Der Flügelschlag des Zitronenfalters. Martin Scheil

Der Flügelschlag des Zitronenfalters - Martin Scheil


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Armer Mann? Nun, alles holt einen irgendwann ein. Blut fließt dort, wo Turandot herrscht.

      Pfeffer aber hatte seine Sensation. Er hatte einen Senator gestürzt. Nein, besser noch: er hatte einen roten Senator gestürzt! Die Bremer SPD kam ob dieses Vorfalls wochenlang nicht aus den Schlagzeilen (natürlich am wenigsten aus denen, die Rick Pfeffer selbst verfasste), und immer mehr Gerüchte waren auf einmal an der Weser zu hören. Allesamt falsch, vielleicht erfunden, wie sich jedes mal schnell herausstellte, doch das war Pfeffer im Grunde gleichgültig. Er hatte an diesem Tag mit der Veröffentlichung seines Artikels der Wahrheit mit jenem kleinen Schubs auf die Sprünge geholfen, von dem er nun wusste, dass er ausreichte, um auch den größten Stein ins Rollen zu bringen.

      An diesem Abend betrank sich Rick Pfeffer ausgiebig und mit tiefsitzender Freude. Ihm war einfach nach Feiern zumute. Er war das gewesen. Er ganz allein. Er hatte das gemacht. Und alle sollten es wissen. Er besuchte dieses Mal ausnahmsweise keine der gewöhnlichen Kneipen, in welchen er sonst zu verkehren pflegte. Nein, diese Mal musste es dem Anlass entsprechend sein, und so zog er mit Pauken und Trompeten in die „Rote Katze“, ein, was nichts anderes war, als eines der größten Bordelle der Stadt. Im Suff im Puff. Na, das konnte ja nicht gutgehen ...

      Am nächsten Morgen erwachte Richard genannt Rick Pfeffer in einem ihm unbekannten Zimmer. Er schaute sich kurz um und stellte fest, dass es sich wohl um das Zimmer eines Hotels handeln musste. Dies hatte drei Gründe:

      Erstens: Es war nicht sein zu Hause. Zweitens: Die Einrichtung war Hotelstandard, also geschmacklos und eindimensional und Drittens stand auf dem Nachtschrank ein Telefon mit der Aufschrift „Waldhof Hotel“. Ja, es handelte sich um ein Hotel. Unverkennbar. Aber wie war er dorthin gekommen? Dann fiel es ihm langsam wieder ein, was allerdings auch daran gelegen haben dürfte, dass er aus der Roten Katze nicht nur einen gehörigen Kater mitgebracht hatte, sondern auch eine Frau, die ebenda noch selig neben ihm im Bett schlief.

      Panik!

      Doppelte Panik!

      Eieieieieiei ... eine fremde Frau! Nackt dazu. Ohmannohmannohmann. Nicht schon wieder! Nicht jetzt! Er betete im Stillen. „Oh Gott oh Gott, lieber Gott, bitte lass es eine Nutte sein!“ Dann traute er sich vorsichtig, die fremde Schönheit zu wecken. „Was ist denn Schätzchen, schon ausgeschlafen?“, ihre Stimme war unverkennbar alkoholgeschwängert und hatte unter unzähligen Zigaretten gelitten. Er dachte, sie klinge genauso, wie er sich gerade fühlte. Aber das war jetzt nicht wichtig. Wichtig war jetzt: „Sag mir nur eins.“ Pfeffers Ton war fast flehentlich. „Hatten wir was? Also ich meine ... haben wir ... miteinander geschlafen?“

      „Du meinst, ob wir gefickt haben? Ohhh ja, mein Lieber. Und wie!“

      Pfeffer wurde schlecht. Er musste sich spürbar zusammenreißen als er sagte:

      „Und ... also bitte versteh’ das jetzt nicht falsch, aber bist Du eine ... bist Du ...“

      „Was? Eine Nutte? Ja natürlich. Und Du warst ganz schön in Geberlaune gestern Abend.“

      Sie lachte, aber Pfeiffer fielen hundert Steine vom Herz.

      „Um Gottes Willen, Gott sei Dank! Ich dachte jetzt echt gerade ... also für einen kurzen Moment dachte ich, ich hätte meine Frau schon wieder betrogen.“

      „Hast Du das denn nicht?“, fragte sie hörbar irritiert.

      „Nein, nein“, entgegnete er direkt und war jetzt wieder ganz der alte, selbstsichere Rick Pfeffer, „so ist es schon in Ordnung. Ohne Liebe kein Betrug!“

      Sie stand nun langsam auf und begann, Ihre Kleidung im Zimmer zusammenzusuchen. „Sag’ mal“, fragte sie, „was Du da gestern Abend alles erzählt hast, stimmt das alles?“

      Schock! Ja, was hatte er denn erzählt? Er versuchte sich zu erinnern, doch es wollte ihm einfach nicht gelingen. Also folgerichtig:

      „Was habe ich denn erzählt?“

      Pfeffer war nun doch wieder ein wenig besorgt. Offenbar fehlten ihm vom vergangenen Abend wesentlich mehr Stunden, als er gedacht hatte. Alkoholinduzierte retrograde Amnesie nannten die Ärzte das.

      „Na ja, dass Du Chefredakteur bis?“

      Uff! Schwein gehabt!

      „Ja, das stimmt!“

      „Und das mit dem Kampf gegen die Roten und so? Mit dem Senator hier aus der Stadt?“

      Noch einmal Uff! Aber mit breiter Brust:

      „Ja, stimmt auch. Das war ich!“

      „Und sag’ mal, also ich sollte das jetzt vielleicht nicht sagen, aber, dass Du die ganzen Informationen vom Geheimdienst gekriegt hast und die Dir das alles bezahlt haben gestern Abend in der Katze? Also als Belohnung?“

      Auweia. Da waren ihm wohl ein bisschen die Pferde durchgegangen.

      „Ähmm, also weißt Du, eigentlich darf ich darüber gar nicht sprechen. Du weißt schon ...!“

      Er fühlte auf einmal eine seltsame Mischung aus Scham für die Lüge und echtem Stolz, dass er den Geheimagenten offenbar recht gute hatte abgeben können. Sie zuckte nur mit den Schultern, während sie ihren Slip hochzog.

      „Na ja, ist ja auch egal, ich sag’ keinem was. Und so viele Leute waren ja nicht da. Den meisten ist es eh nicht recht, wenn einer erfährt, dass sie Station in der Katze gemacht haben. Du musst Dir also keine Gedanken machen, glaube ich.“

      Jetzt doch wieder Uff! Geschafft! Raus aus der Gefahrenzone.

      Derart erleichtert verließ Pfeffer schon wenig später mit seiner Kurtisane das Hotelzimmer und weil ja nun einmal alles bereits bezahlt war, gingen die beiden auch gleich noch gemeinsam im hoteleigenen Restaurant frühstücken.

      In den folgenden Tagen und Wochen war die Seifritz-Affäre das tonangebende Thema in der Hansestadt an der Weser und Pfeffer war langsam froh, an jenem Abend in der Roten Katze noch einmal alle Register gezogen zu haben, denn nun war er pausenlos in Sachen Senatorensturz unterwegs. Was? Ja, ja, war ich. Kein anderer. Hätten Sie nicht gedacht, was? Und immer so weiter. Als Seifriz dann schließlich zurückgetreten war und langsam wieder Ruhe einkehrte, wurde es auch um Richard genannt Rick Pfeffer wieder still. Kein Schampus mehr, keine Nutten, keine Hände mehr, die seine schüttelten. Und weil ihm das so gar nicht gefiel, machte er da weiter, wo er bei dem Bremer Senator aufgehört hatte. Er las noch einmal den ursprünglichen Artikel und so langsam formte sich ein Bild vor seinem inneren Auge: hier ruhte eine wahre Lebensaufgabe. Er würde dem Roten Filz in der Hansestadt ein für alle Mal den Garaus machen. Er wusste, dass er es konnte, soviel war jetzt sicher. Er hatte es bewiesen. Erst Bremen, dann Niedersachsen, dann die Republik und dann die ganze Welt. Pfeffer Kommunistenschreck. Oder eigentlich ja Nazischreck. Altnazischreck? Egal, Titel sollten andere ihm verpassen, er hatte schließlich zu arbeiten. Aber wo anfangen?

      „In Ordnung“, dachte er sich, „erst einmal bescheiden bleiben und klein loslegen. Die Welt nehme ich mir dann später vor.“

      Doch leider fanden sich auf die Schnelle keine weiteren Skandale im Range eines Seifriz. Ja, es schien fast so, als sei die SPD in Bremen die Unschuld selbst, was nur einen Schluss übrig ließ: alle hatten sich gemeinsam im Roten Filz verwoben mit nichts als einem Ziel: am Ende doch noch die Rote Fahne auf dem Rathaus zu hissen. Oder so ähnlich. Wer weiß das schon?

      „So ist denen nicht beizukommen! Immer dieses Kleinklein“, das war Pfeffer schnell klar. Und daher begann er, selbst für Skandale und Skandälchen zu sorgen. Glaubste nicht? War aber so. Kostprobe zum Abschmecken gefällig? Es fing damit an, dass er, ausgestattet mit einem falschen Parteibuch der SPD und sonst keinerlei Dokumenten, einen Reisepass beantragte, den er dann sogar erhielt. Mit falschem Namen natürlich. Dieter Lindemann hatte er sich genannt, einfach so. Dazu eine falsche Adresse, auch ein bisschen jünger machte er sich noch, und schon war der falsche Pass fertig.

      Nicht so schlimm? Aber, aber!

      Eine Dokumentenfälschung auf diesem Niveau war in einer Zeit der Grenzkontrollen


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