Ein Herz für Tiere und für Menschen die Tiere mögen. Adalbert Ludwig Balling
Urban schrieb abschließend: »Das (Wieder-) Erlernen der Bildsprache, das Verstehen der einzelnen Zeichen und Symbole holt ein Stück verlorener Heimat zurück und eine Welterfahrung, die durchdrungen war vom Wissen um das tiefe Mysterium der Schöpfung sowie des Heilshandeln Gottes, erahn- und sichtbar in allen Kreaturen.« (ALB)
Hoffnung für die leidende Kreatur
Tiere seien Gottes »andere und schon seit Ende der Sintflut benachteiligte Geschöpfe«, schrieb Wolfgang Hildesheimer vor Jahren einmal, und Hilde Spiel trauerte über ihren Kater, von dem sie infolge eines Umzugs sich verabschieden musste; er blieb bei ihrer Putzfrau zurück: Nie habe sie sich verziehen, ihn im Stich gelassen zu haben. Denn bald schon sei er der Putzfrau entlaufen – und sei nie mehr gesehen worden … Noch im hohen Alter trauerte die Dichterin um das Tier »wie um einen verlorenen Menschen«.
Elias Canetti, ein weiterer Poet, fragte eines Abends seine Tischnachbarin, ob sie gerne die Sprache der Tiere verstünde und erhielt die Antwort: Nein! Und auf die Frage, warum nicht: »Damit sie, die Tiere, sich nicht fürchten müssen!« – An anderer Stelle von Canettis Aufzeichnungen2 heißt es: »Kein Tier habe ich umarmt. Ein ganzes Leben lang habe ich mit qualvollem Erbarmen an Tiere gedacht, aber kein Tier habe ich je umarmt.« Er litt offensichtlich darunter.
Von wieder einem anderen Denker, vom Philosophen Friedrich Nietzsche, wird berichtet, er habe in den ersten Dezembertagen 1888 in Turin vor einem arg geschundenen Droschkengaul lauthals geweint, sei dem Tier um den Hals gefallen und habe es geküsst. So sehr habe ihn das Mitleid übermannt. Nietzsche, der Autor des Zarathustra, der sich sonst eher hochnäsig und versnobt benahm, von dem das Wort stammt: »Was fällt, soll man auch noch stoßen!« und auch der folgende Satz: »Die Schwachen und die Missratenen sollen zugrunde gehen!« – dieser Friedrich Nietzsche zeigte ein Herz für ein müdes und altersschwaches Pferd; er hatte es nicht länger mitansehen können, wie ein unschuldiges Tier sinnlos geprügelt wurde.
In der gesamten Weltliteratur gibt es unzählige Geschichtchen mit und um Tiere: Sven Hedin, der berühmte schwedische Wüstenforscher, schrieb sehr liebevoll über die Kamele, die ihn durch die Wüste Gobi begleiteten. – Konrad Lorenz, der jahrzehntelang Graugänse beobachtet und mit ihnen zusammengelebt hat, um ihr Alltags-Verhalten zu studieren, war von diesen Tieren begeistert. – Hans Carossa malte zärtliche Szenen von einem Kätzchen in seinem rumänischen Tagebuch. – Goethe schrieb ein ganzes Tier-Epos und Ernest Hemingway schilderte in seiner meisterhaften Novelle »Der alte Mann und das Meer« den Kampf eines greisen Fischers mit einem übergroßen Fisch an der Angel. – Und Don Quijote (von Cervantes) ist ohne seinen Esel gar nicht zu denken! – Kurzum, es gibt unzählige Beispiele aus der Weltliteratur über Menschen und Tiere. Die unübersehbare Zahl der Tiermythen und Tiermärchen noch gar nicht mitgerechnet.
Vom russischen Philosophen Berdjajew weiß man, dass er in seinem Arbeitszimmer in der Nähe von Paris eine wunderschöne Angorakatze neben sich sitzen hatte; ohne dieses Tier, so ließ er seine Besucher wissen, könne er nicht arbeiten. Einmal schrieb er über dieses Tier: »Ich kann nicht an das Reich Gottes denken, ohne meiner Katze Moury darin einen Platz anzuweisen.« Berdjajew wollte damit sagen, dass er an ein (wie auch immer geartetes) Fortleben der Tiere glaube – oder doch zutiefst wünschen würde.
Das führt uns zur Frage ganz allgemein: Wie steht es um eine/die Theologie der Tiere grundsätzlich? – Historiker verweisen in diesem Zusammenhang gerne an den Glauben der Alten Ägypter: Ihre Pharaonen wurden beispielsweise auf dem Sterbebett befragt, ob sie zu Lebzeiten gut zu den Tieren gewesen seien, und ihre Tiere wurden interviewt, ob sie zu irgendeiner Zeit von ihren Herrschern misshandelt oder völlig ignoriert worden seien.
Das war vor dem Christentum! Die christlichen Theologen taten sich lange Zeit sehr schwer, die Tiere auch theologisch in die Gesamtschöpfung einzuordnen und zu deuten. Man sah die Tiere sehr lange schon als Gottesgeschöpfe schlechthin, aber dass wir eine Mitverantwortung für sie trügen – davon war kaum mal die Rede. Tiere waren »Freiwild«; wir Menschen hielten sie für Geschöpfe ohne Seele, ohne Gefühle, ohne Schmerzen. Selbst die heilige Hildegard von Bingen, eine der großen Frauen des Mittelalters, hatte keinerlei Hemmungen, aus lebendigen Fröschen Medizin zu gewinnen.
Sakrale Tieropfer gab es in fast allen antiken Religionen, nur im Christentum hat man von Anfang an davon Abstand genommen, weil Jesus es so wollte. Aber manche Tiere wurden zu Negativ-Symbolen, etwa die Schlange oder der Wolf. Außer Acht blieb die Würde der Tiere als solche. Tiere hatten keine eigenen Rechte; man (der Mensch) machte sich zum Herrn der Tiere. Diese Haltung wird heute noch eingenommen, wenn es zum Beispiel darum geht, ein paar Wochen ohne Tiere sein zu wollen, etwa in den Ferien! Dann werden mitunter sogar Haustiere wie Hunde und Katzen zu Weg-Werf-Waren, die man einfach ein paar Wochen los-haben möchte!
Erst 1989 wurde in Deutschland eine Gesetzesänderung vorgenommen: Tiere sind jetzt offiziell »keine Ware« mehr, sondern Lebewesen! (ALB)
»Sie haben auch eine Seele!«
Gebt Acht auf die Tiere, auf die Rinder,
auf die Schafe, auf die Esel;
glaubt mir, sie haben auch eine Seele!
Nur dass sie ein Fell tragen und nicht sprechen können.
Frühere Menschen sind es; gebt ihnen zu essen.
Gebt auch auf die Olivenhaine und Weingärten Acht –
auch sie waren einst Menschen, aber viel, viel früher.
Sie haben keine Erinnerungen mehr;
Doch der Mensch kann sich erinnern –
daher ist er Mensch!
NIKOS KAZANTZAKIS3
Was wissen wir vom Leiden der Tiere?
Wir wissen wenig Konkretes. Weil die Tiere, wenn überhaupt, nur untereinander plaudern. Wir Menschen ahnen zwar vieles, was Tieren wehtut, was sie bekümmert und wie sie ihr Leben als solches verstehen. Aber wirklich wissen, nein, das geht über unsere Möglichkeiten, wenngleich es jede Menge »Pferde-Flüsterer gibt; und überall jede Menge Hunde-, Katzen- und Vogel-Versteher.
Bei Friedrich Spee (der besser bekannt wurde als Kämpfer gegen den Hexenwahn) stimmen zwar auch die Vögel in die Trauer um Christi Leiden ein, aber die Mehrzahl der Theologen schloss sich dem Jesuitenpater diesbezüglich nicht an. Sie hielten sich bedeckt. Dabei hatte schon der Völkerapostel Paulus vom Schmerz und Weh der gesamten Kreatur gesprochen: »Wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt, (in Geburtswehen liegt) und sich ängstigt. (Vgl. Röm 8,21–22)
Lange vor Paulus, in der jüdischen Tradition, machte man keinen strikten Unterschied zwischen Tieren und Menschen, was den Lebensraum anlangte: Alle Lebewesen erhielten von Gott ihren je eigenen Freiraum. Und bei der großen Flut wurden sie alle von Noah in die Arche geholt …
Was uns heute vielfach fehlt, ist die direkte Begegnung. Wir kaufen Fleisch, ohne darüber nachzudenken, woher es kommt. Wir trinken Milch – und jedes Kind weiß, die kauft Mama im Laden, und wir essen zum Frühstück ein Ei, das irgendwann mal von einer Henne gelegt worden war.
Im Fränkischen sagte man früher mit Recht: »Wenn sich ein Bauer bekehrt, spürt es im Stall das Vieh!« Er wurde auch zu seinen Tieren freundlicher, liebevoller, irgendwie auch kollegialer. Hierher passt ebenfalls ein Pauluswort: »Das ängstliche Harren der Kreatur wartet drauf, dass die Kinder (Söhne) Gottes offenbar werden.« (Röm 8,19)
Hoffnung für die leidende Kreatur
Schon vor über 25 Jahren, um 1990, schrieb der bekannte Theologe und Psychotherapeut Eugen Drewermann, man wisse, dass unzählige Millionen Tiere konsumgerecht gezüchtet und gemästet würden, »bis sie verkaufsrentabel den Weg in die Todesfabriken der städtischen Schlachthöfe« anträten. Man schätze, dass zusätzlich über 300 Millionen Tiere »aller erdenklichen Arten weltweit jedes Jahr ihr Leben für ebenso sinnlose wie grausame Experimente« lassen müssten. Es würden Versuchstiere mit angeborenen