E-Mail an Georg Friedrich Händel. Sabine Rydz
Ja, also du Georg Friedrich wurdest genauso wie ich am romantischen Saale-Srand der sächsisch-anhaltinischen Stadt Halle geboren, da staunst du was, ja aber es stimmt, ich gebe zu, ich bin stolz darauf.
Ja, und rein biographisch gesehen, kommst du genauso wie ich, weder aus einem. Hinterhof noch aus der Hochfinanz, ganz zu schweigen vom Hochadel, und du warst auch kein Kleinbürgerkind, die immer das Billige bevorzugen, und permanent Turnschuhe mit dicken Sohlen tragen, denn: „Geiz ist ja jetzt geil“, aber immer geil sein macht impotent, sagen zumindest unsere modernen Sexualforscher, ja und die müssen es ja wissen.
Also Georg Friedrich, du entstammtest wie wir heute modern sagen aus der „Bürgerlichen Mitte“, das ist heute der neue und passende Ausdruck für diese besondere Schicht des gehobenen Bürgertums, ja da staunst du mein Lieber, diese Definition hättest du nicht erwartet? Oder?
Aber die Herkunft ist sekundär bei Genies. Fakt ist, dass du mein Lieber weder Techno-Freak gewesen bist, und auch keine Elektronik-Musik gehört hast, es war einfach nicht deine Zeit, aber das spielt keine Rolle für dein Leben, denn du hast ja ununterbrochen richtig coole Musik selbst komponiert, phasenweise hat sie dich in totale Ekstase und völlige Erschöpfung gebracht, aber ja, das hast du dir selber zuzuschreiben, man kann es auch übertreiben mit der Musik.
Eigentlich wolltest du es nicht anders, du warst ja gewissermaßen damals schon ein richtiger Workoholic, da blieb nicht viel Zeit für romantische Sinnlichkeit mit jungen attraktiven Damen im Mondenschein.
Aber uns gehen heute wie damals deine herrlichen musikalischen Werke, dein spezieller Sound total unter die Haut, aber vor allem in die Ohren, das ist einfach der Hammer wie junge Leute heute sagen, wenn sie von etwas total begeistert sind, aber ich sage das natürlich auch, weil ich will ja auch noch jung sein und mitreden.
Wir Händel-Fans wie wir uns heutzutage liebevoll nennen, bekommen schwingende Herzen und Schultern, und möchten eigentlich die Hüften bei deiner Musik bewegen, aber ich gestehe, ich getraue mich das nicht in der Oper oder beim Konzert.
Ja, aber dass ist eben das Tolle, das Gigantomanische, uns elektrisieren deine Arien, Kantaten, Capricci, und Chöre, wir fühlen uns wie mit Einstein im Fahrstuhl, weil du ein globales Musik-Laboratorium in deinem Gehirn entwickelt hast, das fabelhafte Kreationen zaubern konnte, wie Monumental-Bauten oder die Halleluja-Berge in den Alpen, und deine fetzigen Oratorien, gar nicht zu reden von den zahlreichen sorgfältig ausgearbeiteten Arien und Instrumental-Passagen mit Oboe und Flöte, einfach zum dahin schmelzen.
Wenn wir deine Vokalisen, deine stahlharten Rhythmen und sieghaften Märsche in den Opern hören, lächelt uns deine Virtuosität an, und so fühlen wir uns sofort glücklich, weil Serotonin ins Gehirn befördert wird, das ist quasi das ultimative Mittel gegen Gehirn- und Musikverfall, Mann oder Frau wollen immer deine herrlichen Opern hören, zu jeder Zeit und Stunde, all over the world, auch ohne Armani-Anzug oder Versace-Ball-Kleid mit Tüllgardine vor dem Gesicht oder auf dem Kopf, verstehst du mein Lieber, wir sind süchtig nach deiner coolen Musik.
Ja, und ich erinnere mich noch genau an eine Weihnachtsfeierbeim Fernsehen der DDR, Bereich Dramatische Kunst, wo ich vor der Wende jahrelang gearbeitet habe.
Der Großinquisitor und sozialistischer Chef-Ideologie Karl-Eduard von Schnitzler spielte inbrünstig einige Takte aus deiner „Feuerwerksmusik“ auf dem Klavier, das sich auf einem kleinen Podest befand, richtig feierlich wurde es plötzlich in unserer tristen Kantine in Berlin-Adlershof, aber nicht etwa wegen Karl-Eduard von Schnitzler, nein natürlich nicht, sondern wegen deiner einzigartigen traumhaften Musik.
Deine Musik hat mich damals schwer beeindruckt, richtig majestätisch hörten sich die Klänge an, und mir war sofort bewusst, Georg Friedrich, du musstest ein wunderbarer Musiker gewesen sein.
Aber man stelle sich vor, die Kultur-Administration unserer ehemaligen DDR hatte deine „Feuerwerksmusik“ nicht als Dissidenten-Sound oder Spießervariante der Klassischen Musik eingestuft, sondern als ikonographische Populärmusik, die für „Würde“ und „Feierlichkeit“ stand, und sicherlich jetzt aktuell nach neuesten Erkenntnissen auch in der islamischen Welt anerkannt ist, Gott sein Dank, du wirst jetzt die ganzen Zusammenhänge sicherlich nicht verstehen, aber das erkläre ich dir später, versprochen.
Ein gewisser Stolz erfüllt mich schon, dass ich genauso wie du, der berühmte Maestro in Halle an der Saale geboren wurde.
Wenn ich bloß an dich denke, werden meine Knie weich, ich beginne wie wild zu träumen, zu fantasieren, Georg Friedrich, du muss ja auch ein unheimlich attraktiver Mann gewesen sein, nicht nur eben genial und mit musikhistorischer Relevanz, sondern ein irrerschräger Typ mit langer Mähne, wie unsere coolen 68-Männer, und du hattest schon in jungen Jahren dieses beeindruckende Charisma, sowie einschmeichelnde Grandezza, eben Sex-Appeal, dem sich keine Frau oder Mann entziehen konnte.
Ja, verehrter Georg Friedrich, du wurdest seinerzeit eigentlich nur von Signore Casanova getoppt, aber nicht als Musiker, sondern natürlich als Kavalier oder warst du vielleicht heimlich bei Nacht und Nebel in den venezianischen Gassen und schwer reichen Residenzen als Womanizer unterwegs, und hast diesbezüglich bei den vornehmen aufgebrezelten Damen des Adels so richtig mit melancholischen Augenaufschlägen Händchen gehalten haben?
Nein bitte nicht, das kann ich mir zumindest nicht vorstellen, und vor allem nicht glauben, das würde mich schwer enttäuschen, du bist ja schließlich nicht Richard Gere, und auch „Kein Mann für gewisse Stunden“, sondern für äußerst feierliche musikalische Abende und Nächte, vielleicht aber gingst du manchmal undercover versteht sich in die Senke von Promi-Talk-Shows, wo über assyrische Löwen stundenlang sinnlos getalkt wurde, aber egal, das könnten wir dir doch lässig verzeihen, mein lieber Georg Friedrich.
Aber interessieren würde mich und sicherlich auch Donna Leon und auch alle anderen Fans, welches Rasierwasser unser Georg Friedrich heute bevorzugen würde, und ob er Anzüge von Hugo Boss oder doch lieber Armani getragen hätte, vielleicht würden formschöne Designer-Möbel in seinem Haus in der Brook Street stehen oder doch lieber teure Antiquitäten, aber für die Boulevard-Presse wäre sicher wichtig, ob es Trend-Affären gab? Vor allem wann, und mit wem?
Und überhaupt wollen wir alles über dein Privatleben wissen, teuerster Georg Friedrich, denn, das muss ich dir schon gestehen, ich bin im Zweitberuf Paparazza, überall würde ich dich fotografieren, hoch geknipst hätte ich dich, verstehst du, daraus hätte ich mir einen Sport gemacht, mein Lieber, und bei seriösen Nachrichtensendungen von ARD und ZDF hätten deine Bilder die Einschaltquoten super geputscht.
Aber leider alles umsonst, wir können all unsere Fragen an den Maestro stellen, aber du wirst sie mir sicherlich nicht beantworten, weil du nicht darüber sprechen möchtest, schon gar nicht in der Öffentlichkeit, und zu Fernseh-Interviews bist du auch nicht bereit, und schon gar nicht, würdest du live zu einer Publicity-Show gehen, aber ich kann das eigentlich nicht verstehen, du bist doch so ein kommunikativer Typ, das erwarten die Fans einfach, versteh doch mal, das gehört zum Musik-Business dazu, das wird dir jeder Manager sagen, ach so ja, du hattest ja gar keinen Manager angestellt für die PR-Arbeit, du hast ja alles selber organisiert.
Na ja, ist schon gut, ich verstehe dich, aber eigentlich sehr schade, wenn ich das noch bemerken dürfte, weil du bist für uns wie der Sonnenkönig, da interessiert uns eben alles über dein Leben.
Aber egal, Fakt ist, dass du unser Georg Friedrich tatsächlich schon als virtuoser Jüngling auf die Orgel und das Cembalo so eingehämmert hast, dass die Tasten und Pedalen nur so tanzten und hüpften, du hast sicherlich mit Klangfarben und Rhythmen experimentiert, sicherlich auch wie wild und verrückt gegroovt, und brachtest die Orgel so zum Stöhnen, Heulen, Wimmern, Ächzen, dass den hohen Fürsten nicht nur der Atem stockte, heute wären deine Auftritte vielleicht zu vergleichen mit dem höchst smarten Violin-Virtuosen David Garrett, wo die Damen auch nach dem Konzert nicht nur Champagner trinken, sondern ohnmächtig die Taschentücher fallen lassen, um sehnsuchtsvoll von einem Blind-Date mit dem jungen Shooting-Star zu träumen, ja da hat sich über die Jahrhunderte in der weiblichen Entwicklungs-Psychologie nichts geändert, ja da staunst du mein Lieber, das hättest du von der modernen Musikwelt nicht erwartet?
Aber