Perlen ohne Glanz. Gerd Willms

Perlen ohne Glanz - Gerd Willms


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auf die Tür stürzte, so als wollte sie nachprüfen, ob sie wirklich richtig gesehen hatte. »Mama, ist das mein Pferd?«

      »Ja, mein Schatz, das ist dein Pferd.«

      Die Mutter hatte Tränen in den Augen, weil Dana sich so freute. Die schien erst jetzt zu begreifen, dass da ein Pferd im Stall stand, das ihr gehörte. Sie drückte die Tür wieder zu, hüpfte um ihre Mutter herum, klatschte in ihre Hände, jauchzte und lachte. Die Freude war zu groß, sie konnte einfach nicht ruhig sein und still stehen.

      Danas Mutter wurde von dieser Freude angesteckt und konnte jetzt auch nicht mehr ruhig dastehen. Sie hatte ihr Kind schon lange nicht mehr so fröhlich erlebt. Sie schnappte ihre tanzende Tochter, drückte sie fest an ihr Herz und drehte sich im Kreis mit ihr. Bis ihr schwindlig wurde. Hurtig lehnte sie sich an die Tür und atmete zweimal tief durch. Auch Dana wurde jetzt wieder ruhiger.

      »Komm, wir gehen jetzt zusammen in den Stall«, sagte die Mutter. Sie fasste die Hand ihrer Tochter, die leicht zitterte, und öffnete langsam die Tür. Schritt um Schritt näherten sie sich dem Pferd.

      »Es ist schwarz«, stellte Dana fest. »Wie heißt es?«

      »Lia«, sagte die Mutter leise, »dein Pferd ist ein Mädchen und es heißt Lia.«

      »Lia«, hauchte Dana verliebt und streckte ihre Hand nach ihr aus, um sie am Kopf zu streicheln. Lia wich etwas zurück.

      »Weißt du, Dana«, erklärte die Mutter, »Lia ist noch ein bisschen aufgeregt von der Reise zu uns. Du wirst sehen, bald wird sie sich von dir streicheln lassen. Schau doch, sie fühlt sich bei uns schon ein bisschen zu Hause, sie frisst ja schon«.

      Dana und ihre Mutter blieben noch eine Zeit lang vor dem Trog stehen und schauten, wie Lia ihr Maul in den Trog steckte, etwas Korn mit ihren Lippen aufnahm und geräuschvoll zerkaute.

      Dana ging an diesem Tag später ins Bett als sonst. Sie war einfach zu aufgeregt, um schlafen zu können. Sie hatte auch schon mit ihrem Vater telefoniert und ihm von Lia erzählt. Aber dann kam doch die Müdigkeit und Dana wollte ins Bett. Wie jeden Abend betete ihre Mutter mit ihr, bevor sie einschlief. Auch Dana sprach oft ein kurzes Gebet. Meist hatte sie darum gebeten, dass die Bauchschmerzen aufhörten. Diesmal dankte sie Gott für Lia und schlief mit einem Lächeln ein. Mit Tränen der Dankbarkeit ging Frau Furler leise aus dem Zimmer und dachte: Dana ist wieder froh.

       EINE STRAHLENDE FRAU

      Erwin lebte in einer gemütlichen Wohnung und es ging ihm gut. So lange er denken konnte, war dies sein erster Sommer ohne viel Arbeit.

      Er aß gesund.

      Er schlief viel.

      Er arbeitete nicht.

      Er hatte keine Sorgen.

      Er hustete nicht mehr und fühlte sich wieder fit.

      Wer gut isst, wer genug schläft, wer nicht schwer arbeitet, wer keine Sorgen hat und nicht krank ist, der ist ein glücklicher Mensch, dachte er. Wenn Leute ihn fragten: »Wie geht’s?«, antwortete er: »Gut, mir geht es ausgezeichnet.«

      Aber bald hörte er auf, so zu denken, und sagte sich, es stimmt einfach nicht, ich bin nicht wirklich zufrieden. Und so entschied er, nie mehr zu sagen, dass es ihm wirklich gut ginge. Es fehlte etwas: eine Aufgabe, eine sinnvolle Tätigkeit. Ja, und sicher auch eine Partnerin, mit der er sein Leben teilen konnte. Einfach nur allein rumzuhängen, macht keinen Sinn, stellte er fest.

      Wenn Leute ihn jetzt fragten, wie es ihm gehe, dann antworte er lediglich: »Gut«, und dachte gleichzeitig: Aber ich bin innerlich nicht wirklich erfüllt! Das war die Wahrheit, und es reichte, wenn die Leute nur die eine Hälfte der Wahrheit kannten.

      In dieser Zeit stellte Erwin sich vor den Spiegel und schaute sich an: »Mann, bist du fett geworden«, sagte er zu seinem Spiegelbild. Das stimmte gar nicht, aber so dachte Erwin. Klar, er hatte zwei Kilo zugenommen, aber dick war er noch lange nicht. Aber Erwin sagte zu sich selbst: »Alter Mann, so geht das nicht weiter. Immer nur essen und schlafen, das ist nicht gut für dich. Du musst was tun, ab und zu mal Treppen zu steigen, ist nicht genug.«

      Er zog seine Schuhe an und ging zum Lift. Er wollte gerade auf den Knopf mit der grünen Schrift ›Lift kommt‹ drücken, da fiel ihm ein, dass er sich ja mehr bewegen wollte: »Nix da, mein Junge, du nimmst die Treppen«, befahl er sich selbst.

      Fünfzehn Minuten später betrat Erwin das einzige Schuhgeschäft im Dorf. Es roch nach neuen Schuhen. »Wanderschuhe, haben Sie auch Wanderschuhe?«

      »Guten Tag, ja, natürlich. Bitte kommen Sie mit nach oben«, antwortete ihm eine schlanke Frau und huschte die Treppe hoch. Die ist fit, dachte Erwin und schleppte sich langsam die acht Stufen hoch. Als er oben ankam, prustete er wie Boo, als er den Traktor aus dem Dreck gezogen hatte.

      Die Frau, die er fünf Jahre jünger schätzte als sich selbst, brachte ihm ein Paar Schuhe. Erwin ließ sich auf einen Stuhl fallen und zog den Bauch ein.

      »Na, dann probieren wir mal«, sagte die Schlanke und kniete sich vor Erwin nieder, zog ihm seine Schuhe aus, steckte seine Füße in die Wanderschuhe, band die Schuhriemen zu und wischte mit der rechten Hand über die linke Schuhspitze. »So, stehen Sie mal auf.«

      Erwin hatte die ganze Zeit nur an die Frau vor ihm auf dem Boden gedacht und gar nicht richtig zugehört. Sie ist vielleicht doch jünger, als ich dachte, ging es ihm durch den Kopf.

      Schöne Hände hat sie.

      Ein schönes Gesicht.

      Eine sympathische Stimme.

      Eine liebe Art!

      »Stehen Sie doch mal auf«, wiederholte die nette Frau.

      »Oh, natürlich, ja, wissen Sie, ich, äh, mir … ja, natürlich«, stotterte Erwin herum und stand flott wie ein junger Bursche auf.

      »Und, wie fühlen Sie sich?«

      »Wie ich mich fühle? Wie dreißig!«

      »Nein, ich meine, passen die Schuhe? Fühlen Sie sich wohl in den Schuhen?«

      »Ja, ja, die nehme ich, die sind genau richtig.« Er schaute die Verkäuferin an und dachte: Mit dieser Frau könnte ich glücklich werden.

      »Vielen Dank, Sie sind genau die Richtige, äh, ich meine, ich bin genau ins richtige Schuhgeschäft gekommen.«

      »Das ist nicht schwer«, sagte die freundliche Frau, »es gibt ja nur dieses in unserem Dorf.« Sie lächelte Erwin dabei so nett an, dass es ihm warm ums Herz wurde.

      Erwin zahlte und wandte sich zur Tür.

      »Brauchen Sie sonst noch was?«

      Erwin schaute zurück. Wieder lächelte sie und Erwin dachte: Ja, ich brauche noch ganz viel. Ich werde jeden Tag hierherkommen und etwas kaufen. Aber er sagte etwas anderes: »Ja, vielleicht noch ein paar gute Socken.«

      Erwin zahlte und ging. Sie kam ihm hinterher, öffnete ihm die Tür und gab ihm die Hand zum Abschied. Sind die Leute aber freundlich hier!, dachte er. Oder war sie nur zu mir … Hör auf zu spinnen, Alter, würgte er den Gedanken ab und ging in die nächste Kneipe.

      Zwei Stunden später kam er wieder raus. Nein, betrunken war er nicht, aber vielleicht ein bisschen angeheitert. Es gibt zwei Wege nach Hause: einen kürzeren, der aber nicht am Schuhgeschäft vorbeiführte, und einen längeren, vorbei am Schuhgeschäft. Ich will ja abnehmen, überlegte er, also nehme ich den längeren!

      Direkt am Schuhladen vorbeigehen wollte er nicht. Was würde die Verkäuferin von ihm denken? Also wechselte er die Straßenseite und tat so, als habe er es eilig. Dann fiel ihm ein, dass er ja gar nicht wusste, wann das Schuhgeschäft offen hatte. Nach ein paar Metern ging er wieder zurück auf die andere Straßenseite und schlenderte gemütlich von Geschäft zu Geschäft. Vor der Tür des Schuhgeschäfts hielt er an. Mit dem Finger zeigt er auf den Anschlag mit den Öffnungszeiten, fuhr langsam von oben bis unten daran entlang und bewegte


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