Katzmann und die Dämonen des Krieges. Uwe Schimunek
Cramer weg.
Der Nuschler murmelte: «Sgud, Ludwich.»
«Danke. Wir sind fast fertig.» Die Stimme des Bären und der Biergeruch kehrten zu Helmut Cramers Kopf zurück. Die Tür fiel zu. Dann sagte der Bär: «Also, du gehst raus und sagst, dass du nicht mehr spielen kannst. Was machen wir mit den Runden, die schon gespielt sind?»
«Äh …» Kopf gegen die Wand. «Au! Scheiße, Scheiße!»
«Du musst an deinem Ausdruck arbeiten, junger Mann. Das werde ich deinem Bruder bei Gelegenheit sagen. Aber zurück zu deinen Skatfreunden: Was machst du mit den gespielten Runden?»
«Ich sage, ich will das Geld nicht. Habe nur um die Ehre gespielt.»
«Um die Ehre, haha.» Der Bär lachte noch tiefer, als er sprach. Helmut Cramer spannte seine Muskeln an, er erwartete den nächsten Schlag. Zum Glück blieb der aus.
«Also gut, mein junger Freund. So kannst du es machen. Ich gebe dir noch einen Rat für die Zukunft. Den Ede nimmst du nicht mehr aus. Das ist eine gute Seele. Und wenn ich dich erwische, wie du den betrügst, setzt es eine Tracht Prügel. Verstanden?»
«Verstanden.» Es schien fast ausgestanden zu sein. Selbst die Spechte schienen langsamer zu flattern.
«Mit Hannes kannst du dich meinetwegen anlegen. Aber wenn der dich erwischt, wirst du dir eine Tracht Prügel von mir wünschen.
Mit einem Gesicht voller Narben bist du auch nicht mehr der Schöne .»
Der Bär lockerte seinen Griff. Helmut Cramer entspannte seine Muskeln.
Eisenfaust. Kopf gegen die Wand.
«Au! Scheiße!»
«Und gewöhn dir diese Ausdrücke ab.» Der Bär ließ los. Helmut Cramer erwartete einen letzten Schlag. Die Schmerzen stachen nicht mehr, es fühlte sich eher an, als ob der Kopf ein Kürbis sei, kurz vorm Platzen.
Doch die Schritte entfernten sich. Er schaute zur Tür und sah, wie der Bär in den Gastraum ging. Das war tatsächlich dieser Kollege seines Bruders aus dem Großhandel! Dieser Vorarbeiter, Heilmann oder Weymann oder so. Er würde eine Gelegenheit finden, es ihm heimzuzahlen.
Heinz Eggebrecht trank Bier und sah im Augenwinkel, wie der Skatspieler sich von seinen Tischkumpanen verabschiedete. Warum nur so plötzlich? Hatte ihre Aufmerksamkeit ihn vertrieben?
«Der Kerl geht. Sieht fast so aus, als fühle er sich bei etwas ertappt. Da war er wohl eher der Lump.» Konrad Katzmann schlürfte einen Schluck vom frischen Bier.
Am Skattisch schien es Ärger zu geben. Einer der Mitspieler gestikulierte wild mit den Armen. Die Stimmen wurden lauter, drangen durch den Kneipenlärm: «Mitten in der Runde.», «… der will uns wohl verarschen!»
Der junge Mann, den sie beobachtet hatten, antwortete zu leise, Heinz Eggebrecht konnte nichts verstehen. Aber offenkundig versuchte er, die aufgebrachte Runde zu beschwichtigen, indem er mit den Handflächen symbolisch Luft nach unten pumpte. Der Gestikulierer rief laut: «Das reicht! … Lass dich nicht mehr hier blicken! Raus jetzt!»
Der junge Mann nahm den Mantel über den Arm und lief zur Tür.
«Ja, er war doch eher der Bösewicht. Wenn ich ihn jetzt ablichten würde, bräuchte man gar keinen Text mehr.»
«Könnte sein. Ein Prosit auf die Photographie!» Konrad Katzmann lachte und hob sein Bier.
Heinz Eggebrecht stieß seins dagegen und trank einen großen Schluck. So viel Bier wie heute konnte er sich sonst nicht leisten - langsam merkte er, wie ihm der Alkohol in den Kopf stieg. Es fühlte sich an, als würde jemand mit einem Schwungrad in der Hand die Innenseite seines Hinterkopfes hinaufklettern und dabei das Rad langsam drehen. Dies hier musste das letzte Bier sein.
«Vielleicht reicht das für heute auch an guten Taten. Sonst kann ich morgen gar nichts mehr vom großen Reporter lernen.»
«Ja, ich kann das Ende des Tages auch schon am Grund meines Bieres sehen. Was du morgen von mir lernen kannst, weiß ich allerdings auch nicht. So ein Reporter ist ja nur ein halber Mensch ohne Zeitung.»
Heinz Eggebrecht griff nach dem Zigaretten-Etui. Noch zwei Stück lagen darin. Das war ein Zeichen. «In der Redaktion sind trotzdem immer Leute.»
«Klar. Man darf doch nicht den Anschluss verlieren, nur weil nichts gedruckt wird. Ich werde morgen auch in die Tauchaer Straße gehen.»
Die Zigaretten konnten die Luft kaum noch schlechter machen. Heinz nahm einen kräftigen Zug. Der Qualm biss in seinen Augen. Er musste an den Vormittag, an die Neuesten Nachrichten, denken. An den Mord an diesem … Wie hieß der gleich? «Heute morgen hab ich bei der Konkurrenz übrigens von einem Mord gelesen. Es gibt nun einen Unternehmer weniger in Leipzig. Er hieß Plensdorf oder Proßberg … nein, Preßburg. Ich kenne diesen Namen irgendwoher. Ich weiß nur nicht, woher.»
«Bis nach Dresden ist Preßburgs Ruf jedenfalls noch nicht gedrungen. Ich höre den Namen zum ersten Mal.»
«Großhändler ist er wohl gewesen, schreiben die Neuesten Nachrichten .»
Konrad Katzmann liefen die Gesichtszüge in die Breite wie bei einem Brei, der überkocht. « Die Neuesten Nachrichten, so so. Was hast du denn mit dieser Ausbeuterpostille am Hut? Schaust du dort nach, in welche Anleihen du deinen Lohn am besten steckst?» War das immer noch ironisch gemeint, oder vermutete Katzmann allen Ernstes, dass Eggebrecht seine Einladung erschlichen hatte, obwohl er eigentlich im Geld schwamm? Er beschloss, vorsichtshalber nicht nach einem Spruch zu suchen, sondern die schlichte Wahrheit zu sagen. «Nein, nein. Meine Vermieterin schiebt mir das Blatt unter der Tür durch, wenn sie es gelesen hat. Ich habe keine Aktien unterm Bett.»
Konrad Katzmanns Gesicht behielt seine Breite, nur das Grinsen trat jetzt deutlicher hervor. «Nicht mal ein winziges Milliönchen?»
Der foppte ihn doch! Er musste reagieren. Der Alkohol ließ die Gedanken jedoch nur langsam wabern, so dass Eggebrecht wieder keine Chance auf eine schlagfertige Antwort haben würde. Oder doch? Ein Versuch war es wert: «Doch, jetzt fällt mir’s ein. Daher kenn’ ich den Preßburg. Der Laden gehört mir!»
Konrad Katzmann lachte so laut, dass er Tabaksrauch in großen Mengen ausstieß und dabei an eine Dampflok beim Beschleunigen erinnerte. Er boxte Heinz Eggebrecht freundschaftlich an die Schulter, quer über den Tisch. Ein Treffer zum Feierabend, herrlich!
Zwei Biere trafen sich über der Tischmitte. Plong! Die Kehle wurde kühl. Währenddessen drehte das Schwungrad im Kopf seine Runden.
«So ein Mord kann eine feine Sache sein, zumindest für einen Reporter, der keine Artikel für den nächsten Tag schreiben muss.» Konrad Katzmanns Grinsen war verschwunden, die Worte fuhren nur noch in einer winzigen Spur der Ironie. «Morgen in der Redaktion sehen wir uns die Sachen mal genauer an. Vielleicht lernen wir beide noch was.»
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