Christina von Schweden: Ich fürchte mich nicht. Charlotte Ueckert

Christina von Schweden: Ich fürchte mich nicht - Charlotte Ueckert


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Jahre hat Christina von Schweden in Stockholm verbracht. Es waren überwiegend unglückliche Jahre, trotz ihres Bedürfnisses nach der Macht, die sie innehatte, voller vergeblicher Sinnsuche und Getriebenheit. Die Langeweile eines vorgezeichneten Weges muss sie daran gehindert haben, sich voll und ganz auf ihr Amt als Herrscherin einzulassen. Es gab außer Fragen zu Religionszugehörigkeit, Wissenschaft und Vergnügen nichts Neues mehr, was sie beschäftigen oder voranbringen konnte. Es hätte die Ehe sein können, vielleicht die Geburt eines Kindes. Aber nachdem sie allem abgeschworen hatte, vielleicht auch aus einem Gefühl der Unzulänglichkeit auf diesem Gebiet, nach vergeblichen Lieben zu Menschen, die sie nicht erhörten, die ihrer Stellung schmeichelten, aber nicht ihrer Person und Weiblichkeit, wie der schöne Magnus De la Gardie, der jeden Gedanken an den ihr verbundenen, immer korpulenter werdenden Cousin Karl Gustav verblassen ließ. Vor anderen äußerte Magnus sich wenig vorteilhaft über Christina. Für ihn war sie einfach zu männlich in ihrem Benehmen und ihrem Aussehen. Ihre materiellen Gunstbeweise verschmähte er natürlich nicht. Warum Christina ihn in seiner maßlosen und von allen Mitgliedern des Reichstages kritisierten Verschwendungssucht gewähren ließ, bleibt rätselhaft.

      Die Intrigen des Hoflebens, vor allem Geheimnistuerei und Verstellung, hat Christina beherrscht wie kaum jemand. Darunter aber litt sie, denn sie war als junge Frau häufig krank, ein Grund dafür, nach geeigneten Leibärzten zu suchen. Krank wurde sie unter dem Druck, heiraten zu sollen, gleichzeitig zu spüren, wie sehr ihr die Macht zugunsten des Adels entgleiten würde, wenn sie die Nachfolge nicht bald regeln würde. Schweden sollte ein starkes, erbberechtigtes Königtum behalten, doch das ging nur, wenn sie heiratete und Kinder bekam oder aber, so ihr genialer Schachzug, den Reichsrat überzeugen konnte, ihren Cousin als Nachfolger einzusetzen. Der war ihnen dann doch lieber als Nachkommen des katholischen Zweigs der Wasa auf dem polnischen Thron, die auch Ansprüche stellten. Nicht zu wissen, wie sie den Konflikt lösen sollte, verursachte ihr Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit, Magen-Darm-Erkrankungen, Fieberanfälle, Menstruationsbeschwerden, Geschwüre. Probleme, die sie schon kurz nach ihrem Regierungsantritt belasteten. Das lebensgefährliche Fieber zog sie sich zu, als sie ihrer Mutter, die nach sieben Jahren Abwesenheit nach Schweden zurückkehrte, entgegenreiste und ein Sturm sie zwang, zwei Nächte im Freien zu übernachten.

      Vermutlich konnte ihr Körper die psychische Belastung nur so verarbeiten. Aber die neue Lebensweise, durch den Arzt Bourdelot veranlasst, wirkte Wunder und sie erreichte sogar für damalige Begriffe mit 63 Jahren ein hohes Alter. Stimmt es, dass die Krankheiten, besonders die, bei der sie dem Tode nahe war, sie Gott gegenüber verpflichteten, katholisch zu werden, wenn sie überlebte? So steht es in ihren Memoiren.

      Es blieb für die hochgestellten Herrschaften auch nichts anderes übrig als eine Zweiteilung der Persönlichkeit: ehrlich und geradeaus mit wenigen Vertrauten zu sein, gegenüber der Umwelt jedoch Taktik, Hinhalten oder falschen Schein an den Tag zu legen. So nur konnte Christina die Konversation mit dem Kanzler Oxenstierna nach ihren eigenen Zielen lenken, so nur ihren Willen nach Bildung, ihre Abdankungsbestrebungen und ihren Friedenswunsch durchsetzen.

      Man muss nur einmal zeitgenössische Philosophen lesen, um zu erkennen, dass diese höfische Persönlichkeitsspaltung normal war, sogar lebensnotwendig, um sich in Machtpositionen durchsetzen zu können. Das ist beileibe keine Tugend, auch wenn der Zeitgenosse Montaigne spottet: »… die Kunst der Verstellung gehört zu den namhaftesten Auszeichnungen dieses Jahrhunderts.« Ebenfalls sieht Christinas Zeitgenosse La Bruyère die einzige Möglichkeit, der Falschheit zu entrinnen, darin, sich aus dem gesellschaftlichen Leben zurückzuziehen. Er schreibt in Die Sitten im Zeitalter Ludwigs XIV:

       »Ein Mensch, der den Hof kennt, ist Herr über seine Bewegungen, seine Augen, seine Mienen. Er ist undurchdringlich verschlossen; er weiß den schlimmen Diensten einen angenehmen Schein zu geben, lächelt seinen Feinden zu, beherrscht seine Laune, verhehlt seine Leidenschaften, verleugnet sein Herz, spricht und handelt wider seine Gefühle.«

      Das alles beherrscht Christina im Sinne des Hoflebens perfekt. Wenn sie sich bei bestimmten Gelegenheiten davon befreien kann, so nur deshalb, weil sie autokratische Souveränität für sich beansprucht, das Taktieren nicht nötig hat, wenn es um ihr Machtwort geht. Wer aber verfolgt, mit welchem Geschick sie ihre Landsleute und später die päpstliche Politik jahrelang an der Nase herumführt, weiß, dass sie alle Tricks kennt und anwendet.

      Ein anderer Ehrgeiz, der ebenfalls in den philosophischen Maximen bedeutender Zeitgenossen gegeißelt wird, ist ihr ebenfalls nicht fremd. Während sie einerseits Förderin von Künsten ist, will sie andererseits sich selbst künstlerisch verwirklichen, vor allem in ihren letzten Lebensjahren durch Schreiben. Auf ihre Aphorismen und Gedanken komme ich noch zurück, hier nur die Meinung der zitierten Philosophen, die sie sicherlich auch gelesen hat. Montaigne meint:

       »Die Schreibseligkeit scheint ein Kennzeichen eines zuchtlosen Zeitalters zu sein. Wann haben wir so viel zusammengeschrieben, wie seitdem wir von Wirren heimgesucht sind, wann die Römer so viel wie zur Zeit ihres Niedergangs?«

      La Bruyère schreibt:

       »Mancher ergreift plötzlich und ohne am Abende vorher daran gedacht zu haben, Papier und Feder und sagt zu sich selbst: ›Ich will ein Buch machen‹.«

      Christina hat viel geschrieben, fast immer französisch, eine Sprache, die im 17. Jahrhundert die Sprache des Adels und der Höfe war. Am preußischen Hof, an dem ihre Mutter aufwuchs, wurde französisch gesprochen, so ist es nicht erstaunlich, dass Christina diese Sprache so perfekt sprach, dass sie am französischen Königshof dafür Komplimente erhielt. Ihr Italienisch war nicht so vollkommen. Sie versuchte sich in allen literarischen Formen, die im 17. Jahrhundert aktuell waren. Die Literatur hatte damals vor allem einen ähnlichen Anspruch wie eine Unterhaltung intelligenter Höflinge, eine ständige Beobachtung der menschlichen Art und Weise zu denken und zu fühlen, sie war also eher philosophisch betont als erzählend. Es gab wenig Romane, die Gegenwart und Handlungsstränge schildern, sondern an Vorbildern geschulte mythologische Stoffe in dramatischer Form. Das galt auch für Christinas Schreiben. Ihr Leben lang schrieb sie unzählige Briefe, die gut lesbar sind. Und Aphorismen oder »Maximen«, die nicht immer originell sind, aber doch von einem unabhängigen Geist zeugen. Ihre Briefe, Memoiren und offiziellen Staatsdokumente werden im Schwedischen Reichsarchiv in Stockholm aufbewahrt. Sie zeigen ihre zügige Schrift, die leicht und gleichmäßig, wenn auch oft schwer zu lesen, über das Papier gleitet. Die Dokumente tragen, wie damals üblich, nur ihre Unterschrift.

      Christinas Kardinalsfreund Azzolino schrieb Komödien und Opernlibretti und Gedichte, die sie besonders gern von ihm lesen wollte. Schreiben fungierte als Gesellschaftsspiel der höheren Kreise, war ganz der Sphäre des Hofes verhaftet, auch wenn die großen Geister wie Montaigne sich davon voll Abscheu abwandten. Die Königin aber ging nicht schreibend ins Kloster nach ihrer Abdankung, wie Papst und Kirchenvertreter vermutet und gewünscht hatten, sondern spielte weiter Königin. Tatsächlich lesen sich einige ihrer Briefe so, als wollte sie ihr nach außen gewandtes Leben total ändern nach der Abdankung. Ihrem Freund, Botschafter Chanut, der in ihre Pläne eingeweiht war und sie vor den Konsequenzen warnte, schrieb sie, sie wolle sich hinter die Bühne zurückziehen:

       »Ich werde diese Muße benützen, um mein vergangenes Leben zu prüfen und meine Fehler ohne Bedauern und Erstaunen zu verbessern … Was auch immer geschieht, ich bin glücklich … und ich fürchte mich nicht vor der Vorsehung, von der Sie mir sprechen. Will sie meine Angelegenheiten bestimmen, so unterwerfe ich mich mit der Demut und Ergebung, die ich ihrem Willen schulde, überlässt sie mir die Leitung, so werde ich einsetzen, was sie mir an Kräften und an Einsicht in die Seele gelegt hat, um mich glücklich zu machen.«

      Und sie hofft, ihn eines Tages zu sehen und mit ihm ihre Ruhe zu genießen. Nun, von Ruhe war nicht viel in ihrem Leben, aber die starken Worte, sich in das zu fügen, was sie nicht beeinflussen kann, dieser völlige Verzicht aufs Jammern, bleibt ihr bis in die letzten Lebenstage erhalten.

      Lang war der Weg zu dem endgültigen Entschluss, abzudanken. Verdankt sie die Konversion ihrem toleranten Lehrer und Erzieher Johann Matthiae? Noch vor Axel Oxenstierna war er für ihre religiösen Belange zuständig und lehrte sie die sechs Sprachen, in denen sie sich zum Teil fließend verständigte. Kenntnisse


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