Traumdealer am Abstellgleis. Selina Haritz
Der Braune verdrehte die Augen. Er steckte sich umständlich eine Schokoladenzigarette in den Mund – ich folgte seinem Beispiel – und mischte sich kauend in das Gespräch ein:
»Wir sind alle Sklaven unserer Begrenzungen.« Er stand auf und stellte sich in den Schein des Feuers. Seine Hand hielt er wie die Freiheitsstatue nach oben, die Zig war seine Fackel. »Indem wir uns von unseren gesellschaftlichen Fesseln lösen, indem wir uns einen Schritt rückbesinnen auf das, was vorher war …« Gleich würde er den dritten großen Alten zitieren. Ich merkte, wie meine Augen feucht wurden, und wechselte schnell meine Position, um nicht länger im Rauch zu stehen.
»Ach, ihr seid sowas wie Eremiten?«
Panther nutzte die Gelegenheit des zerstörten Moments und hustete wieder Blechdosen, die an einer Bahn entlang über die Schottersteine gezogen wurden.
»Wir sind Misanthropen«, erklärte ich und fand, dass es sich, jetzt wo ich es einem fremden Plüsch erzählte, gar nicht mehr so heroisch anhörte. Unter uns Dreien hatte es immer irgendwie cooler und verwegener geklungen.
»Ihr habt Angst vor anderen Plüschs und versteckt euch deswegen hier?«
Jetzt war es am Braunen, einen Hustenanfall zu bekommen. Ich folge Hases Blick über unsere Absteige und schämte mich dafür. Während der Braune das Wort an sich riss, begann ich, ein paar leere Süßkramtüten wegzuräumen. Ich war mir nicht sicher, ob Panther darüber grinste, oder einfach etwas zwischen den Zähnen klemmen hatte.
»Wir haben die Einsamkeit gewählt«, trug der Braune vor, »um uns unseren Studien über die Plüschheit hingeben zu können. Von hier können wir die Welt und ihre ewig dunkle Seite erforschen.«
»So ein Quatsch, meine Liebe.« Panther fiel uns und insbesondere dem Braunen ins Wort und in den Rücken, während ich versuchte, meine Sammlung schwarzer Schnürsenkel aus linken Schuhen zu sortieren. Wie immer hatten sie sich heillos verknotet.
»Ich bin hier, …« Panthers Stimme wurde leiser, und auch ich lauschte angestrengt. »… weil ich zu alt bin. Alle meine Freunde haben schon das letzte Ticket bekommen. Es war so einsam um mich herum. Da in der Stadt …« Sein anhaltender Husten unterbrach ihn erbarmungslos – so lange, dass ich währenddessen sogar noch die Decken ordentlich zusammenfalten konnte. »Da in der Stadt … weiß du, alles geht so schnell dort. Jeder schaut dich mit diesem Mitleidsblick an. Sie wollen alle verhindern, dass ich das Ticket bekomme, weil sie es nicht ertragen, dass jemand geht. Das …«
Mir wurde schwer ums Herz. Ich wollte auch nicht, dass er ging. Aber wir hatten uns in unserem WG-Manifest darauf geeinigt, dass wir der Sache nicht im Weg stehen würden. Keine Replüschimation, keine Maschinen. »Das ist so eine Sache, die niemand wahr haben will. Aber so ist der Lauf der Dinge, ich mag niemandem zur Last fallen.« Panthers Rede endete in einem Stakkato aus Husten und Keuchen. Im Augenwinkel sah ich, wie Hase eine Träne fortwischte. Der alte Haudegen, wie machte er das nur mit den Frauen?
KAPITEL VIER
Sicher, wir hätten mit Hase auch in eines der plüschigen kleinen Cafés, die lieblich nach Vanillearoma rochen, gehen können. Diese sogenannten Wohlfühloasen, neben den Zuckerstäbchenläden, die alleine vom Anblick der Ladenschrift schon das Fell verklebten und Glück in allen Farben verhießen. Aber wir waren zu abgebrannt, um dort aufzuschlagen. Panthers muffiger Geruch hätte die anderen Gäste vertrieben; das Genörgel des Braunen über die hohen Preise meine Laune. Ich wollte nicht mit anderen Plüschs auf zu weichen Sesseln sitzen, aus zu kleinen Tässchen meine heiße Schok trinken, die auch in den einfachen Humpen der Randkneipen gut genug schmeckte. Also waren wir im Benedikt abgestiegen, hinter dessen Tresen ein dicklicher Bernhardiner mit tiefhängenden Tränensäcken stand. Hier reichten unsere restlichen Kronkorken gerade aus, um unsere hungrigen Mägen mit heißer Schok und billigem Mäusespeck zu füllen. Und vor allem würden wir hier wir keine unnötigen Fragen zu Hase und dem Woher, Warum und Wieso beantworten müssen. So eine Schwarzfahrerei war ein herber Schlag. Eben noch wähnte Hase sich bald in den Händen eines glückseligen Empfängers, einem Leben zwischen Teepartys, Luxuspuppenhäusern und weichen Federbetten, nur um in nächsten Moment hart auf den Schienen der Realität aufzuschlagen. Zu viel quietschbunte Fröhlichkeit würde da sicher nicht gut tun.
All diese Erklärungen waren, genau genommen, Blödsinn. Ich war einfach feige; ich fürchtete, dass sie das schöne Leben sehen und sich von uns abwenden würde. Denn warum sollte sie bei uns bleiben, wenn wir neben den hellen Farben der Stadt im diesigen Grau der Tunnel verblassten?
Der Bernhardiner beugte sich zu mir hinüber: »Was denn, kein Gin heute?«
Er zählte die Kronkorken zweimal nach und rollte den letzten in seiner Pfote hin und her, während er uns betrachtete. Besonders Hase nahm er ins Visier.
»Ist noch was?«, fuhr ich ihn so heftig an, dass ich selbst davor erschrak.
»Nein, nein. Alles Tutti!« Der Dicke verschwand hinter seiner Zapfanlage und nahm sich ganz stereotyp ein Handtuch, um den Tresen sauber zu wischen.
Der Braune stieß mich mit seinem Arm unter dem Tisch an und rümpfte fragend die Nase. Ich zuckte nur mit den Schultern und beobachtete heimlich, wie sie den Krug mit beiden Pfoten umschloss, ihn an ihren kleinen Kopf hob und dann fast ganz dahinter verschwand. Ob sie wusste, dass ihre Ohrenspitzen leicht zuckten, während sie die Ohren abklappte? Um mich abzulenken, nahm ich auch einen großen Schluck und verbrannte mir fast die Schnauze an der heißen Plörre. Bei dem Versuch, sie nicht über den Tisch zu spucken, verschluckte ich mich heftig und hustete. Scheinbar durch mich angesteckt begann auch Panther wieder damit, sich die Watte aus der Lunge zu pressen.
»Wie funktioniert das hier« fragte Hase in einer kurzen Hustenpause, was nicht einfach abzupassen war.
»Hm?« der Braune übernahm die Konversation. Umständlich stellte er seinen Becher ab, griff nach einem Marshmallow und tunkte ihn in die Schok. Früher, vor der Sache im Irrlicht, war er ein eleganter, geschickter Bär gewesen, doch mit dem fehlenden Arm waren seine Bewegungen kantig und ungeschickt geworden. Ich wusste, wie sehr ihn das ärgerte, und konnte seine Wut förmlich spüren.
»Das mit dem Bezahlen und so. Gibt es auch Märkte, um seinen hungrigen Magen zu füllen?« Hase setzte ebenfalls den Becher ab und lauschte dem Braunen fast andächtig.
»Wir bezahlen mit Kronkorken. Entweder du musst sie draußen sammeln oder du verdienst sie dir.«
»Wo kommt denn alles her?« Den Humpen nicht loslassend, nahm sie sich ein Marshmallow aus dem Korb und biss ein winziges Stück davon ab.
»Es gibt Großhändler. Die besorgen das bei den Felllosen. Es gibt Schmuggelrouten und organisierte Gruppen. Sie bringen die Ware über die U-Bahn rein«, ergänzte Panther in einer seiner Hustenpausen.
»Und wovon leben die?«
»Sie behalten einen Teil der Beute, bekommen vieles umsonst und naja, … sind ziemlich angesehen in der Gesellschaft.« Wir hatten kurz überlegt, auch Sammler zu werden, ehe wir ins Abstellgleis zogen. Doch die Aussicht, durch dunkle Gänge zu schleichen, immer auf der Flucht vor den Ratten, erschien uns wenig glorreich.
»Vermissen die Felllosen die Sachen denn nicht? Was, wenn jemand ihnen folgt und hier auftaucht?«
»Mädchen«, jetzt war es der Braune, der seinen ‚Jetzt erzähle ich dir mal was von der Welt‘-Ton drauf hatte, »die Felllosen haben von dem Zeug so viel, dass sie nicht mal merken würden, wenn eine ganze U-Bahn damit vollgestopft würde. Die brauchen das überhaupt nicht zum Leben. Für die ist das nur Zeug.«
»Oh…« Ausnahmsweise wusste sie darauf keine Antwort. Ich stellte mich auf die nun normalerweise folgende entspannende Leere ein, wenn Plüschs einfach nebeneinandersaßen, eine heiße Schok in den Pfoten hielten und die Zeit genossen.
»Und vermissen die uns nicht?«
Wie ein kleiner Meißel bohrte sich ihre Frage in die Stille.
Panther legte ihr die