Mord auf der Messe. Uwe Schimunek

Mord auf der Messe - Uwe Schimunek


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nicht gesund aus.»

      Eggebrecht beugte sich über den Liegenden, hielt inne und griff dann einen Arm. Er hielt das Handgelenk ein paar Sekunden und sagte: «Kalt. Kein Puls. Tot.» Mit der Spitze seines Schuhs stieß er vor den Kopf – mit Vorsicht, als wolle er der Leiche das Haar nicht durcheinanderbringen. «Erschossen. Kleines Loch in der Stirn, großes im Hinterkopf.»

      «Wieso liegt der gerade hier?»

      Eggebrecht schien die Frage nicht zu hören. «Den kenn ich.»

      «Direkt vor der Redaktion?»

      «Unser Kellner.»

      «Unser Kellner? Wie kommt denn der hierher?»

      Eggebrecht inspizierte weiter den Leichnam. Er fragte: «Und was ist das hier für ein Zettel?»

      Heinz Eggebrecht schaute auf die Uhr, es ging auf Mitternacht, und er stand neben einer Leiche. Der Wind pfiff durch die Tauchaer Straße, es klang, als würde ein Gespensterorchester gerade die Instrumente stimmen. Eggebrecht lief ein kalter Schauer über den Rücken. Nein, keine Albereien! Da lag ein toter Mann, der konnte ihm nichts antun. Ansonsten weit und breit nur leere Straßen, und die Polizei musste jeden Augenblick eintreffen.

      Es war richtig, dass Katzmann allein ins Bureau gegangen war, um die Kriminaler anzurufen. So lag die Leiche hier unten nicht unbeobachtet herum. Und falls gefährliche Gestalten des Weges kamen, würde er einfach ins Redaktionsgebäude flüchten, Katzmann hatte extra die Tür zum Treppenaufgang in der Durchfahrt offen gelassen.

      Nur, wo blieb Katzmann? Der war vor bestimmt zwanzig Minuten nach oben geeilt. So lange konnte der doch nicht mit der Polizei telephonieren …

      Zeit totschlagen – irgendwann musste der Herr Redakteur wiederauftauchen. Eggebrecht guckte noch mal zum Zettel. Der klemmte unter der Fliege, es sah ein bisschen aus, als hätte ein wütender Gast dem Ober eine überhöhte Rechnung an den Hals genagelt.

      Sollte er das Papier herausziehen und nachschauen? Die Polizei wäre davon sicher nicht begeistert. Andererseits mussten die nicht alles wissen …

      Eggebrecht kniete sich neben den Leichnam. Der Zettel stak in der Fliege, zusammengerollt wie ein Blätterteiggebäck. Er beugte sich ganz nah an den Zettel, im innersten Stück des Papiers zeichneten sich die Buchstaben Dr. Bl ab – mehr war nicht zu erkennen, obwohl seine Nase beinahe vor das Papier stieß.

      Mit Dr. Bl konnte er nichts anfangen, vielleicht ein Arzt … Wenn er Genaueres wissen wollte, musste er den Zettel aus der Fliege ziehen.

      Seine Finger wurden vom Papier angezogen wie ein Trinker vom Zapfhahn. Er wehrte sich, trotzdem schien die Hand geradezu zum Kragen des Obers zu schweben. Nur noch Millimeter …

      Kaltes Leder im Genick. Eggebrecht zuckte zusammen, sprang auf, sah Katzmann. «Mann, Konrad!»

      «Ich bin wieder da.» Katzmann grinste. Der Mund sah aus, als wolle er vor Freude aus dem Gesicht springen.

      «Willst du, dass ich einen Herzinfarkt kriege? Mann!» Eggebrecht guckte auf Katzmanns Hände. «Und was soll der Quatsch mit dem Handschuh?»

      «Daktyloskopie.»

      «Dakti-was?»

      «Fingerabdrücke. Also genauer gesagt, keine Fingerabdrücke … Wir haben noch mindestens eine Viertelstunde, bis die Polizei hier ist.» Katzmann holte eine Pinzette aus dem Jackett, klemmte die Papierrolle zwischen die Spitzen und zog den Zettel aus dem Knoten der Fliege. Er hob die Rolle nach oben, drehte das Papier im Laternenschein und ließ den Zettel zwischen den Handschuhen verschwinden. Katzmann hatte offenkundige Schwierigkeiten, die Papierrolle mit seinen gefütterten Fingerlingen zu öffnen.

      «Ist gar nicht so kalt, was?»

      Katzmann guckte, als lenke ihn ein lästiges Insekt ab – wohl keine Zeit für Scherze. Der Reporter blickte nochmals auf das Papier. «Rechnungszettel. Signet vom Krystall-Palast.» Dann schüttelte er den Kopf. «Aber was soll das?»

      Katzmann hielt das Papier herüber. Eggebrecht las:

      Wichtige Mitteilung an alle:

      75 für 100 sind das Mindeste. Ausnahmen von dieser Regel sind nicht vorgesehen.

      Hochachtungsvoll,

       Dr. Blei

      «Hm. Doktor Blei? Ein Arzt?» Eggebrecht schaute zu Katzmann, der schüttelte immer noch mit dem Kopf, als habe er eine Stahlfeder im Hals.

      «’ne Rechenaufgabe im Text. Vielleicht ein Naturwissenschaftler? Von der Uni?»

      «Ich weiß nicht …»

      Katzmann drehte den Zettel in alle Richtungen. «Ich hab noch nie was von einem Doktor Blei gehört … und ich bin hier Journalist.»

      «Vielleicht ein Auswärtiger …»

      «Der kommt von außerhalb und legt eine Leiche mit einem Briefchen vor der LVZ ab. Wieso?»

      «Hm, du bist der Journalist … Dinge rauskriegen ist dein Beruf!»

      «Also gut, fangen wir am Anfang an. Es ist eine Nachricht für alle. Also wird der Mann vor der Zeitung ermordet.»

      «Na, siehst du! Ist doch einfach.»

      «75 für 100. Klingt wie ein Tauschkurs. Ich frage morgen in der Wirtschaftsredaktion nach, wozu das passen könnte …» Katzmann ließ die Hand mit dem Papier nach unten sinken. «Dann kommen eine Drohung und ein förmlicher Abschied.»

      «Doktor Blei … könnte ein Scherzchen sein. Blei, Pistolenkugel, Loch im Kopf.»

      «Hm, das müssen wir klären.» Katzmann kämpfte mit dem Papier. Es sah aus, als hätte er statt Fingern kleine Würste auf den Handballen und versuche nun, damit komplizierte Figuren zu falten. Dabei galt es nur, den Zettel zusammenzurollen.

      «Wenn die Polizei vorhin in einer Viertelstunde kommen wollte, hast du noch mindestens fünf Minuten.»

      «Danke.» Katzmann blickte nicht auf, fummelte weiter am Papier herum.

      «Sag mal, Konrad, war das Papier vorhin nicht geknickt?» Katzmann hielt inne, stellte den Kopf schräg.

      Es sah aus, als würde in seinem Kopf ein kleiner Reichstag die kommenden Handlungen und ihre Konsequenzen debattieren. Hoffentlich kommt er zur Abstimmung, bevor es zu spät ist, dachte Eggebrecht.

      Der Reporter nickte, faltete den Zettel zu einem dünnen Streifen und schob ihn mit der Pinzette unter den Kragen.

      «Und genau so haben Sie die Leiche vorgefunden?» Oberkommissar Bölkes Gesicht sah im Licht der Laterne grau aus, der Schnurrbart hob sich farblich kaum von der Haut ab.

      Katzmann nickte, Bölke guckte zu Eggebrecht, der zuckte mit den Schultern. Eine seltsame Art der Bestätigung, fand Katzmann, auch wenn das Schulterzucken voller Unschuld steckte. Der Polizist beugte sich zur Leiche, stellte fest, dass der Mann erschossen worden war. Damit konnte er freilich niemanden überraschen.

      «Kaum Blut auf der Straße. Der ist wohl anderswo getötet und dann hier abgelegt worden.» Bölke nuschelte wie einer, der zu sich selbst sprach. Jedenfalls galten die Worte nicht den anderen Polizisten, die am Tatort arbeiteten, denn die fertigten weiter Zeichnungen, nahmen Maß, suchten den Boden ab …

      Bölke blickte auf. «Sie wissen sicher nicht, weshalb der Mann hier liegt.»

      War das eine Frage? Katzmann schaute Bölke an, im Blick des Polizisten lag ein Lauern, das in einem merkwürdigen Widerspruch zur sonstigen Erscheinung des Mannes lag. Der Oberkommissar quoll aus der Uniform, das Doppelkinn wirkte im Dämmerschein der Straßenbeleuchtung wie ein vorgelagerter zweiter Hals, die Dienstmütze steckte im Nacken und ließ so die Schweißtropfen auf der Speckstirn sichtbar werden – ein Bild der Harmlosigkeit. Katzmann ließ sich davon nicht täuschen, er kannte Bölke von früheren Fällen. Mit dem Oberkommissar ließ es sich arbeiten, zu unterschätzen war er dennoch nicht.

      «Also keine Ahnung?» Bölkes Augen schnippten


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