100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 1. Erhard Heckmann
um sie bis nach Skagway fortzuführen. Benannt ist der Fischerort nach dem Vice-Admiral Sir Thomas Masterman Hardy, der einst als Kapitän der H.M.S. Victory den sterbenden Lord Nelson beim Kampf um Trafalgar in seinen Armen hielt. Dennoch begrüßt hier keine Seemannsstatue die Besucher, sondern eine Holzplastik mit Bär und Fisch. Historisch gewachsen sind hier „Fishing, Logging und Mining“, und die Neuzeit hat moderne Hotels, Geschäfte, Krankenhaus, Flug- und Golfplatz, als auch die Fähren hinzugefügt.
Menschen betraten diese Gegend schon vor 9.000 Jahren, während man bereits das Jahr 1849 schrieb, als die ersten Weißen ihren Fuß in diese natürliche Isolierung setzten und später hier siedelten. Zu diesen Unerschrockenen zählten auch Alec und Sarah Lyon. Sie eröffneten zwar schon 1904 an der Ostseite der Hardy Bay einen Laden mit Poststelle, doch zählte man zehn Jahre später, neben Sägewerk, Kirche, Schule und Hotel, erst ganze 12 Familien, die sich zu ihnen gesellt hatten. Und es sollte zwei weitere dauern, bis ein 15 Kilometer langer Pfad durch die Wildnis geschlagen, und die Verbindung nach Coal Harbour hergestellt war.
An diese harten und vergangenen Zeiten erinnert inzwischen nur noch wenig, aber auf unserem Rundgang steht es dennoch: „Fort Ruppert“ und das, was vom Kwakiutl-Dorf Tsaxis übrig blieb. Der 1849 am Beaver Harbour auf dem Territorium dieser Indianer errichtete Pelzhandelsposten der Hudsons Bay Company ist nur noch durch den Schornstein präsent, während vom Dorf, das sich einst zu beiden Seiten des Forts ausbreitete, das Big House, der alte Friedhof und die Kirche die Hauptakteure sind. Historisch gesehen geht das „Village“ auf die Kwakiutl-Indianer zurück, doch verwendeten die Weißen diesen Begriff damals für alle Stämme, die Kwakwaka sprachen und die sich in ihrer Gesamtheit als Kwakwaka’wakw bezeichnen. Heute gilt Kwakiutl nur noch für die Indianer, die im Dorf von Fort Ruppert lebten, während alle anderen dieser Sprachgemeinschaft eigene Namen und Dörfer haben. Im Big House begeistern sehr schöne Schnitzereien, und „Girl and Fire“ und die Raven-Maske, die zusätzlich mit der geschnitzten Hand des Künstlers verziert ist, haben mir am besten gefallen. In der alten Kirche sind es die mit Engel verzierten Fenster, und am Grabe einer Jägerfamilie die großen Burial Totems, die nachdenklich stimmen. Vieles ist auf dem Friedhof aber längst von Bäumen verdeckt, so auch ein altes Eagle Burrial Totem, das ich zwischen ihnen entdeckte.
Mit diesem Besuch in der Vergangenheit neigt sich auch unser Stadtbummel seinem Ende entgegen. Ein paar Minuten widmen wir noch einem Seeadler-Paar, das sich auf einer gewaltigen Fichte eingerichtet hat, und schauen noch kurz einem Schnitzer zu, wie unter dessen Händen ein eleganter Orca Fortschritte macht. Danach geht es am Meer entlang „heimwärts“ und direkt in unser Hotel-Restaurant, das sich völlig unerwartet als Volltreffer entpuppte. Im Mittelpunkt der 50 Dollar-Angelegenheit standen zwei Riesenportionen gegrillter köstlicher Hummergrabbenschwänze, die Sabine dazu veranlassten, den Küchenchef nach „seinem Geheimnis“ zu fragen. Der Mann, adrett gekleidet, schmunzelt über die Anerkennung und meint: „Es gibt keins, die Qualität besteht in der absoluten Frische und dem Fangort“. Wir füllen die Gläser noch einmal nach, laden den „Boss“ dazu ein und stoßen auf ihn und darauf an, dass morgen ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung gehen wird, die „Inside Passage“.
Zehn Jahre später waren wir wieder in Port Hardy, und von der Regenfahrt, die in Bella Coola begann, habe ich schon erzählt. Vom anderen Ende, das wir erstmals 2002 und danach noch zwei weitere Male erlebten, von David, Joyce und Patrick, Richard, Escort, Georgia, Mary, Peggy, Luke, Joe und Willy, von „meinem“ Pass, dem Sulfor Canyon und all den vielen anderen Dingen, die uns noch begegnen sollten, wird später noch die Rede sein, wie auch von der verrücktesten Idee, die an einem Morgen beim Frühstück geboren und sofort umgesetzt wurde. Doch jetzt schreiben wir erst das Jahr 2000 …
Die Pazifikküste von British Columbia wird von stark vergletscherten Küstengebirgen beherrscht, die vor 30 Millionen Jahren durch Kontinentalverschiebungen aufgetürmt wurden. Mit dieser, überwiegend aus Granit bestehenden Bergkette, wurden auch all die Fjorde, Inseln und Buchten erschaffen, deren gesamte Küstenlänge – müsste man sie zwischen Vancouver und Prince Ruppert ausfahren – sich auf etwa 20.000 Kilometer und damit auf das 25-fache der Luftlinie summieren würde. In dieses Gewirr mit Bergen und dichten Urwälder führt auch keine Straße, aber eine weltberühmte Schiffsroute. Und genau diese ist es, auf die ich mich unglaublich freue, als ich nach einem schönen, aber anstrengendem Tag in Port Hardy mein Reiseroutenbuch aus der Hand lege und mir die Bettdecke im North Shore Inn über den Kopf ziehe.
Die Inside Passage
Vor 12.000 Jahren noch völlig vergletschert, präsentiert sich die wilde, regenreiche und fast menschenleere Westküste von British Columbia und Alaska in unserer Zeit mit einer zerklüfteten Küste, 2.000 Meter hohe Bergen, grünen Hängen, Wasserfällen und Regenwäldern, in denen auch die weißen „Spiritbären“ noch zu finden sind. Mit den Straßen ist es ähnlich wie damals, als diese Gewässer schon den Eingeborenen als Wasserwege dienten und darüber noch nicht geschrieben wurde, es gibt so gut wie keine. In jenen frühen Jahren waren es Händler von den Aleuten, die hier ebenso entlang segelten wie Tlingits, Haida, Tsim Shian und andere Küstenstämme. Danach kamen Forschungsreisende wie Captain James Cook und andere aus England, Spanien, Russland und Frankreich an diese Küste, suchten nach der Nordwestpassage und kartographierten das Unbekannte. Auch Goldsucher, Pelzhändler und Holzfäller reihten sich ein wie später die U-Boote der Marine. Heute sind alle Schiffstypen unterwegs, vom Fiberglas-Kajak über Öltanker bis zum Luxusliner. Und zwischen ihnen allen ziehen die großen Fähren ihre Bahn, mit ganz gewöhnlichen Durchschnittsmenschen an Bord, jedoch auf einer ungewöhnlich schönen Reise.
Die Schiffe der BC Ferries und des Alaska Marine Highway Systems sind hier entlang einer Küstenlinie unterwegs, die man wahrscheinlich als die schönste der Welt bezeichnen kann. Auch wenn man weiß, dass sich die Postschiffe Norwegens ebenfalls in gigantischer Natur bewegen. Auf dem Neuen Kontinent ist jedoch alles eine Dimension gewaltiger. Hier wie dort kommen die Menschen aus aller Herren Länder und das Panorama erfüllt Tagesträume, ohne Internet und Fernsehen. Die Schiffe ziehen ihren Weg von den Regenwäldern des nördlichen British Columbias durch Südost-Alaska zu Gletschern und Fjorden des Prince William Sounds, und bis hin zu den Vulkanen der Aleuten. Sie sind durch stürmische, graue See unterwegs wie durch kristallklare, ruhige und geschützte Gewässer, in denen sich Wale und andere Meeressäuger tummeln. Und sie navigieren auch im Schritttempo durch schmale, gefährliche „Narrows“, die dem Kapitän und seiner Mannschaft alles abverlangen.
Das 1948 gegründete Alaska Marine Highway System, die „blauen Taxis Alaskas“, bedienen etwa 6.000 Kilometer etablierte Routen und erreichen dabei das südlichen Bellingham im Bundesstaat Washington, wie im äußersten Westen Dutch Harbor auf Unalaska. Die 1960 mit zwei Schiffen gestarteten BC Ferries steuern im 21 Jahrhundert mit etwa 40 Schiffen fast 50 Destinationen an und transportieren pro Jahr mehr als 21 Millionen Passagiere und 8,5 Millionen Fahrzeuge, wobei ihre größten Fähren 2.100 Reisende und 470 Fahrzeuge aufnehmen können. Und wie in Alaska, so schaffen auch kanadische Fähren nicht nur „Verbindungen“, sondern sind auch unterwegs um entlegene Orte zu versorgen, zu denen keine Straßen führen. Die Königsdisziplin ist aber auch hier das Zauberwort, das elektrisiert, die Inside Passage.
Unterwegs, gleich ob Luxusliner oder Fähre, werden verschiedene Häfen angelaufen und die Endstation heißt Skagway. An einigen Tagen im Monat weicht die M/V Kennicott jedoch vom Hauptkurs ab und kreuzt den Golf von Alaska, um Valdez und Seward anzusteuern, wo sich, wie zu Whittier, Eisenbahn und Straße anbieten. Andere Fähren verbinden auch Valdez, mit Cordova und Whittier. Auf der Kenai-Halbinsel, zu Homer und Seward, starten weitere nach Kodiak Island und von dort zu den Aleuten.
Das Konzept des Alaska-Fährsystem besteht aus drei Komponenten, die sich untereinander verbinden und ergänzen. Die Schiffe der Hauptroute verkehren zwischen dem amerikanischen Bellingham und Alaskas Skagway, wobei das von den Russen an der Westküste Alaskas gegründete Sitka nur an bestimmten Tagen einbezogen wird. Als Zubringer zu jener sind von Juni bis September die Fähren des Southeast- und Südzentral-Südwestsystem unterwegs. Ersteres steuert kleinere Ortschaften als auch die Hauptroutenhäfen Ketchigan, Wrangell, Petersburg und, über Kake, Sitka an, während die Südzentral-Südwest-Fähren im Prince Williams Sound und dem Golf von Alaska kreuzen und