Glauben du musst. Sebastian Moll
eine Faszination aus, der man sich nur schwer entziehen kann.
Ist Star Wars also tatsächlich so etwas wie eine Ersatzreligion geworden? Kompensiert der säkularisierte Westen mit solchen Filmen seine transzendentale Obdachlosigkeit? Der russische Philosoph Nikola Berdjajew (1874-1948) bezeichnete den Menschen als „unheilbar religiös“ und sagte voraus, dass die Religion niemals aus der menschlichen Gesellschaft verschwinden werde, allen Anstrengungen der Menschen zum Trotz. Auch wenn er bei dieser Prophezeiung sicherlich nicht an die aufkommende Star-Wars-Begeisterung gedacht hat, so spiegelt diese durchaus eine Sehnsucht nach Verzauberung und Re-Mythologisierung wider, eine Art Gegenbewegung zu den Thesen Webers und Bultmanns.
Aber bereits im 19. Jahrhunderte wehrte sich der amerikanische Philosoph Willam James (1842-1910) gegen den immer dominanter werdenden Anspruch der Naturwissenschaft: „Das innere Bedürfnis zu glauben, dass diese natürliche Welt nur das Zeichen für etwas Geistigeres und Ewigeres ist, ist für diejenigen, die es empfinden, genauso stark und gebieterisch, wie es die innere Notwendigkeit einheitlicher Kausalgesetze für einen hartgesottenen Naturwissenschaftler ist. Durch die Bemühungen vieler Generationen hat sich das letztgenannte Bedürfnis im Nachhinein als prophetisch erwiesen. Warum könnte nicht das erste Bedürfnis auch prophetisch sein? Warum sollten wir, wenn uns unsere Bedürfnisse über die sichtbare Welt hinausweisen, dann dies nicht als Zeichen für die Existenz einer unsichtbaren Welt deuten? Wer oder was hat, kurz gesprochen, das Recht, unser Vertrauen in unsere religiösen Impulse zu zerstören? Die exakte Wissenschaft hat sicher kein Recht dazu, denn sie kann allenfalls Aussagen über das machen, was existiert, nicht dagegen über das, was nicht existiert.“
In Antoine de Saint-Exupérys weltberühmter Erzählung Der kleine Prinz heißt es: „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ Nichts anderes rät der verstorbene Obi-Wan seinem Schüler Luke am Ende von Episode IV. Als sich Luke im Anflug auf die entscheidende Öffnung des Todessterns befindet, ermutigt Obi-Wan ihn, seinen Zielcomputer auszuschalten und sich allein auf sein Gefühl zu verlassen. Bereits bei seinem ersten Training mit dem Lichtschwert (s.o.) hatte er ihn gewarnt: „Deine Augen können dich täuschen, traue ihnen nicht!“ – Das Wesentliche ist für sie unsichtbar.
Nun mag das ja alles ganz nett klingen, aber wie kann der moderne Mensch, der so unendlich viel von der empirischen Forschung profitiert hat, diese plötzlich wieder in Frage stellen? Oder muss er das vielleicht gar nicht? Wie oben bereits erwähnt, beginnt der Prozess der Verwissenschaftlichung schon im antiken Griechenland und führte dort auch bereits zu ähnlichen Problemen. Bedeutet die Verfügbarkeit wissenschaftlicher Erklärungen das Aus für jedwede übernatürliche Deutung? Der Schriftsteller Plutarch hat uns hierzu eine bemerkenswerte Geschichte aus dem Leben des Perikles überliefert. Auf dem Landgut des Perikles wurde ein toter Widder gefunden, der statt zwei Hörnern nur ein einziges besaß. Der Seher Lampon deutete dies als ein Zeichen, dass die Macht über Athen, die bisher in den Händen zweier Männer lag, bald auf Perikles allein übergehen würde. Der Philosoph Anaxagoras hingegen sezierte den Schädel des Tieres und fand die medizinische Ursache für die Missbildung, wofür er bei den Anwesenden viel Beifall erntete. Doch es dauerte nicht lange, bis auch Lampon große Bewunderung zuteilwurde. Denn kurze Zeit später übernahm Perikles tatsächlich die alleinige Herrschaft über Athen.
Plutarch kommentierte diese Geschichte wie folgt: „Meines Erachtens haben jedoch beide, der Naturphilosoph wie der Seher, ihre Aufgabe erfüllt, indem der eine die Ursache, der andere den Endzweck des Wunderzeichens richtig erfasste. Denn dem Gelehrten lag ob, durch Beobachtung festzustellen, woher es gekommen und wie es entstanden sei, dem Seher, vorauszusagen, zu welchem Zweck es geschehen und was es bedeute. Es wird behauptet, das Vorzeichen werde zunichte gemacht, wenn man die Ursache der Wundererscheinung aufdecke, doch übersehen solche Leute, dass sie zugleich mit den göttlichen Zeichen auch die von uns künstlich ersonnenen verwerfen, den Klang der Erzscheibe, das Leuchten der Feuersignale, den Schatten der Sonnenuhr; alle diese Dinge sind ja aus bestimmter Ursache und in der Absicht erschaffen, dass sie uns irgendetwas anzeigen.“
Die genannten Beispiele mögen ein wenig aus der Zeit gefallen sein, aber das Argument bleibt zeitlos gültig. Eine Sache erklären zu können nimmt ihr nichts von ihrer Bedeutung. Ich kann mir sämtliche Noten von Beethovens Mondscheinsonate ansehen, die Bau- und Funktionsweise eines Klaviers untersuchen, die physikalische Erzeugung von Tönen verstehen … an der unendlichen Schönheit dieses Kunstwerkes ändert das alles nichts. Das Gleiche gilt für das menschliche Leben. Die Wissenschaft mag das menschliche Genom entschlüsseln und die Funktionsweise unseres gesamten Körpers erforschen. Aber das Wunder des Lebens bleibt davon völlig unberührt. Knapp 2000 Jahre nach Plutarch entwickelte der amerikanische Evolutionsbiologe Stephen Jay Gould (1941-2002) hierfür den Begriff NOMA (Nonoverlapping Magisteria – Nicht überlappende Herrschaftsbereiche). Für Gould können Wissenschaft und Religion niemals in einen wirklichen Konflikt geraten, da sich beide mit unterschiedlichen Gebieten befassen. Während sich die Wissenschaft mit der empirisch erfassbaren Wirklichkeit auseinandersetzt, befasst sich die Religion mit der geistlichen Deutung und moralischen Bewertung dieser Wirklichkeit. Gould formuliert es wie folgt: „Die Naturwissenschaftler untersuchen den Lauf des Himmels, die Theologen fragen, wie man in den Himmel kommt.“
Schon der heilige Augustinus (354-430) schrieb in seinem Kommentar zum Buch Genesis: „Oft genug kommt es vor, dass auch ein Nichtchrist ein ganz sicheres Wissen durch Vernunft und Erfahrung erworben hat, mit dem er etwas über die Erde und den Himmel, über Lauf und Umlauf, Größe und Abstand der Gestirne, über bestimmte Sonnen- und Mondfinsternisse, über die Umläufe der Jahre und Zeiten, über die Naturen der Lebewesen, Sträucher, Steine und dergleichen zu sagen hat. Nichts ist nun peinlicher, gefährlicher und am schärfsten zu verwerfen, als wenn ein Christ mit Berufung auf die christlichen Schriften zu einem Ungläubigen über diese Dinge Behauptungen aufstellt, die falsch sind und, wie man sagt, den Himmel auf den Kopf stellen, sodass der andere kaum sein Lachen zurückhalten kann. Dass ein solcher Ignorant Spott erntet, ist nicht das Schlimmste, sondern dass von Draußenstehenden geglaubt wird, unsere Autoren hätten so etwas gedacht. Gerade sie, um deren Heil wir uns mühen, tragen den größten Schaden, wenn sie unsere Gottesmänner daraufhin als Ungelehrte verachten und zurückweisen. Denn wenn sie einen von uns Christen auf einem Gebiet, das sie genau kennen, bei einem Irrtum ertappen und merken, wie er seinen Unsinn mit unseren Büchern belegen will, wie sollen sie dann jemals diesen Büchern die Auferstehung der Toten, die Hoffnung auf das ewige Leben und das Himmelreich glauben, da sie das für falsch halten müssen, was diese Bücher geschrieben haben über Dinge, die sie selbst erfahren haben und als unzweifelhaft erkennen konnten? Es ist unbeschreiblich, wie viel Verdruss und Kummer einsichtigen Brüdern durch solche unbesonnenen Eiferer bereitet wird.“
Die biblischen Autoren waren keine Naturwissenschaftler und legten daher auch keinen Wert auf entsprechende Korrektheit. Wenn sich also in ihren Schriften einige Details finden, die mit dem heutigen Wissenschaftsstand nicht vereinbar sind, so mindert dies den religiösen Wahrheitsgehalt dieser Schriften nicht im Geringsten. Das Gleiche gilt übrigens für Science-Fiction-Autoren. Wie Sie vermutlich wissen, prahlt Han Solo gerne damit, dass sein Schiff den Korsalflug in weniger als 12 Parsecs geschafft habe. Dies kann aber unmöglich stimmen. Ganz gleich, wie schnell ein Schiff auch immer sein mag: Parsec ist ein Längenmaß, keine Zeiteinheit! Ein Parsec entspricht 3,26 Lichtjahren, also etwa 30 Billionen Kilometern. Ruiniert diese Information nun Ihren Filmgenuss? Eben!
Kein gläubiger Mensch muss oder sollte sich wissenschaftlichen Erkenntnissen verschließen. Die religiöse Sphäre wirkt nicht konträr zur empirischen Welt, sondern komplementär. Fanatiker gibt es auf beiden Seiten. Es gibt religiöse Fundamentalisten, die noch immer gegen anerkannte wissenschaftliche Erkenntnisse protestieren. Ebenso gibt es Wissenschaftsjünger, die so in ihrem eigenen Blickwinkel feststecken, dass sie jedwede religiöse Erfahrung für Unfug halten. Letztlich berauben sich beide damit eines Teils der Wirklichkeit.
Star Wars ist eine Erinnerung daran, dass beide Wirklichkeiten zusammengehören. Denn obwohl die dort dargestellte Welt der unseren technisch um Jahrhunderte voraus ist, spielen Glaube und Spiritualität in ihr ebenfalls eine herausragende Rolle. Wenn dies in einer weit, weit entfernten Galaxis funktioniert, warum sollte es dann nicht auch in unserer möglich sein?
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