Vogelgrippe. Tino Hemmann

Vogelgrippe - Tino Hemmann


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mit der linken Hand den Boden ab, kroch wie wild über den Beton. Endlich fand er einen harten Kanten Brot, nicht sonderlich groß und daneben ein Plastikflasche. Der Junge nahm beides, kroch zu dem Bett, zog sich hinauf und begann an dem Brot zu knabbern. Es schmeckte alt und scheußlich. – Egal! Nur essen! Kevin erfühlte, dass die Flasche einen Schraubverschluss hatte, wahrscheinlich eine große Colaflasche war. Das Wasser roch alt und abgestanden. Außerdem gab es einen bitteren, medizinischen Beigeschmack. Trotzdem trank er hastig und mit großen Zügen. Kevin klaubte die letzten Brotkrümel vom Bett und ließ sie im Mund verschwinden. Er stellte die Flasche ans Kopfende auf den Boden und legte sich hin, immer darauf bedacht, dass nichts von ihm unter der Decke hervorschaute.

      Kevin Franke zitterte. Seine Gedanken durchdrangen die Wände. War draußen Tag oder Nacht? Warum hielt man ihn hier gefangen? Suchte jemand nach ihm? Wer war die hässlich dicke Frau? Warum tat ihm alles so weh? Das Gehirn des Jungen arbeitete, ohne Antworten zu erhalten. Immer wieder ließ ihm ein stechender Schmerz im rechten Unterarm die Tränen in die Augen schießen.

      Kevin glaubte, die Umrisse der hinaufführenden Treppe in der Dunkelheit zu erkennen.

      Wieder wurde ihm schlecht und schwindlig. Schwerfällig waren seine Bewegungen, bis Kevin erneut in eine Ohnmacht fiel.

      Kevin und Matti trugen Badehosen. Es war unglaublich schwül.

      »Wenn ihr Gewitterwolken seht«, sagte Mattis Mutter, »dann kommt ihr so schnell es nur geht nach Hause!«

      »Ja, Mutti«, antwortete Matti.

      Und Kevin grinste. »Klar, Frau Semmer. Oder wir verstecken uns unter einer riesengroßen Eiche, damit wir nicht nass werden, wenn wir aus dem Wasser kommen.«

      Mattis Mutter zog Kevin zum Spaß am Ohr. »Du bist ein richtiger Frechdachs, Kevin.«

      Sie rannten bis zum See, in der Erwartung des kühlen Wassers. Kevin trug den Lederfußball, mit dem sie am Strand Fußball spielen wollten. Auf dem Feldweg, der zu jenem unbekannten Strand führte, an dem selten Fremde zu sehen waren, stand ein Auto.

      »Mist, es ist schon jemand hier«, raunte Matti und schlich um den Kombi. »Hoffentlich sind das nicht die blöden Typen aus Stadtklaven. Dann gibt es wieder sinnlos Zoff.«

      »Nee, Matti. Die wären nicht mit dem Auto da.«

      Die Jungen liefen zum Wasser. Plötzlich erschraken sie. Ein Mann kam ihnen entgegen. Sein bis zum Bauch geöffnetes Hemd war voller Schweiß. Er trug einen Spaten.

      »Tach«, sagten die Kinder, weil sich im Dorf schließlich alle grüßten.

      Der Mann sprach kein Wort. Er blieb für einen Moment stehen, beobachtete die Kinder und stützte sich auf den Spatenstiel.

      Eilig liefen die Jungen an ihm vorbei. Kurz darauf hörten sie den Motor des Autos aufheulen. Umständlich wendete der Kombi auf dem Feldweg und brauste davon, sodass eine große Staubwolke über den See schwebte.

      »Was war das denn für ein Typ?«, fragte Matti und tauchte einen Fuß in das klare Wasser. »Man, ist das kalt.«

      »Vielleicht ein Angler der Regenwürmer ausgegraben hat?« Kevin warf den Ball ins Wasser.

      »Ohne Eimer und ohne Angel?« Matti tippte mit seinem Finger gegen die Stirn. Dann rannte er in den See, dass das Wasser aufspritzte. »Wer zuerst den Ball hat!« Kevin stürzte hinterher.

      »Bist du fertig, Holger?« Maria Hinrich steckte sich zwei Klemmen in die Haare und betrachtete sich erneut im Spiegel.

      »Seit einer Stunde etwa, mein Schatz. Können wir jetzt frühstücken? Hab ich einen Kohldampf …«

      Eine Woche Urlaub gönnte sich der Kriminaloberkommissar mit seiner Frau. Bereits zum achten Mal war das Leipziger Pärchen im »Seeblick« abgestiegen. Hier, in der mecklenburgischen Prärie, wie Hinrich sich gern ausdrückte, fand er zu sich selbst zurück. Der überschaubar eingerichtete Gasthof besaß das Flair längst vergangener DDR-Tage, Hinrich schien sich sicher, dass man in den letzten zwanzig Jahren an der Einrichtung nichts geändert hatte. Am Tag unternahm der Neunundfünfzigjährige ausgedehnte Spaziergänge durch die Nadelwälder, über Felder und entlang der Seen.

      »Schönheit muss gepflegt werden«, brummte die Frau und griff nach der Hand ihres Mannes.

      Der gab ihr einen Kuss auf die Lippen. »Für mich wirst du immer die schönste sein. Auch ohne Haarklemmen und Puder.« Hinrich schloss das Zimmer ab, gemeinsam gingen sie die Treppe hinunter ins Gasthaus.

      »Guten Morgen. – Was ist denn heut hier los? Da ist doch was passiert, oder?« Erstaunt beobachtete Hinrich, dass der Raum bis auf den letzten Platz gefüllt war. Der Kommissar erkannte wenigstens zehn Polizeiuniformen.

      Sogleich ging er zu Ulla Kern, der Eigentümerin und Wirtin des Gasthauses »Seeblick«.

      Die wirkte sichtlich nervös. »Nein, nein. Kleinen Moment, Herr Hinrich … – Stört es Sie, wenn andere mit am Tisch sitzen?«

      Hinrich nahm die Frau zur Seite. »Ganz ruhig, liebe Frau Kern. Das stört uns nicht. Außerdem will ich wissen, was passiert ist. Hier sind mehr Leute, als das Dorf Einwohner hat.«

      Die Kern, über deren Lippe sich ein flauschiger Damenbart gebildet hatte, flüsterte geheimnisvoll: »Kevin, der große Junge von den Frankes, der ist verschwunden. Na, die haben ja noch vier Kinder, aber …«

      »Warten Sie mal, Frau Kern. – Das ist der Junge mit den blonden Locken, oder? So groß ist der aber auch noch nicht. – Verschwunden meinen Sie? Einfach so? Seit wann denn?«

      »Seit gestern Morgen. Hat wohl mit dem kleinen Matti bei Semmers im Garten gezeltet. Und am Morgen war er weg.« Gewohnheitsgemäß holte Hinrich einen kleinen Zettelblock und den Bleistift aus der Hosentasche und machte sich kurze Notizen.

      Währenddessen hatte die Wirtin zwei weitere Stühle an einen Tisch gestellt. »Rückt mal zusammen!«

      Hinrich beugte sich zum Ohr seiner Frau. »Erzähl keinem, was ich bin. Verstanden?«

      »Das beschäftigt dich … Wir sind im Urlaub, Holger.« Ein leichter Vorwurf klang in der Frauenstimme mit.

      »Lass mich mal machen, Mäuschen. Ich hör mich nur so um.«

      Beide setzten sich an den Tisch, an dem bereits zwei junge Männer ihren Kaffee tranken.

      »Morgen«, meinte Hinrich laut.

      »Morgen«, murmelten die beiden Beamten.

      Während Hinrich sein Brötchen schmierte und mit Salamischeiben belegte, blickte er auf einen der beiden Männer, der recht jung wirkte. »Sie gehören wohl zum Einsatzteam? Wie viele Leute sind denn im Einsatz?«

      »Fünfundzwanzig. – Stört Sie das Rauchen?«

      »Nee, nee, rauchen Sie ruhig weiter. – Polizeidirektion Schwerin? – Und, gibt’s schon eine heiße Spur? Wie heißen Sie denn?«

      »Sorry, ich vergaß, mein Name ist Martin Wallner. Und mein Kollege hier, das ist der Anwärter Michael Sörbig. – Nein, keine heiße Spur. Nicht die kleinste.«

      »Angenehm, Hinrich. – Und das ist meine Ehefrau. Wir machen ein paar Tage Urlaub hier. Und nun diese Aufregung. Man hört ja oft, dass Kinder von zu Hause weglaufen …«

      »Weglaufen?« Sörbig, der selbst noch kindlich wirkte, blickte auf. Er holte ein Bild aus der Jackentasche und legte es Hinrich neben die Kaffeetasse. »Das ist Kevin Franke, der Junge, der gesucht wird. Sieht der wie weglaufen aus?«

      Hinrich nahm den Abzug zur Hand. Der blonde Junge lächelte ihn an. »Nicht direkt. – Ich kenne ihn. Wir haben ihn mal nach dem Weg gefragt. Das war unten am See. Kevin hat uns zum Fußballspielen aufgefordert. Fünf Minuten habe ich durchgehalten. Er war da mit seinem Freund, einem Jungen mit kurzen, dunklen Haaren. – Kann ich das Bild behalten? Nur für den Fall, dass …«

      »Aber sicher. – Sein Freund


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