denomination extra für Leute wie dich zu gründen, genannt die Siebenten-Tags-Everett-Glanderiten, bei denen die Gemeindeglieder während des Gottesdienstes ihre Klagen erheben anstatt ihre Arme.

      Laut sagte ich: »Weil sein Wille souverän ist und er allwissend ist. Wahrscheinlich ist es für dich besser, eine Erkältung zu haben, als keine Erkältung zu haben, auch wenn es für uns schwer zu verstehen ist.«

      Glander sagte: »Warum ist deine Stimme auf einmal so hoch, Adrian? Stimmt etwas nicht mit deinem Hals?«

      Murmelte tonlos: »Gleich wird etwas mit deinem nicht stimmen, wenn ich ihn zu fassen kriege.«

      »Also, was du meinst«, nervte Glander mich weiter, »ist das gute alte ›Leben-im-Mysterium‹-Syndrom, richtig?«

      »Nun, ganz so würde ich es nicht ausdrücken, aber …«

      »Also schön, mein Alter, dann nenne mir doch mal ein Beispiel für einen möglichen Grund, warum es für mich besser sein könnte, weiterhin eine Erkältung zu haben, als geheilt zu werden. Einer reicht schon.«

      Er lehnte sich zurück, kaute auf seinem Bleistift und grinste, dass es mich zum Schäumen brachte. Zermarterte mir das Gehirn nach irgendeiner überzeugenden Antwort. Versuchte so auszusehen, als ob ich in aller Ruhe eine von vielen möglichen Antworten auswählte, die mir vor Augen standen.

      Ich sagte: »Nun, äh, zum Beispiel könntest du vielleicht heute abend auf dem Heimweg die Straße entlanggehen …«

      »Ich steige immer direkt vor der Tür in den Bus, alter Junge.«

      »Na gut, dann steigst du eben heute Abend in den Bus und setzt dich zufällig neben einen internationalen Experten in der medizinischen Forschung, der …«

      »Davon dürfte es auf dem Oberdeck der Linie 39 Richtung Grey Prospect Road nicht allzu viele geben, meiner bescheidenen Ansicht nach.«

      Knirschte


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