Die Brücke, die ihr Gewicht in Gold wert war. Wolfgang Teltscher

Die Brücke, die ihr Gewicht in Gold wert war - Wolfgang Teltscher


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in Niederzissen bringen.

      Im Schlafzimmer herrschte ein muffiger Geruch, damit unterschied es sich nur wenig von den anderen Räumen des Hauses. Die Matratzen waren feucht und wiesen unübersehbar Flecken von Schimmel auf, in einer Ecke lagen noch alte Bettlaken, in denen Generationen von Motten Hochzeit gefeiert und ihre Jungen großgezogen hatten. An den Wänden befanden sich Wasserflecken, die Nässe hatte über die Zeit ihren Weg durch das Dach und die Mauern gefunden. Überall Dreck. Egal, was er anfasste oder wohin er sich bewegte, alles verursachte unerträgliche Staubwolken.

      Olaf wollte schnell wieder aus dem Haus, hier hielt ihn nichts, keine schönen Erinnerungen an Kindertage, vor allem nicht an liebevolle Eltern. Nur den Papierkram, den er in einer Schublade in dem Wrack des Küchenschranks findet, blätterte er schnell durch, um sicherzugehen, dass auch hier nichts Wertvolles darunter war. Das konnte er sich ohnehin bei bestem Willen nicht vorstellen. Alte Bücher, vergilbte Postkarten von vergessenen Ferien, Briefe aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts von Absendern, die ihm nichts bedeuteten, dazu jede Menge belanglose Zettel. Weg damit. Offizielle Dokumente wie zum Beispiel den Entlassungsschein des Großvaters aus der Kriegsgefangenschaft oder die Geburtsurkunde von seinem Vater aus dem Jahr 1946 wollte er lieber aufheben, man wusste ja nie, wofür.

      Als er die gefalteten Urkunden zur Seite legen wollte, fiel ein loses Blatt heraus. Das Material des Papiers war grob und grau, wie Papier nach dem Krieg wohl gewesen war. An den Rändern hatte es kleine Einrisse. Es handelte sich um ein Schriftstück in altmodischer, verwaschener und verwackelter Schrift, als sei es dem Autor nur mit Mühe gelungen, den Text zu verfassen. Die Worte waren schwer lesbar. Am oberen Rand des Blattes konnte Olaf die Worte Wichtige Notiz entziffern, die im Gegensatz zum Rest des Textes in säuberlicher Druckschrift geschrieben waren.

      Er fragte sich, ob es die Mühe wert war, das alte Ding zu lesen. Wahrscheinlich ein Schriftstück, das vielleicht vor sechzig Jahren oder mehr wichtig gewesen war, aber heute mit Sicherheit irrelevant und wertlos war. Er wollte es zerknittern, aber dann erwachte doch noch seine Neugier. Er drehte das Papier um und sah, dass es auf beiden Seiten beschrieben war. Er zog es nahe an seine Augen heran und begann zu lesen, mühsam und langsam, Zeile für Zeile. Nachdem er damit fertig war, ging sein Atem schwer. Er las es noch einmal, Wort für Wort, mit ungläubigem Staunen.

      Das mehrstöckige Gebäude vor dem Olaf stand, wirkte kalt und bedrohlich.

      Er konnte kaum glauben, was der Großvater geschrieben hatte. Wenn es stimmte, was er gelesen hatte, würde sich sein Leben schlagartig ändern. Heute würde es sich entscheiden, ob er für den Rest seines Lebens ein reicher Mann sein würde. Es sei denn, er war einer Lügengeschichte aufgesessen. Er hatte den Großvater nie kennengelernt, aber er erinnerte sich, dass seine Eltern, als sie noch miteinander sprachen, sich manchmal über sein tragisches Ende unterhalten hatten. Der Großvater soll in den letzten Wochen vor seinem Tod nicht mehr ganz bei Sinnen gewesen sein. Die Großmutter, die er als Kind noch gekannt und geliebt hatte, hatte erwähnt, dass ihr Engelbert manchmal wirres Zeug geredet hatte, nachdem er aus dem Krieg und der Gefangenschaft zurückgekommen war. Er habe Dinge behauptet, die man einfach nicht ernst nehmen konnte. Vielleicht gehörte das, was in dieser Notiz stand, dazu. Als er wegen der verschleppten Lungenentzündung gestorben war, hatte man wahrscheinlich alles, was er in seinen letzten Tagen oder Wochen von sich gegeben hatte, den Wahnvorstellungen eines Sterbenden zugeschrieben.

      Warum hatte er diese Notiz geschrieben? War es seine Absicht gewesen, dass sie von seinem Sohn gefunden wurde? Dass erst sein Enkel sie finden würde, hatte er sich wohl kaum vorstellen können.

      Es schien, Olafs Vater hatte sich nie die Mühe gemacht, die alten Unterlagen seines Vaters zu durchsuchen, und so hatte die Notiz zwischen den anderen Papieren über all die Jahre unentdeckt und ungelesen vor sich hingedöst.

      Es war windig, aber er spürte den Wind kaum. Die Wolken ließen nur gelegentlich das Licht des Mondes auf die Erde fallen. Olaf war aufgeregt, er wusste nicht, ob seine Hoffnungen oder seine Zweifel überwogen. Er machte sich keine Sorge, entdeckt zu werden. Niemand konnte wissen, dass er hier war. Seine Zweifel an der Notiz ließen ihn aber auch jetzt nicht los, jetzt, wo er wahrscheinlich kurz davor stand, sein altes Leben hinter sich zu lassen. Seine Gedanken drehten sich im Kreis, fingen immer wieder von vorne an. Konnte es wirklich wahr sein, was sein Großvater geschrieben hatte? Oder waren es nur die Hirngespinste eines Mannes, der viel gelitten hatte und darüber zum Spinner geworden war? Ein alter Mann, der Dinge für real hielt, die in Wirklichkeit nie geschehen waren?

      Nein, Olaf korrigierte sich, der Großvater war er kein alter Mann, als er nach Krieg und Gefangenschaft nach Hause kam. Er musste gewusst haben, was er tat, auch wenn die Gefangenschaft in dem Lager auf den Wiesen am Rhein ihm sicherlich schwer zugesetzt hatte. Dieses Lager musste für die Insassen die Hölle auf Erden gewesen sein. Eigentlich waren es nur Löcher im Schlamm mit losen Planen darüber gewesen. Es sollte ein kalter Winter und Frühling gewesen sein. Die Alliierten wussten offensichtlich nicht, wo sie mit den Tausenden von Kriegsgefangenen hin sollten, die ihnen bei der Kapitulation der Deutschen Wehrmacht in die Hände gefallen waren. Dieses Chaos, ein Zusammentreffen von Hunger und Frieren und damit großem Leiden für die gefangenen Männer war wahrscheinlich keine böse Absicht der Sieger gewesen, aber für die Betroffenen eine Katastrophe. Die Fotos, die Olaf von den Zuständen in dem Lager gesehen hatte, hatten das deutlich gezeigt. Viele Männer waren dort gestorben, wie viele genau, konnte niemand mit Sicherheit sagen, die Historiker stritten darüber.

      Das graue Gebäude wirkte wie eine verlassene Festung, die in die Nacht ragte. Olaf kannte dieses alte Haus mit den vielen Fenstern, aus denen kein Licht mehr auf die Erde fiel. Es war lange eins der größeren Gebäude in der Stadt gewesen, auf einem Abhang nicht weit unterhalb der Apollinaris Kirche. Es war früher, bevor er geboren wurde, eine Schule gewesen, die einem Orden gehörte, der darin seinen Nachwuchs großgezogen hatte. Das war vor der Nazi-Zeit gewesen. Von den Nazis war es als Heim für Mädchen und Unterkunft für Fremdarbeiter genutzt worden. Es sollten Sachen darin geschehen sein, über die man damals in der Stadt wohl nicht sprach und es immer noch nicht tat.

      Nach dem Krieg hatte die Bundeswehr es übernommen, restauriert und ein Institut darin eingerichtet. Zu dieser Zeit war das Gebäude zur Straße und den Nachbargrundstücken sorgfältig vom Rest der Welt abgeschirmt gewesen. Das hatte er selbst als Kind noch miterlebt. Das Institut war vor ein paar Jahren aufgegeben worden, weil es nach der Wiedervereinigung überflüssig geworden war, so hieß es jedenfalls. Olaf hatte den Verdacht, dass es in Wahrheit auch von der Bundeswehr für geheime Zwecke benutzt worden war, die nie in die Öffentlichkeit drangen. Nun stand es leer und rottete vor sich hin. Wenn alles so war, wie er es erhoffte, und er fand, was er suchte, musste er der Bundeswehr dankbar sein, dass sie den Schatz über Jahre bewacht hatte.

      Das Tor, das den Zugang auf das Grundstück früher versperrt hatte, existierte nicht mehr. Links und rechts standen rostige Pfosten, dazwischen gab es nichts, das ihn aufhalten könnte. Olaf ging die Einfahrt hinauf, rechts war eine freie Fläche, auf der in einer Ecke ein altes Auto abgestellt war. Hier schien die Welt zu Ende zu sein. Da war sie, die Felswand, in die nach der Notiz von seinem Großvater ein Stollen oder Tunnel hineinführen sollte.

      Ob dieser Tunnel tatsächlich existierte, konnte er nicht erkennen. Es war dunkel und die Felswand war von Büschen und Kletterpflanzen überwuchert. Wenn es den Tunnel gab, musste er dahinter versteckt sein, es sei denn, der alte Mann hatte sich in seinem kranken Gehirn doch alles nur eingebildet. Der Gedanke, sich vor sich selbst lächerlich gemacht zu haben, ließ Olaf nicht zur Ruhe kommen. Aber nur, weil Opa Engelbert eine Lungenentzündung gehabt hatte, musste das nicht heißen, dass er verrückt oder unzurechnungsfähig gewesen war.

      Olaf leuchtete mit seiner Taschenlampe die Büsche vor sich an, dann ging er mit vorsichtigen Schritten zwischen ihnen durch. Er blieb vor der Felswand stehen. Er tastete die Wand ab. Nichts, nur Felsen. Er machte einige Schritte nach rechts, dann nach links. Noch einen Schritt und noch einen. Seine Hände griffen plötzlich ins Leere. Vor ihm war eine Öffnung, der Eingang in einen Tunnel. Der Schein der Lampe verlor sich im Dunkeln, stieß in der Tiefe des Tunnels an eine Wand. Er ging vorsichtig in den Stollen hinein. Ein Windzug begegnete ihm. Der Tunnel musste am hinteren Ende eine Öffnung ins Freie haben. Langsam ging er weiter. Mit der Taschenlampe


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