Coaching. Sonja Becker
In der sich gleichzeitig entfaltenden freien Wirtschaft überträgt der Moralphilosoph Adam Smith, Kollege und Freund Humes, den Gedanken der Selbstorganisation auf die Wirtschaft: Je freier die Wesen handeln, um so größer der Output.
Smiths berühmte „unsichtbare Hand“, führt seitdem zusehends zu allgemeinem Wohlstand und Autonomie jedes Einzelnen. Aber bleiben wir noch einen Augenblick bei Kant, der übrigens keine Ökonomie schrieb, wie es sich damals für einen Philosophen gehörte. Stattdessen schrieb er sehr komplizierte Traktate namens „Kritiken“. Ziemlich am Ende seines Schaffens schrieb er ein Buch, das nur ein Mann schreiben kann, von dem die Zwänge seiner Karriere abfallen: Das vielleicht schönste, wenn auch nicht gerade einfachste Non-Fiction-Werk der Welt: Die „Kritik der Urteilskraft“. Es beginnt mit den Worten: „Man hat, nach transzendentalen Prinzipien, guten Grund, eine subjektive Zweckmäßigkeit der Natur in ihren besonderen Gesetzen, zu der Fasslichkeit für die menschliche Urteilskraft, und der Möglichkeit der Verknüpfung der besonderen Erfahrungen in ein System derselben, anzunehmen.“ (KU 305)
Das klingt etwas verschroben, aber es geht Kant um die Idee, dass die ganze Natur ein geschlossenes System bildet, und dass der Mensch in der Lage ist, dieses System zu knacken. Und nicht nur das: Sobald etwas für ihn oder sie stimmig, organisch, harmonisch wirkt, es schön zu finden. Um es mit den Worten von Samuel Fleischacker zu sagen: „Wahrheit ist Schönheit, und Schönheit Wahrheit. Wenn ich Schönheit in etwas entdecke, dann weiß ich, dass ich einen Platz in dieser Welt habe“. Diese Erscheinungen, „denen man daher den Namen schöner Formen beilegt“ (Kant), kann man überall antreffen, sei es im Hochgebirge, in einem Bild oder in Gestalt einer nackten Frau. Sie machen das Leben neugierig.
Natürlich war Kant vor allem dieser Natur, also Gottes Werk auf der Spur und versuchte nun, mittels der Urteilskraft, also des Selberdenkens statt Erfahrungssammlungen, hinter die „Zweckmäßigkeit“ der Welt zu kommen. Sein Kollege, heimlicher Bewunderer, aber selbst erklärter Kritiker und Nachfolger Hegel fand darin Widersprüche – und diese Widersprüche machte er sich zum Hobby, indem er alles behauptete, negierte, und dann wieder zusammensetzte. Das Hobby hieß „Dialektik“ und kam in seiner „Phänomenologie des Geistes“ dann doch zu der Schlussfolgerung: „Das Wahre ist das Ganze“. Wenn auch nur etwas komplizierter als bei Kant. Aber irgendwie musste man ihn ja toppen. Hegel spielte sich dann auch ganz schön als Coach auf, aber dazu kommen wir später. Kants „neue Kausalität“ (KU 307) und die Rede vom „Ganzen“ wurde im 20. Jahrhundert gerne aufgenommen, als Kybernetiker und Esoteriker sich anschickten, ein neues Weltbild zu kreieren, in dem quasi alles sorgfältig aufeinander abgestimmt ist. Bei den Esoterikern wurde Mutter Erde in der so genannten „Gaia-Hypothese“ geehrt, die das Gedankengut von den ganz frühen Griechen zurückkam, die die Erde selbst als ihre Mutter betrachteten. Daraus folgte nicht lange darauf der Holismus, der nicht ganz so hohl ist, wie er inzwischen mit dem Wort „ganzheitlich“ etikettiert ist. Dann trafen sich nach dem Zweiten Weltkrieg einige sehr schlaue Leute in New York – was als die „Macy-Konferenzen“ in die Wissenschaftsgeschichte einging. Vor allem Norbert Wiener beeindruckte seine Zuhörer mit seiner Wortschöpfung „Kybernetik“, die er vom griechischen Wort für „Steuermann“ entlehnte, seiner Definition als „Regelung und Kommunikation im Lebewesen und in der Maschine“ und mit anderen Worten der Idee, dass der Begriff der „wechselseitigen Kausalität“ – der auch bei Kant stehen könnte, der hier eben in der Kybernetik steht – durchaus in den Gesellschaftswissenschaften anwendbar ist. Dies war der Auftakt des „systemischen Denkens“, das der experimentellen Methode von David Hume nicht unähnlich ist. Aus diesem Ansatz, den Fundus von Systemen aus den verschiedensten Wissenschaften in andere Bereiche zu übertragen, entstanden viele andere grenzüberschreitende Wissenschaften, die die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts prägten, sei es mit Wieners Informationstheorie, der digitalen Form der Kybernetik in Gestalt von John Neumanns Computer, die systemische Familientherapie von Macy-Teilnehmer Gregory Bateson, „der erste erfolgreiche Versuch in der Wissenschaft, die kartesianische Trennung von Geist und Körper zu überwinden.“ (Capra 1996:71) Oder die Kommunikationstheorie seines Schülers Paul Watzlawick, die sich endlich nicht mehr auf einen Sender und einen Empfänger beschränkt, sondern auch auf die Botschaft, das Verstehen, das Feedback, den Inhalt des Gesagten und die Herstellung einer Beziehung in einer Kommunikation. Um nur einige Beispiele zu nennen, auf die wir in der Praxis an entsprechender Stelle ausführlicher zu sprechen kommen. Flugs erkannte man rückblickend mehrere solcher selbstorganisierender Modelle in Systemen der Wirtschaft, der Ethik, der Politik: Neben erwähnter „unsichtbarer Hand“ Adam Smiths, die die Wirtschaft regelt, auch dessen Ethik in der Allegorie des „unparteiischen Zuschauers“, der für eine gesunde Moral allein dadurch sorgt, dass er in unserem Kopf sitzt und die öffentliche Meinung über unser Tun und Lassen repräsentiert – so dass wir immer sehr genau wissen, ob es gut oder schlecht ist, was wir gerade tun. Auch Hegels Dialektik funktioniert wunderbar von selbst, auch wenn er in seiner „Phänomenologie des Geistes“ mit der Zeit dabei etwas abdreht. Hegel war der Coach von zwei Herren, die ein paar Jahre später daraus ein neues, selbstorganisierendes Weltmodell erstellten. Marx’ und Engels’ Modell von These und Antithese stammt aus dieser Technik, das sich 150 Jahre nach ihrer gesellschaftlichen Realisierung als Trugschluss herausstellt: Denn wer die Dialektik beherrscht, beherrscht alles. Nach dem Fall der Sowjetunion und der Berliner Mauer geisterte das typische Karl Marx-Gesicht mit Rauschebart und einer Sprechblase umher: „Sorry, war nur so eine Idee“. Die geschickte Organisation der Ausgleichung der gesellschaftlichen Mächte gelang wesentlich besser in dem System der „checks and balances“ in der Amerikanischen Verfassung. Kurzum: Alles ist System – wenn es funktioniert. Und wenn es denn funktioniert, ist das nicht einem einzelnen zu verdanken, der die Hebel immer wieder in Gang setzt (wie Gott einmal am Anfang), sondern ihrer Selbstorganisation. In dem Wort „Organisation“ steckt ja das Wort „Organ“, und wir überlassen es gerne den Systemtheoretikern, herauszufinden, wie es um die Rückkopplungsschleifen und die interaktiven Beziehungen bestellt ist, die diese Selbstorganisation auf Trab bringen. Wir kümmern uns besser ums Coaching und überlegen, wie im modernen Unternehmertum Coaching funktioniert. Speziell um die Frage: Wie bringt ein Coach es fertig, ein menschliches System wie ein Individuum, ein Team oder ein Unternehmen von selbst ins Laufen zu bringen (also auch ohne Antreiben, Drohen, künstlich Motivieren)?
Die Praxis: Geschichte des Coaching
DIE PRAXIS: GESCHICHTE DES COACHING
Gott blieb während der ganzen Zeit im Hintergrund und beobachtete, wie man sich da unten die Welt erklärte, sei es nun auf der Agora im antiken Athen oder in einem Hotel in Manhattan im 20. Jahrhundert. Man sollte sich ja auch kein Bild von ihm machen. Aber man kann ihn jederzeit anrufen. Er ist ein hervorragender Gesprächspartner. Er hört geduldig zu und hat immer die richtige Antwort. Die Telefonzelle mit dem heißen Draht nach oben steht in Ihrem Kopf: Das „Denken“. Plato den nannte das Denken den „schweigenden Dialog der Seele mit sich selbst“. Das ist eine Art Selbst-Coaching, das besonders in der Moral Karriere machte. Wir alle kennen unsere innere Stimme, die uns ab und zu ein Gespräch aufzwingt. Vor allem, wenn wir etwas entscheiden müssen, oder wenn wir drauf und dran sind, Mist zu bauen, meldet sie sich. Irgendwie scheint sie sehr vertraulich, wenn auch sehr bestimmend zu sein. Sie duzt uns sogar. Wenn wir dann richtig Mist gebaut haben, kommt sie mit mächtiger Stimme. In der Aufklärung nannte man sie „Gewissen“, der „innere Gerichtshof“ (Kant) und im Prinzip der Grundstein der Religion. So lange die Sache persönlich bleibt, ist das Denken oder diese Art des Denkens ein gutes Instrument zur moralischen Menschwerdung.
Dass Denken jede Menge Licht in eine Sache bringen kann, bewies Platon mit seiner berühmtesten Geschichte: Dem Höhlengleichnis. Da sitzen mehrere Menschen in einer Höhle und sehen im Feuerschein ständig Schatten von Menschen an der Wand entlanglaufen – die sie allerdings für richtige Menschen halten. Als dann mal jemand das Gatter auflässt und diese Menschen ans Tageslicht stolpern, merken sie, von der Sonne geblendet, dass sie immer einer Illusion aufgesessen sind. Diese Menschen sind wir, der Prozess heißt „Bildung der Idee“. Und ganz schlimm wird es, wenn diese Menschen Durst bekommen und auf dem Wasserspiegel eines Sees ihr eigenes Gesicht sehen – das heißt „Selbsterkenntnis“, ist aber heilsam. Platon, der alte Geschichtenerzähler, hatte noch weit mehr auf dem Kasten. Im Prinzip hat