Baiae. Karl-Wilhelm Weeber
Wer im Distinktionswettbewerb der Elite mithalten wollte, sah zu, dass er am Golf von Neapel mit einem „Ferienhaus“ präsent war, das freilich in seinen Ausmaßen und seinem marmornen „Innenleben“ oft genug eher einem Palast ähnlich war.
Der Run auf eine villa möglichst in der Nähe des mondänen Kurortes Baiae setzte im frühen 1. Jh. v. Chr. ein. Nicht unwesentlichen Anteil daran scheint der rührige Geschäftsmann C. Sergius Orata gehabt zu haben. Er legte nicht nur die ersten Austernzuchtbecken im Lucriner See an (s. S. 79 f.), sondern verdiente auch mit der Sanierung von Gutshäusern und ihrer Umwandlung in Luxusimmobilien viel Geld. Orata kaufte ältere Häuser in guter Lage auf, ließ Fußbodenheizungen (Hypokausten) und andere Elemente gehobenen Wohnkomforts einbauen und verkaufte die sanierten Objekte zu hohen Preisen weiter. Die Geschäftsidee trug – ein Indiz für eine zunehmende Nachfrage und zugleich für Investoren ein anschauliches Modell, dass es nicht falsch war, eine Urlaubsimmobilie im kampanischen „Wonnekessel“ zu erwerben (Plin. NH IX 168; vgl. Cic. de or. I 178; off. III 67).
Eine prominente Vorreiterin war Cornelia, die Mutter der Gracchen. Sie residierte wohl schon seit der Mitte des 2. Jhs. v. Chr. in einer villa nahe Kap Misenum und führte dort – für eine Witwe ungewöhnlich – ein großes Haus, in das sie regelmäßig auch renommierte Intellektuelle einlud (Plut. Gaius Gracch. 19, 1 f.; Val. Max. IV 4, 1). Als weiteren „Ahnherrn“ konnte die spätere kampanische villa society (d’Arms) auf C. Laelius verweisen, einen engen Freund des Scipio Africanus. Er besaß eine ländliche villa bei Puteoli, dem Überseehafen Roms.
Der nächste prominente Villenbesitzer, von dem wir konkret hören, nannte sogar zwei herrschaftliche Anwesen sein eigen, eines bei Misenum und eines bei Baiae. Das war der berühmte Feldherr und siebenmalige Consul C. Marius, der aus dem Ritterstand stammte und dank seiner großen militärischen Verdienste den Sprung an die Spitze der römischen Gesellschaft geschafft hatte. Dass sich ein „kerniger Krieger“ wie Marius, der oft genug gegen die Luxussucht und Verweichlichung der etablierten Aristokraten gewettert hatte (Sall. Jug. 85, 35 ff.), in seinen letzten Jahren auf einen luxuriösen Alterswohnsitz im „weichen“ Kampanien zurückzog, löste bei einigen Zeitgenossen schon Befremden aus (Plut. Mar. 34, 1). Seneca kommt dem alten Haudegen – ebenso wie Pompejus und Caesar – mit der Ehrenrettung zu Hilfe, dass alle diese bedeutenden Feldherren „zwar Landhäuser in der Gegend von Baiae errichteten, sie aber auf die höchsten Berggipfel bauen ließen“. Das sei ihnen „militärisch angemessener erschienen – nämlich von der Höhe herab auf die weit sich ausbreitende Ebene darunter zu blicken“. Man solle diese Landsitze deshalb nicht villae, sondern lieber castra, „Lager“, nennen, fährt Seneca fort. Man könnte auch sagen Trutzburgen, die diese großen Männer davor schützten, sich mit den „Lastern“ von Baiae zu infizieren (Sen. ep. 51, 11). Ob Senecas Leser sich dieser Deutung wohl angeschlossen haben?
Das Attraktive, aus Moralistensicht freilich das Anstößige an dieser neu entstehenden Villenkultur in landschaftlich reizvoller Umgebung war die Tatsache, dass sich diese villae von ihrer ursprünglichen Funktion als Herrenhäuser auf agrarisch genutzten Ländereien emanzipierten und sich als reine voluptariae possessiones, „Lustbesitzungen“, definierten (Cic. Att. XII 25, 1). Sie sollten ihren Bewohnern Freude machen, waren gewissermaßen architektonische Mitglieder der bajanischen Spaßgesellschaft, aber sollten keinen fructus, „landwirtschaftlichen Ertrag“, mehr erwirtschaften. Wenn darauf verzichtet wurde, so war das in der Tat purer „Luxus“ – zumal in einem so fruchtbaren Landstrich. Und die Traditionalisten versäumten es nicht, eben das kritisch anzumerken (Varro r. r. I 16, 6). Mit alter Römerart bzw. römischer Bauernart hatte diese Nutzung des Landes nichts zu tun; eher konnte man von einem Missbrauch sprechen. (Abb. 6)
Abb. 6 Nachbau eines römischen Ferienpalastes:
die Getty-Villa in Kalifornien
Aus Sicht der „Ferienfraktion“ war dagegen eine agrarische Nutzung, wenn sie in einer begehrten Urlaubsgegend wie der regio Baiana stattfand, eine reichlich „barbarische“ Zweckbestimmung einer villa, wenn man Gemüse und Früchte anbaute und nicht mit Platanen, Rebranken und Buchsbaumhecken das ästhetische Erscheinungsbild eines kultivierten Landsitzes unterstrich (Mart. III 58, 1 ff.). Umgekehrt polemisierten die, die in der Umwandlung kampanischer Landsitze zu villae pseudourbanae, repräsentativen Domizilen nach städtischer Art, eine Perversion ländlichen Lebens sahen, heftig gegen luxuriös „aufgetakelte“ villae (Vitr. VI 5, 3). Dass er solche mit teurem Citrusholz, Elfenbein und Marmorfußböden veredelten Landsitze absolut ablehne, gab der Alte Cato – wenig überraschend – schon in einer Rede im Jahre 152 v. Chr. zu Protokoll (Cato frg. 185, 75 Malcovati).
Aber das waren letztlich ohnmächtige Rückzugsgefechte von Traditionalisten, die den Trend nicht aufzuhalten vermochten. Der ging in Richtung Komfort, Pracht, Kultur und Landschaftsbeherrschung. Das Konzept der Villeggiatur sah die villa als einen urbanen Leuchtturm der Zivilisation inmitten ursprünglicher Natur, als möglichst „grenzenlos ausgedehnten Landpalast“ (villarum infinita spatia) (Tac. ann. III 53, 4), der seine Umgebung gewissermaßen zivilisatorisch beherrschte und seine Bewohner mit allen Schikanen städtischer Wohnkultur verwöhnte. Sie hatten an zwei Welten gleichermaßen Anteil: einem behaglich-komfortablen, durch edle Materialien auch optisch nobilitierten Wohnambiente und einer mehr oder minder urwüchsigen Natur, die durch ihre amoenitas bestach. Und durch ihren prospectus, den von den Villenbesitzern geliebten weiten Ausblick. Das war entweder der Fernblick von der Höhe hinab oder der weite, wie man heute sagt, „unverbaubare“ Fernblick aufs Meer. O praeclarum prospectum! ruft Cicero in der villa des Hortensius in Bauli – unweit von Baiae – aus. „Welch wunderbare Aussicht!“ (Cic. Acad. II 80 f.)
Das prospekthafte Sehen lag den Römern. Es passte zu jenem imperialen Blick auf die Dinge, der der römischen Oberschicht eigen war. prospicere hat etwas mit der Kontrolle eines überschaubaren und insoweit unterlegenen Raumes zu tun; es verleiht Macht oder spiegelt sie vielleicht auch nur vor. Vom Freizeit-Refugium aus kann man sich als Herr über eine wunderschöne Natur wähnen, die indes dem menschlichen Gestaltungswillen unterliegt oder zu unterliegen scheint – eine Art von Domestizierung, die römischer Mentalität sehr zusagt.
Jedenfalls sind die aedificatores, „Bauherren“, bestrebt, eben das auf jede erdenkliche Weise zu dokumentieren, es sich zu beweisen. Und deshalb stellt die Lage auf einem Vorgebirge, die das Bauen erschwert, kein Hindernis, sondern eine besondere Herausforderung dar, die die ambitionierten Eigentümer in spe – Kosten spielen keine Rolle – nur zu gern annehmen. In ähnlicher Weise reicht manch einem Bauherrn die direkte Strandlage für seine Ferienvilla nicht aus. Er lässt Molen bauen und Dämme aufschütten, um auf neu geschaffenem Terrain sein Traumdomizil errichten zu lassen – über dem Meer, nicht nur am Meer. „Sie verschwenden ihren Reichtum, um ins Meer hinauszubauen und Berge einzuebnen“, legt Sallust dem vermeintlichen Sozialrevolutionär Catilina als Kritik an der luxuria der Aristokraten in den Mund (Sall. Cat. 20, 11). Das war nicht falsch, aber folgenlos.
Die Reichen und Superreichen blieben konsequent bei dem, was sie als Ideal einer Symbiose von Natur und Kultur mit imperialem Gestaltungswillen erkannt hatten. Und so entstand dann im Laufe der Zeit, von der „bajanischen“ Nordküste aus beginnend, ein imposanter Kranz von Villen, der sich um die gesamte Bucht von Neapel bis nach Surrentum (Sorrento) im Süden erstreckte. Schon in augusteischer Zeit hatte Strabo den Eindruck, dass „die ununterbrochene Folge von villae den Anblick einer großen Stadt bietet“ (Strabo V 4, 8). Dabei gehörte der „Abschnitt“ zwischen Kap Misenum und Baiae zu den beliebtesten – und teuersten – Bauplätzen – nicht zuletzt, weil Baiae als Heilbad mit seinen Thermalquellen etwas zu bieten hatte, das anderswo nicht zu bekommen war.
Begehrte Lagen sozusagen mit amoenitas-Garantie waren neben der Küste und den Hügeln die Ufer der Binnenseen. Vor allem der Averner See war „zugebaut“, um es in kritisch-moderner