Ein Herz für Tiere und für Menschen die Tiere mögen. Adalbert Ludwig Balling
Bauernkinder auch mitbekommen, wie man männliche Jungtiere kastriert – oder die Kühe zum Bullen und die Mutterschweine zum Eber gebracht hat. Damals kannte man auf den Dörfern die künstliche Besamung der Hausiere noch nicht. Da war alles noch eingebettet in den bäuerlichen Alltag. Man nahm, was geschah oder geschehen musste, einfach hin. Es war so, und so akzeptierte man es, auch die gelegentlichen Grausamkeiten gegenüber den eigenen Haustieren. Vieles, was damals in den entlegenen Bauerndörfern passierte, akzeptierte man unreflektiert; weil es seit Generationen so gewesen war.
Jahre, Jahrzehnte später kam ich langsam und allmählich zur Überzeugung, dass wir Menschen uns in vielerlei Hinsicht an den Tieren versündigten. Jede mit roher Gewalt ausgeübte Zähmung tut weh; jeder brutale Eingriff, gegen den sich ein Tier nicht wehren kann, jede überzogene Bevormundung der Tiere durch uns Menschen (etwa auch, welches männliche Tier zur Zucht genommen und welches von vorneweg davon durch grausam-schmerzhafte Kastration verhindert wird) ist strenggenommen ein Verstoß gegen die Schöpfung.
Obgleich wir Menschen uns seit Jahrtausenden unter anderem auch von Tierfleisch ernähren, ist doch die Frage berechtigt: Wer hat uns Menschen dies erlaubt? Wer hat uns zu brutalen Metzgern der Tiere bestellt? Und – ginge es wirklich nicht anders? Haben nicht moderne Wissenschaftler schon vor Jahrzehnten errechnet, dass die gesamte Menschheit wesentlich leichter zu ernähren wäre, wenn wir alle – auch und gerade die in den sogenannten reichen Ländern Lebenden – auf den regelmäßigen Genuss von Tierfleisch verzichteten?
Persönlich bin ich fest davon überzeugt, dass eines fernen Tages, vielleicht in 500 oder 1000 Jahren, unsere jetzige Epoche als eine grausame beschrieben wird, vielleicht sogar als das Zeitalter der »Tierfresser«. Könnte es nicht sein, dass man dann unserer Ära ähnlich skeptisch gegenübersteht wie wir etwa heute auf das »düstere Mittelalter« und die frühe Neuzeit schauen, als man noch Hexen verbrannte und mit dunkelhäutigen Sklaven handelte? Oder die Hereros und Buschmänner im damaligen Namibia und Botswana wie Großwild jagte? Und vielerorts die Frauen durchwegs als Menschen zweiter Klasse einstufte?
Was mir vorschwebt, ist eine Menschheit, die weder die Todesstrafe gegenüber Ihresgleichen kennt noch das wilde Abschlachten von unschuldigen Tieren. Befinde ich mich mit dieser Meinung völlig im Bereich des Utopischen? Ich glaube nicht. Der Mann, der die »Utopia« geschrieben hat, nämlich der Brite Thomas Morus, ein Heiliger der katholischen Kirche, hatte diese Vision bereits zu seiner Zeit.
Es werden in diesem Buch keine langen und weltbewegenden Themen behandelt, es sind eher sinnvolle und überlegenswerte Kurztexte, Märchen, Legenden und Fabeln sowie Aphorismen und Essays, die uns nachdenklich stimmen wollen über unser Verhältnis zur Tierwelt.
Blättern Sie, liebe Leserin, lieber Leser, zunächst einmal hier und dort – und schnuppern Sie ein wenig nach Lust und Laune ehe Sie das Buch zur intensiveren Lektüre aufschlagen. Die kleinen Lese-Häppchen werden Sie vielleicht zum Weiterlesen anregen. Es werden hier keine schweren wissenschaftlichen Beiträge angeboten. Und die verschiedentlich humorvollen Aufsätze sind keine Spottverse auf die Tierwelt, sondern eher eine Hommage auf die erwähnten tierischen Lebewesen. Bei all dem gilt weiterhin: Echte Liebe zu den Tieren geht niemals gegen den Menschen; sie geht auch nicht den Menschen ab. Sie ist zusätzliche Ehrfurcht vor Gottes Schöpfung.
Noch eine letzte Anmerkung: Es stand zu diesem Thema umfangreiche Literatur zur Verfügung; aus einigen Quellen wurde schon zitiert; andere gaben wertvolle Anregungen. Auf einen Buchtitel soll eigens verwiesen werden: »Da Tiere eine Seele haben.« Hier werden Stimmen aus zwei Jahrtausenden gesammelt und herausgegeben von Gotthard M.Teutsch beim Kreuzverlag in Stuttgart (1987).
Schließen möchte ich mit einer Tierfabel oder einem Mini-Märchen aus dem Nahen Osten: Da war einmal ein mächtiger Löwe; er lebte an einer Wegkreuzung mitten in der baumlosen Savanne. Meistens versteckte er sich hinter einem kleinen Hügel, bewachsen von halbmeterhohen dürren Gräsern. Wann immer sich Menschen seinem Revier näherten, war’s um sie geschehen, es sei denn, sie näherten sich ohne alle Ängste vor seiner Majestät, dem König der Wildnis. Mit anderen Worten, nur wer gut von ihm dachte und wohlwollend mit ihm plauderte, blieb am Leben. Furchtsame und Ängstliche bekamen keine Chance zu überleben. – Unsere Chance, die Chance der gesamten Menschheit heißt heute: Bewahrung der Schöpfung. Wenn wir dabei mithelfen, wird (auch) in Zukunft Frieden möglich sein zwischen Menschen und Tieren.
ADALBERT LUDWIG BALLING
Gebt Acht auf die Tiere.
Auf die Rinder, die Schafe, die Esel!
Glaubt mir, sie haben auch eine Seele – nur dass sie
ein Fell tragen und nicht sprechen können.
Gebt ihnen zu essen.
VON NIKOS KAZANTZAKIS
Liebet die Tiere, sie sind Gottes eigene Geschöpfe
Liebet die Tiere! Gott gab ihnen die Uranfänge des Denkens und eine ungetrübte Freude; die stört nicht! Quält nicht die Tiere; nehmt ihre Freude nicht weg; widersetzt euch nicht den Gedanken Gottes. – Mensch, erhebe dich nicht über die Tiere; sie sind sündlos, du aber bringst, in deiner Erhabenheit, die Erde durch dein Erscheinen auf ihr zum Eitern und lässt Spuren deiner Fäulnis hinter dir zurück.
STAREZ SOSSIMA in Dostojewskis »Brüder Karamasov«
Das Tier ist eine in sich geschlossene Welt – mit einem eigenen Schicksal, mit einer eigenen Schuldlosigkeit. Wenn das Tier sündigen könnte, so wäre es heilig, denn das Tier hat sich der Hektik freiwillig ausgesetzt. Nur durch den Sündenfall des Menschen ist das Tier in den Schmelztiegel des Leidens, der Leidenschaften und der Gewalt geworfen worden. Seine Welt ist eine Welt voller Rätsel. Die Schönheit, das Geheimnis, die Introvertiertheit der Tierwelt haben von jeher auch Künstler gefesselt, erinnern wir uns nur an die expressionistischen Ikonen von Franz Marc.
TATJANA GORITSCHEWA
Die Tiere in unserem Denken müssen wieder mächtig werden, wie in der Zeit vor ihrer Unterwerfung. – Und immer erwartet man vom Hauch der Tiere, dass er sich zu neuen, unerhörten Worten formt.
ELIAS CANETTI
Der Hund hat alles auf den Menschen gesetzt, als er sich ihm anschloss, schreibt Daniel Kehlmann. Hunde verknüpfen ihr Schicksal mit dem Willen der betreffenden Menschen, denen sie »untertänig« sind. Man könne auch sagen, sie lieferten sich »ihren Herrchen oder Frauchen« aus und vertrauten darauf, dass wir es gut mit ihnen meinten. Diese Unbedingtheit sei etwas Besonderes und sehr Kostbares…
Auf Franz von Assisi soll die Aussage zurückgehen: »Dass mir der Hund das Liebste sei, sagst du, o Mensch, sei Sünde!? – Der Hund blieb mir im Sturme treu, der Mensch nicht mal im Winde.«
Geschöpfe desselben Herren und Meisters
Tiere und Menschen trennen Welten. Aber sie fühlen sich einander nahe, sie vertrauen einander, sind mitunter sogar gute Freunde. Tiere und Menschen (Pflanzen und Steine) sind Teile des einen Kosmos; Geschöpfe desselben Herrn; laut Genesis von Gott ins Leben gerufen; ins Leben geliebt. Im Alten Testament heißt es weiter, einige Menschen hätten die Sintflut überlebt – zusammen mit Noah, dem Erbauer der Arche und Retter allerlei Tierarten. In zahlreichen anderen Bibelstellen ist ebenfalls von Tieren die Rede, oft in symbolischer Deutung, in sinnigen Vergleichen und bildhaften Fabeln.
Auch im Neuen Testament werden laufend Tiere erwähnt: Schon bei der Geburt Jesu kamen Hirten, direkt weg von ihren Schafherden, um dem neugeborenen Gottessohn zu huldigen. Und laut Legenden eilten (drei) Weise (Könige) aus dem Morgenland auf Kamelen und Pferden herbei – mit sinnvollen Geschenken »an den König der Juden«.
Später, Jahrzehnte später, während seines öffentlichen Auftretens, bediente sich Jesus eines Esels, als er feierlich in Jerusalem einzog. Und in seinen Gleichnissen ist immer wieder die Rede von Schafen, Schlangen, Tauben und Sperlingen.
In der frühchristlichen Kunst nehmen Tier-Darstellungen einen bevorzugten Platz ein, ganz zu schweigen