Katzmann und die Dämonen des Krieges. Uwe Schimunek

Katzmann und die Dämonen des Krieges - Uwe Schimunek


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338,65 Mark. Die zwanzigtausend bringen also …

      lass mich kurz nachrechnen … nicht ganz sieben Millionen Mark.»

      «Mann, Bertold! Das sind zusammen…« Helmut Cramer fasste sich mit der Hand an die Stirn, rieb, als könnte die dabei entstehende Wärme beim Denken helfen, und sagte: «Ach egal! Wir sind reich.»

      Bertold legte die Zeitung zurück auf den Tisch und sah herüber, als wolle er seinen Bruder mit seinem Blick in den Fixiergriff nehmen. «Das ist unser Startkapital. Reich werden wir später.»

      «Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich auf der Frühjahrsmesse den Klinkenputzer spiele. Ich bin Millionär!»

      «Messestände haben keine Klinken, und Handelsvertreter ist ein ehrbarer Beruf!»

      «Ja ja. Und du hast früher … blabla.»

      «Wie sprichst du mit deinem älteren Bruder?»

      «Ach komm, Bertold, ich bin erwachsen!» Wie zum Beweis hob Helmut Cramer den Bembel und trank einen kräftigen Schluck. Langsam begannen die Figuren auf der Tapete gen Decke zu schweben, wenn er zu lange in eine Richtung schaute. Am schnellsten schienen die kleinen Punkte zu hüpfen - wie vorwurfsvolle Augen in den Ornamenten, die ihn immer an rasierte Schädel erinnerten. Helmut Cramer schüttelte den Kopf, beschloss, vorsichtiger mit dem Bier zu sein.

      «Manchmal kommt mir das gar nicht so vor.»

      «Was?»

      «Dass du erwachsen bist. Das kommt mir manchmal gar nicht so vor.»

      Helmut Cramer trank noch einen kleinen Schluck. Eigentlich war es doch ein schönes Gefühl, wenn das kleine Karussell hinter der Stirn sich zu drehen begann. Und außerdem gab das Bier Sicherheit. «Und du, warum musst du immerzu ans Arbeiten denken? Wofür machst du das denn? Für Geld, oder nicht? Und was liegt hier? Mehr, als du jemals verdienen könntest. In deinem ganzen Leben!»

      «Darum geht es gar nicht.»

      «Nein? Worum geht es dann?»

      «Man muss doch etwas tun. Etwas schaffen. Etwas, das dem Leben Sinn gibt. Etwas, das bleibt.»

      Helmut Cramer lachte, so laut, dass er sich selbst vorkam wie ein Pferd, das wiehert. «Du erzählst mir Sachen! Vor ein paar Jahren hast du gedacht, dass deine Nation dir Sinn gibt. Und was hast du nun davon? Du bist ein Mörder und siehst aus wie ein Monster. Und die feinen Herren mit dem Sinn? Die geben dir ein Gnadenbrot in deinem Pförtnerhäuschen.»

      «Ach, Helmut, wenn ich am Boden lag, bin ich wieder aufgestanden. Und ich möchte weiterhin gehen wie ein Mann. Nicht herumliegen wie ein Faultier.»

      «Ich würde lieber auf ’ner Frau liegen wie ein Mann …» Helmut Cramer lachte in seinen Bembel, aus dem Tongefäß klang dumpf das Echo.

      «Mach dich nur lustig. Aber vergiss nicht: An diesem Geld klebt Blut. Vielleicht vergeht dir der Spaß bald.»

      «Und hier geht der Leipziger Arbeiter also abends hin?» Konrad Katzmann blickte sich in der Kanalschenke um, in die er geführt worden war.

      Heinz Eggebrecht nickte, schwenkte seine rechte Hand in den Gastraum: Dämmerlicht, junge Männer mit Bier in Skatrunden, in Diskussionen, Qualm, ein Geruch, als hätte jemand ein Tabaklager in Brand gesetzt. An der Ecke Stehtische, in der ganzen Kneipe jeder Platz besetzt. «Ja, ich komme ganz gerne her. Ich kenne das von früher, meine Eltern wohnen um die Ecke, und ich habe oft hier gesessen, bevor ich in die Südvorstadt gezogen bin. Hier ist was los, und das Bier ist bezahlbar.»

      «Apropos, ich zahl noch ’ne Runde für uns zwei.» Konrad Katzmann hob seine Hand zum Wirt, Zeige- und Mittelfinger abgespreizt.

      Heinz Eggebrecht nahm gerade noch wahr, wie der Reporter ihm gegenüber grinste, und schon standen zwei neue Blumen auf dem Tisch.

      «Prost!»

      Die beiden Männer tranken.

      «Wissen Sie, was die in der Redaktion mit mir vorhaben?», fragte Katzmann.

      «Nein, ehrlich gesagt hat da gerade keiner allzu viel zu tun. Die sitzen alle rum und warten, dass die Zeitung wieder erscheinen darf.»

      «Wird das noch lange dauern?»

      «Keine Ahnung. Die meisten glauben, dass der Spuk in ein paar Tagen vorbei ist. Aber was Genaues weiß keiner.» Heinz Eggebrecht zuckte mit den Schultern. Für ihn war die Situation im Augenblick nicht besonders heikel, als Lehrling bekam er weiterhin seinen schmalen Lohn. Alles andere wäre ja auch noch schöner gewesen, bei einer Zeitung der linken USPD. Aber für Autoren, die für Honorar arbeiteten, konnte das Verbot der Zeitung schnell an die Existenz gehen.

      «Was merkt man davon eigentlich in Dresden, dass es keine LVZ mehr gibt?»

      Katzmann zuckte mit den Schultern. «Eigentlich nichts. Leistner hat mich kurz angerufen, aber ich hab am 17. Januar noch nicht mal das Extrablatt bekommen. Vielleicht hat der Postmann es behalten.»

      «Ehrlich? Noch nicht mal gesehen?»

      «Nein.»

      Heinz Eggebrecht kramte in seiner Manteltasche, fand den Bogen Zeitungspapier zusammengefaltet in der Innentasche. Er reichte seinem Gegenüber das Blatt.

      Katzmann nahm es mit der linken Hand und wischte sich die rechte, die eben noch das Bier gehoben hatte, am Hemd ab. Er drückte die Brille am Nasensteg gegen die Stirn, dann faltete er die Zeitungsausgabe vom 17. Januar auf und las:

      Die Leipziger Volkszeitung auf unbestimmte Zeit verboten!

      Aufgrund des preußischen Gesetzes über den Belagerungszustand vom

      4. 6. 1851 verordne ich im Interesse der öffentlichen Sicherheit:

      Der Druck, Verlag und Vertrieb der Leipziger Volkszeitung - auch in einer irgendwie veränderten Form - wird auf unbestimmte Zeit verboten. Zuwiderhandlungen gegen das Verbot sowie Aufforderungen oder Anreizungen dazu werden, sofern die bestehenden Gesetze keine höhere Freiheitsstrafe bestimmen, mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft, nur bei mildernden Umständen kann auf Haft oder Geldstrafe erkannt werden. Gründe: Seit geraumer Zeit hat die Leipziger Volkszeitung sowohl in den Leitaufsätzen wie auch sonst, unter bewusster Entstellung der Wahrheit, Veröffentlichungen gebracht, die nach Form und Inhalt geeignet waren, verschiedene Klassen der Bevölkerung gegeneinander aufzureizen, die Achtung vor den Gesetzen und Anordnungen des Staates zu untergraben und zur offenen Auflehnung und zum Ungehorsam hiergegen aufzurufen.

      Wegen der darin liegenden strafbaren Handlungen schweben eine Reihe von Strafverfahren, und verschiedene amtliche Warnungen sind der Leipziger Volkszeitung zugegangen. Ungeachtet dessen fährt sie in ihrem Treiben fort, wie das namentlich die Aufsätze in Nr. 283 vom 16. 12. 1919 «Aufreizung zum Klassenhass», «Noch ein Beitrag zu dem Kapitel Klassenjustiz», aber auch andere Aufsätze in anderen Nummern sattsam beweisen. Von diesem Verhalten zu lassen, haben Warnungen und Strafverfahren nicht ausgereicht. Dass es aber unmöglich sich mit der Sicherheit des Reiches verträgt, wenn planmäßig und bewusst in einem Blatt mit großem Leserkreis alles, was von der Regierung oder ihren amtlichen Vertretern und sonstigen Organen geschieht, herabgewürdigt wird, bedarf gar keines Beweises. Diesem Treiben muss endlich ein Ende gemacht werden, und es kann nach Lage der Dinge nur durch das Verbot des Druckes, des Verlages und des Vertriebs der Leipziger Volkszeitung, und zwar in jeder Erscheinungsform, geschehen.

      Dresden, am 16. Januar 1920

      Der Militärbefehlshaber des Wehrkreises IV.

      Gez. Maercker F. d. R.: Zimmermann, Major im Generalstab

      «Das ist ja unglaublich!» Katzmann gab das Blatt zurück und trank sein Bier in einem Zug aus. Sofort winkte er beim Wirt nach einem neuen.

      Die Kneipe wurde noch voller. Inzwischen drängten sich die Männer um die Tische, auf engen Holzstühlen, die der Wirt in einem Raum neben der Toilette in großen Mengen gehortet zu haben schien.

      Heinz Eggebrecht musste schreien, um gegen den Lärm anzukommen. «Wir haben uns an das Verbot langsam


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