Ein Arzt als Patient. Wolfgang Wild

Ein Arzt als Patient - Wolfgang Wild


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den USA und den Staaten Westeuropas Patienten in den Kliniken mit Krankheitserregern infizieren können. Deutschland gilt diesbezüglich als Risikoland. Hier erkranken jährlich etwa 160000 Menschen, weil sie sich in Krankenhäusern und Ambulanzen mit therapieresistenten Keimen angesteckt haben. Außerdem weiß ein Mediziner, dass die Keimzahl in einem Operationssaal im Laufe des Tages zunimmt, und mein Bluterguss wurde ja erst am Nachmittag ausgeräumt. Auch ist bekannt, dass ein Hämatom der beste Nährboden für Krankheitserreger ist. Eine Infektion in diesem Bereich würde den Bypass gefährden, und ein infizierter Bypass hat oft den Verlust des Beines zur Folge. Wegen dieser Risiken hatte ich erwartet, dass ich perioperativ, also vor, während oder nach der Operation ein Antibiotikum erhalten würde. Das war nicht der Fall. Nun wollte ich nicht als Besserwisser oder schwieriger Patient erscheinen und ließ mir heimlich ein Antibiotikum aus meiner Praxis bringen, welches ich ohne Wissen der behandelnden Ärzte einnahm. Dieser „Disziplinlosigkeit“ hatte ich es vielleicht zu verdanken, dass sich der weitere Verlauf unauffällig gestaltete und ich vier Tage vorm Heiligen Fest, am zwanzigsten Dezember, entlassen werden konnte.

      März 1999: Vorteil und Risiko neuer Medikamente

      Anfang März 1999 wurde bei mir in einer Gefäßpraxis eine umfangreiche Kontrolluntersuchung durchgeführt. Das Ergebnis machte mir Hoffnung, in der nächsten Zeit nicht wieder stationär behandelt werden zu müssen. Eine Nachuntersuchung sollte in drei Monaten stattfinden.

       Grund genug für die Ärzte, welche bisher meine Gerinnung überwachten … (S. 33)

      Daraus wurde leider nichts, denn schon vier Tage später traten während meiner Sprechstunde abermals die bekannten Krankheitszeichen auf. Mir war klar, dass ich wieder für ein paar Tage nicht in der Praxis sein würde.

      Fast schon routinemäßig stieg ich in mein Auto, brachte mich selbst ins Krankenhaus und informierte erst dann meine Familie, dass sie das Fahrzeug abholen könne.

      Da ich zum wiederholten Mal in „meiner“ Krankenstube sein durfte, scherzte das Personal: „Herr Doktor Wild, Sie könnten sich doch eigentlich dieses Zimmer nach ihrem Geschmack tapezieren und reservieren lassen.“

      Darüber konnte ich nicht lachen. Im Gegenteil, diesmal nervten mich die immer wieder gleichen Fragen an die Patienten, die stationär aufgenommen werden, wie auch die immer wieder notwendigen Aufnahmeprozeduren.

      Zu meiner allgemeinen Unzufriedenheit gesellte sich die Erinnerung an eine Arbeit von Von Chapmann20. Er hat die Patienten mit Gefangenen verglichen, was ich fünf Jahre später als Vertragsarzt im Krankenhaus der Justizvollzugsanstalt Leipzig bestätigen konnte: Beiden wird die Kleidung weggenommen und gegen Anstaltskleidung, beziehungsweise ein Krankenhaushemd, eingetauscht.

      Sie geben ihre Wertsachen ab, sehen ihre Familien seltener, müssen ihren Raum oft mit einem Fremden teilen und leben nach einem Stundenplan, den jemand anderes bestimmt. Beide bekommen Registriernummern. Der eine muss in einer Zelle; der andere in einem Zimmer ausharren.

      Der Patient kann unter verschiedenen Gerichten auswählen, aber der Gefangene konnte sich früher nur zwischen essen oder nicht essen entscheiden.

      Ein Gefangener sieht sich oft einer körperlichen und psychischen Einschränkung ausgesetzt, und ein Patient erfährt eine Behandlung, die auch schmerzhaft sein kann.

      Gefangene und Patienten waren früher (Von Chapmann schrieb dies vor 20 Jahren) gleichermaßen in Gebäuden untergebracht, die kalte Flure und eine Umgebung ohne Farbe, Wärme und Vielfalt boten.

      Der Gefangene darf seine Unterkunft nicht verlassen, bei einem Patienten wird vorausgesetzt, dass er es nicht tut oder es häufig gar nicht kann.

      Schließlich hat ein Gefangener nur begrenzten Einfluss auf die Gestaltung seiner Zukunft, und auch der Patient fühlt sich hilflos gegenüber seinem Schicksal.

      Genau so hilflos kam ich mir diesmal vor, wie ein Gefangener meines Schicksals, obwohl es abermals gelang, die Rekanalisation (Wiederherstellung der Bypassdurchgängigkeit) zu erreichen.

      Zwei Tage später wurde ich zwar wieder entlassen, aber ich war dennoch unzufrieden. Meinen behandelnden Ärzten gelang es offenbar nicht, durch geeignete Maßnahmen die Thrombosierung des Bypasses künftig zu verhindern, oder wenigsten zu erreichen, dass sie nicht in so kurzen Abständen auftreten konnte. Es musste jetzt irgendetwas geschehen, denn innerhalb eines reichlichen Jahres war ich deswegen bereits viermal stationär behandelt worden. Damit war natürlich eine kontinuierliche Tätigkeit in meiner Praxis nicht möglich und der finanzielle Schaden enorm. Auch war meine Psyche nicht mehr stabil, weil ich mich ständig fragte, wie lange mir wohl das Bein noch erhalten werden konnte.

      Am Entlassungstag kam der Oberarzt noch einmal zu mir, und ich fragte ihn: „Was könnte ich denn selbst tun, um nicht so schnell wiederkommen zu müssen?“

      „Sie müssen sich etwas zulegen, was ich auch habe.“

      „Dachten Sie dabei etwa an eine Freundin?“

      Er lachte und sagte: „Nein, ich meine einen Hund, der gerne draußen ist. Mit ihm können Sie jeden Tag spazieren gehen, und dabei bilden sich neue Gefäße.“

      „Wir haben zwei Katzen, da kann ich mir keinen Hund zulegen, aber man kann ja auch ohne Hund spazieren gehen. Das werde ich tun.“

      In einer medizinischen Zeitschrift stieß meine Frau auf eine Veröffentlichung eines namhaften „Gerinnungspapstes“ in den alten Bundesländern, dem sie, um Hilfe bittend, meine Unterlagen zuschickte. Wie bei vielen medizinischen Maßnahmen barg auch die Empfehlung dieses Spezialisten Risiken. Zu dem gerinnungshemmenden Medikament, welches ich bereits einnahm, sollte ich zwei weitere, ähnlich wirkende Präparate verordnet bekommen. Ich hatte Vertrauen und auch keine Wahl, und so entschied ich mich für diese Dreierkombination.

      Inzwischen verabreiche ich mir unter bestimmten Vorsichts- und Kontrollmaßnahmen diese grenzwertige Dosis seit zwölf Jahren. Heute allerdings haben sich solche und ähnliche Kombinationen gerinnungshemmender Medikamente allgemein durchgesetzt.

      Der Erfolg hatte damals diese Zusatzmedikation gerechtfertigt, denn der nächste Bypassverschluss erfolgte fast fünf Jahre später.

      Dezember 2003: Die Sorge um mein Bein nimmt zu, und mein Hund ist eine Katze

      Nach knapp fünfjähriger, krankenhausfreier Phase bekam ich Anfang Dezember 2003 Schmerzen in der linken Kniekehle und dazu das Gefühl, dass sich da etwas befand, was aus anatomischer Sicht nicht dort hätte sein dürfen. Diesmal gab es keine Zeichen einer Minderdurchblutung – es musste sich demnach um etwas anderes handeln. Wären diese Beschwerden am gesunden Bein aufgetreten, hätte ich wie bei anderen Patienten zunächst an eine harmlose, gut zu operierende Zyste gedacht. Aber es war das kranke Bein, und so ging ich wieder einmal zunächst in eine Praxis für Gefäßkrankheiten. Hier wurde mir bescheinigt, dass kein Verschluss durch Thrombosierung vorlag. Das hatte ich mit Sicherheit der gerinnungshemmenden Zusatzmedikation zu verdanken. Diesmal war aber an der unteren Anastomose (Verbindung zwischen Bypass und Kniekehlenarterie) eine Veränderung mit Massezunahme zu erkennen.

      Zur Sicherung dieses Befundes erfolgte eine Computeruntersuchung, die einen Defekt an dieser Anastomose ans Licht brachte. Der Radiologe und Computerspezialist sprach erstmals darüber, dass der starre Kunststoffbypass für die Anwendung in der Kniekehle nicht geeignet war.

      Dem Erstoperateur, der das Kunststoffgefäß eingebracht hatte, war wohl bekannt, dass die Verwendung


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